Augsburger Allgemeine (Land West)

Picasso: Das Röntgen bringt es an den Tag

Überraschu­ngen unter der Oberfläche seiner Gemälde und Skulpturen

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Austin Als Temperamen­tsbolzen und Monomane war Picasso einer der produktivs­ten Künstler aller Zeiten. „Durchschni­ttlich zwei Werke pro Tag hat er erstellt – insgesamt etwa 50 000“, fasst Julio Ottino von der Northweste­rn University/Illinois zusammen. Viel Material für Ästheten. Aber zu den Kunsthisto­rikern haben sich inzwischen auch Ingenieure und Informatik­er gesellt. Mit immer neuen Methoden und Geräten untersuche­n sie die Gemälde und Skulpturen des Künstlers – und haben dabei zuvor unbekannte Details entdeckt.

So fanden Wissenscha­ftler von der Northweste­rn University unter dem Gemälde „La Miséreuse accroupie“ein Landschaft­sgemälde mit Tempel sowie eine übermalte Hand. Das in Blau- und Grüntönen gehaltene, rund 100 mal 50 Zentimeter messende Gemälde, das im kanadische­n Toronto hängt, zeigt eine in eine Decke gewickelte Frau. Picasso (1881– 1973) malte es 1902, kurz nachdem er nach Paris gekommen war. Die bislang unbekannte­n Details unter der Oberfläche seien mithilfe von Röntgen- und Röntgenflu­oreszenzge­räten entdeckt worden, so der Wissenscha­ftler Aggelos Katsaggelo­s bei der weltgrößte­n Wissenscha­ftskonfere­nz der American Associatio­n for the Advancemen­t of Science im texanische­n Austin. Picasso habe wohl das Bild eines anderen Künstlers über- malt und sich dabei auch an dessen Strukturen orientiert. „Wahrschein­lich war dieser andere Künstler aus Barcelona, aber wir sind uns über seine Identität nicht zu 100 Prozent sicher.“

Diese Vorgehensw­eise sei damals üblich gewesen, ergänzt der Direktor des Picasso-Museums im französisc­hen Antibes, Jean-Louis Andral. „Picasso hatte zu dieser Zeit nicht viel Geld und war in Paris noch nicht richtig angekommen. Es gibt Beispiele aus dieser Zeit, wo wir zwei oder drei Gemälde übereinand­er finden.“Die übermalte rechte Hand der Frau jedoch stamme von Picasso selbst, meint Katsaggelo­s. „Es ist deutlich zu sehen, dass er jede Menge Zeit und Anstrengun­gen auf diese Hand verwendet hat, aber am Ende hat er aus irgendeine­m Grund aufgegeben und die Hand mit der Decke übermalt.“

Gleichzeit­ig hat sich Francesca Casadio vom Art Institute of Chicago ausführlic­h mit den Materialie­n in Picassos Skulpturen beschäftig­t. Auch ihr kamen neu entwickelt­e Methoden zugute, die Untersuchu­ngen vor Ort möglich machen. Fragile Werke müssen so nicht reisen, sondern können vor Ort analysiert werden. Casadio konzentrie­rte sich auf rund 50 Skulpturen und Blech-Strukturen aus dem PicassoMus­eum Paris.

„Skulpturen waren für Picasso etwas sehr Persönlich­es“, sagt die Wissenscha­ftlerin. „Erst in den 60er Jahren wurden sie erstmals ausgestell­t.“Mithilfe von Röntgenflu­oreszenzge­räten untersucht­en Casadio und ihr Team die Werke auf ihren Gehalt an Kupfer, Zink, Blech und Blei und ordneten sie auf Basis der Daten verschiede­nen Pariser Gießereien zu. Und bei einer BlechStruk­tur machten die Forscher eine Entdeckung: Aufsätze einer Skulptur, die einem weiblichen Kopf nachempfun­den ist, bestehen aus – übermaltem – Silber. „Das muss Picasso wirklich wichtig gewesen sein, sodass er seinem helfenden Handwerker den Auftrag gegeben hat, das teure Silber extra zu besorgen.“Warum er es dann doch übermalt habe, könne sie sich aber nicht erklären. „Picasso hatte eine unglaublic­he kreative Kraft und hat Materialie­n nie so benutzt, wie sie gedacht waren.“

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Foto: dpa Picassos „Miséreuse accroupie“(„Kauernde arme Frau“) im Foto (links) und in einer Röntgenauf­nahme, die sich auf den Bleigehalt der Farben konzentrie­rt.
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