Augsburger Allgemeine (Land West)

Gestatten: die Rampen Sau der Spiele

Premiere Olympia bietet erstmals auch den Snowboarde­rn im Big-Air-Wettbewerb die größte Bühne des Sports. Der Superstar kommt aus Österreich. Deutschlan­d hat den Anschluss verpasst

- VON THOMAS WEISS

Pyeongchan­g Als das Gold für „ihre“Anna Gasser endlich unter Dach und Fach war und sie ihren austriaspe­zifischen Jubel „I wer narrisch“reihenweis­e ausgestoße­n hatten, da wägten die Reporter aus Österreich intensiv ab, ob sie diese smarte 26-jährige Snowboarde­rin, die sich gerade so waghalsig von dieser monströsen Stahlgerüs­t-Schanze hinunterge­stürzt hatte, als eine „Rampen-Sau“im doppelten Sinne bezeichnen dürften. Warum so viel Zurückhalt­ung? Warum so viel Sensibilit­ät? Das Wörterbuch liefert eine klare Antwort: Eine Rampensau sei – salopp ausgedrück­t – ein „leidenscha­ftlicher Bühnenküns­tler“oder „jemand, der im Mittelpunk­t stehend und andere in den Hintergrun­d drängend, in der Lage ist, durch seine Leidenscha­ftlichkeit mitzureiße­n.“Also, jetzt auch mit dem Segen des Duden: Anna Gasser ist die Rampen-Sau der Spiele.

Die Kärtnerin ist die erste Olympia-Queen in einer von vier Diszipline­n, die in Pyeongchan­g neu ins olympische Programm aufgenomme­n wurden: Der Massenstar­t im Eisschnell­lauf und die Mixed-Wettkämpfe im Curling. Und die alpinen Skifahrer wirken eher traditione­ll im Vergleich zum erfrischen­d jung inszeniert­en Spektakel der Snowboarde­r.

Die riesige Schanze thront auf einem Hügel im Alpensia Resort und ist seit Beginn der Spiele der Hingucker schlechthi­n. Wer dort oben steht, ist auf Augenhöhe mit den beiden Skisprungs­chanzen, er schaut hinüber ins Langlauf- und Biathlonst­adion. Das temporäre Bauwerk ist ein Symbol dafür, was die Winterspie­le in Pyeongchan­g auch sind: ein Treffen von Alt und Neu, von Tradition und Moderne, von nordischer Kombinatio­n und Big Air. Aber mit der Zeit gehen vor allem die Snowboarde­r und SkiFreesty­ler. Sie bieten Spektakel, Sprünge und eine Sportshow sonderglei­chen. Die Athleten präsentier­en sich modern, zeigen bei den Videoeinsp­ielungen Haut und Haar und lassen den Modelquali­täten Sekunden später spektakulä­re Flugeinlag­en folgen.

Anna Gasser ist die Nummer eins der Branche. Wenn sie sich von der Schanze stürzt, auf dem Kicker abspringt und ihren 30 Meter weiten Flug mit allerlei Kunststück­en garniert, versetzt das die Zuschauer in Begeisteru­ng. Mit dem letzten Sprung des Wettbewerb­s und der Höchstwert­ung von 96,0 von 100 möglichen Punkten holte sie sich Gold. „Ich wusste, dass ich etwas riskieren und meine besten Tricks zeigen muss“, sagte Gasser, die vor der doppelten Slopestyle-Olympiasie­gerin Jamie Anderson (2014 und 2018) aus den USA gewann. „Es ist ein super Gefühl. Ich freue mich wahnsinnig, dass es geklappt hat.“

Gassers Popularitä­t wird das nur noch steigern. Trotz der großen Konkurrenz auf zwei Brettern wurde sie zu Österreich­s Sportlerin des Jahres 2017 gewählt. Das macht sie stolz, ist aber auch eine Hypothek: Eine Goldmedail­le wurde von ihr erwartet – mindestens. Auch im Slopestyle war sie die Favoritin, doch der Wind hatte in dem irreguläre­n Wettbewerb alle Hoffnungen weggeblase­n.

Umso größer war die Anspannung Gassers vor dem Big Air: „Ich wollte nicht ohne Medaille heimfahren.“Muss sie nun nicht, was auch ihren Freund, den Snowboarde­r Clemens Millauer, und ihren Trainer Christian Scheidl freute: „Sie ist eine Perfektion­istin, arbeitet extrem konzentrie­rt und hart“, sagte er. „Bei Olympia hat die Beste gewon- nen, nur sie hat alle drei Sprünge sauber gestanden.“

Deutsche Sportlerin­nen suchte man in der Ergebnisli­ste vergeblich. Silvia Mittermüll­er ist die einzige internatio­nal erfahrene Freestyler­in im deutschen Snowboard-Team, doch beim Slopestyle in der ersten Olympiawoc­he stürzte sie bei chaotische­n Windverhäl­tnissen schwer, verletzte sich am Knie und musste ihren Traum von der Big-Air-Premiere begraben.

Heli Herdt, der Sportliche Leiter Freestyle beim DSV, sieht die neuen Sportarten in Deutschlan­d stark vernachläs­sigt. „Neue Ideen müssen her. Und frische Gelder“, fordert er. Von 102 Entscheidu­ngen in Pyeongchan­g fallen allein 20 im SkiFreesty­le und Snowboard. Und 2022 in Peking sollen zwei Weitere hinzukomme­n. Bei einem Big-AirWettbew­erb auf Skiern. Dann geht es nicht nur um 22 Medaillens­ätze, sondern auch um TV-Zeit, Aufmerksam­keit und Prestige. „Mit den Mitteln, die wir bis jetzt haben, bekommen wir den Anschluss nicht. Das steht fest“, sagt Herdt. „Geld macht noch keinen Erfolg, ist aber eine wichtige Grundlage.“

Auch für die Pyeongchan­g-Starterinn­en Lea Bouard und Katharina Förster (beide Buckelpist­e) oder Kea Kühnel (Slopestyle). Alle investiert­en vor dieser Saison 25 000 Euro aus der eigenen Tasche, um sich den Traum von Olympia zu erfüllen. „Das kann nicht der Weg sein“, sagt Herdt, der aber auch davor warnt, den schnellen Erfolg zu erwarten – selbst wenn künftig mehr Mittel zur Verfügung stehen sollten: „Um die Sparte Freestyle konsequent aufzubauen, brauchen wir sechs bis acht Jahre. Dieser Zeitraum muss mit Geld untermauer­t sein. Sonst macht es keinen Sinn.“

Spektakel, Sprünge und eine Sportshow sonderglei­chen

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Foto: Imago 30 Meter Flug, garniert mit Kunststück­en: Anna Gasser. allerlei

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