Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Tafeln sind am Limit

Der Verband feiert bundesweit 25. Jubiläum. Auch aus der Region sind die Hilfsverei­ne nicht mehr wegzudenke­n. Doch in die Bilanz der Einrichtun­gen vor Ort mischen sich auch große Zukunftsso­rgen

- VON EVA MARIA DILLITZ

Region Jede Woche versorgt die Tafel in Augsburg rund 4500 Menschen einmal pro Woche mit Lebensmitt­eln. Vor zwei Jahren feierte die soziale Einrichtun­g 20-jähriges Bestehen und ist damit eines der ältesten Mitglieder des bundesweit­en Tafel-Dachverban­des, der in dieser Woche 25 Jahre alt wurde. Die Aufgaben werden mehr. Vor allem während des Flüchtling­sansturms hatten die Tafeln mit großen Herausford­erungen zu kämpfen.

Fritz Schmidt, Vorsitzend­er der Tafel in Augsburg, berichtet: „Die Kunden kommen nach wie vor aus allen Schichten der Gesellscha­ft, jedoch stieg die Zahl der zu Versorgend­en vor zwei Jahren um 1000 Kunden aufgrund der Flüchtling­skrise.“Die Situation habe sich aber wieder eingepende­lt, weil viele Asylbewerb­er, die in den großen Erstaufnah­meeinricht­ungen in Augsburg untergebra­cht waren, später in andere Städte verteilt wurden. Andere blieben weg, weil sie mit den angebotene­n Lebensmitt­eln nichts anfangen konnten. Das war nicht das einzige Problem in dieser Phase. Von der Bundestafe­l beka-

Ein offenes Ohr ist oft genauso wichtig

men alle Einrichtun­gen Plakate, welche die Gleichbeha­ndlung aller Menschen in den Mittelpunk­t stellen. Denn einige Stammkunde­n hätten Angst gehabt, durch den großen Andrang der Flüchtling­e weniger abzubekomm­en. Mittlerwei­le sieht es anders aus: Einige Flüchtling­e helfen sogar selbst bei der Tafel mit.

Alltag ist jedoch nicht der große Flüchtling­sansturm. Laut Schmidt sind es vielmehr immer ähnliche Schicksale: Rentner, Alleinerzi­ehende und andere Menschen, die unterhalb der Armutsgren­ze leben. Ingrid Engstle, Vorsitzend­e der Tafel Mering, erklärt: „Ein großes Problem sind ungeplante Ausgaben wie die Neuanschaf­fung einer Waschmasch­ine.“Vor Kurzem feierte die Einrichtun­g zehnjährig­es Bestehen. Engstle sieht die Aufgabe der Tafeln vor allem darin, Menschen zu ermögliche­n, Geld für größere Anschaffun­gen, aber auch Ausflüge ins Kino oder Theater zu ermögliche­n. Einige Klienten können ihr zufolge jedoch gar nicht an Sparen denken. Sie sind auf die Essensspen­den angewiesen.

Das untermauer­n Zahlen der EUStatisti­kbehörde „Eurostat“. Im Jahr 2015 waren demzufolge 13,4 Millionen Menschen in Deutschlan­d von Armut bedroht. Ihr Durchschni­ttseinkomm­en lag mit 719 Euro pro Monat um 30 Prozent unterhalb der Armutsgren­ze von 1033 Euro. Laut Engstle rutschen Arbeitnehm­er oft durch die Abwanderun­g von Firmen ins Ausland in die Arbeitslos­igkeit. Viele Menschen kämen zur Tafel, um die Bearbeitun­gszeit von Anträgen auf Sozialleis­tungen zu überbrücke­n, weil in dieser Zeit kein Geld fließt und sie nichts Erspartes haben. Mittlerwei­le versorgt die Meringer Tafel jede Woche rund 200 hilfsbedür­ftige Personen.

Auch die Tafel in Neusäß kann schon auf eine zehnjährig­e Geschichte zurückblic­ken. Dort hat man einen kleinen Café-Bereich eingericht­et, der den Kunden Raum für Gespräche bietet. Vorsitzend­e Sabine Zimmermann weiß: „Ein offenes Ohr für Probleme ist den Menschen mindestens genauso wichtig wie die Lebensmitt­el.“Die Klienten erhalten im Warteberei­ch eine wärmende Tasse Kaffee. Unter den Hilfsbedür­ftigen ist auch der ein oder andere Augsburger. „Wir kontrollie­ren die auswärtige­n Empfänger, so dass sie nicht bei mehreren Tafeln Lebensmitt­el abholen“, erklärt Zimmermann. Denn eigentlich muss man im eigenen Wohnort zur Tafel gehen.

Die Versorgung mit Lebensmitt­eln ist bei allen Tafeln ausreichen­d, im Winter herrscht jedoch häufig ein Mangel an frischem Obst und Gemüse. „Es kommt vor, dass eine Stunde vor Schluss der Essensausg­abe kein einziger Apfel mehr übrig ist“, schildert Engstle die Situation. Sie würde sich wünschen, von Spendengel­dern frische Waren dazu kaufen zu können, was die Bundestafe­l jedoch intern verbiete. Die Spenden dürfen nur in den Eigenbedar­f der Tafeln fließen, zum Beispiel in die Einrichtun­g vor Ort.

Möglich ist diese Art der Sozialhilf­e nur durch die zahlreiche­n Ehrenamtli­chen. Dies sind häufig Rentner, wodurch Schmidt die Zukunft der Tafel gefährdet sieht: „Wir sind zurzeit am Limit, es ist für ein Ehrenamt einfach zu viel Arbeit.“Viele unterschät­zen seiner Meinung nach, wie anstrengen­d die Arbeit bei der Tafel ist. Abholer müssen Kisten mit einem Gewicht zwischen zehn und 25 Kilogramm schleppen. Man benötige Menschen, auf die man sich verlassen kann, da sonst der Ablauf nicht funktionie­rt. Diese Verbindlic­hkeit können laut Schmidt junge Helfer häufig nicht einbringen, weil das Ehrenamt mit Arbeitszei­ten und familiären Aufgaben kollidiert. Bundesweit versucht die Tafel, dieses Problem zu lösen und Abläufe anders zu organisier­en, so dass Berufstäti­ge die Möglichkei­t haben, am Wochenende zu helfen.

Engstle sieht die Zukunft der Tafeln nicht gefährdet: „Ich würde mich freuen, wenn keine Tafeln gebraucht würden und Supermärkt­e nichts wegschmeiß­en müssten, aber das bleibt wohl eine Wunschvors­tellung.“Ihr zufolge muss sich vor allem politisch etwas ändern, so dass Bedürftige von ihren Sozialleis­tungen etwas ansparen können, um in Notsituati­onen über die Runden zu kommen. » Kommentar

 ?? Foto: Anne Wall ?? Schwer sind die Kisten mit frischem Obst und Gemüse, die die Ehrenamtli­chen der Tafel Vereine den bedürftige­n Menschen bereitstel­len. Das ist mit ein Grund, warum die Hilfsverei­ne an ihre Grenzen stoßen.
Foto: Anne Wall Schwer sind die Kisten mit frischem Obst und Gemüse, die die Ehrenamtli­chen der Tafel Vereine den bedürftige­n Menschen bereitstel­len. Das ist mit ein Grund, warum die Hilfsverei­ne an ihre Grenzen stoßen.

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