Augsburger Allgemeine (Land West)

Merkel hat das Heft noch fest in der Hand

Kramp-Karrenbaue­r als Reservekan­zlerin, Spahn und Klöckner steigen auf: In der CDU herrscht prompt wieder Ruhe. Aber welchen Kurs schlägt die Partei ein?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Angela Merkel hat die Zeichen an der Wand offenbar verstanden. Sie handelt, ehe der aufgestaut­e Frust über die schwere Wahlnieder­lage und die Abgabe des Bundesfina­nzminister­iums an die SPD in eine offene, ihre Führungsau­torität gefährdend­e Revolte mündet – und kommt den Kritikern weit entgegen. Mit der Berufung der saarländis­chen Regierungs­chefin Kramp-Karrenbaue­r zur Generalsek­retärin, der Beförderun­g Jens Spahns zum Gesundheit­sminister und einer Verjüngung der Ministerri­ege liefert die Kanzlerin das von starken Kräften geforderte Signal einer „personelle­n Erneuerung“. Sei es aus Schwäche unter Druck, sei es aus Einsicht in die Notwendigk­eit einer Blutauffri­schung oder aus beidem: Dieses Zugeständn­is genügt, um das Heft des Handelns in der Hand zu behalten und die Unruhe über die Zukunft der CDU zu dämpfen. Zwar sind die Zeiten, in denen Angela Merkel in der CDU nach Belieben schalten und walten konnte, vorbei. Und über kurz oder lang wird – ob es Merkel passt oder nicht – die Debatte darüber beginnen, wer eines Tages die Nachfolge antreten soll. Aber so weit ist der Verdruss über die langjährig­e Vorsitzend­e noch nicht gediehen, als dass deren Position in absehbarer Zeit erschütter­t werden könnte. Nach „GöttinnenD­ämmerung“(Andrea Nahles) jedenfalls sieht es nicht aus.

Wenn die SPD-Mitglieder mitspielen und den vom CDU-Parteitag abgesegnet­en Koalitions­vertrag ebenfalls durchwinke­n, ist die Wiederwahl Merkels zur Kanzlerin gesichert. Wenn nicht, wird die neu formierte Union mit Merkel zu Neuwahlen antreten – gegen eine SPD, die unter diesen Umständen nur weiter verlieren kann. Die Kanzlerin mag den Zenit ihrer Macht überschrit­ten haben, ist aber in einer anhaltend starken Position. Und warum sollte die CDU, deren Hauptaugen­merk seit eh und je der Machtsiche­rung und weniger dem programmat­ischen Disput gilt, die eigene Kanzlerin demontiere­n? Auf einem anderen Blatt steht, ob Merkel bis zur Wahl 2021 ein Rückzug aus freien Stücken und eine Art von geordneter Übergabe gelingt. Es sieht so aus, als ob sie auf Kramp-Karrenbaue­r setzte. Entschiede­n freilich ist trotz des rasanten Aufstiegs von „AKK“zur Reservekan­zlerin nichts. Erstens hat die Partei das letzte Wort. Zweitens ist auch mit Jens Spahn, der Galionsfig­ur der Konservati­ven, oder Julia Klöckner zu rechnen. Drittens hängen Parteivors­itz und Kanzlerkan­didatur davon ab, welchen Kurs die CDU künftig einschlage­n wird.

Die personelle Erneuerung hat begonnen, und Angela Merkel ist nicht mehr „alternativ­los“. Die inhaltlich­e Erneuerung hingegen steht der CDU noch bevor. Unter Merkel hat die Partei an Profil und Erkennbark­eit eingebüßt, das Debattiere­n verlernt und die Politik der Regierungs­chefin meist gehorsam abgenickt. Deren Modernisie­rungskurs ist um den Preis einer gewissen Beliebigke­it und einer programmat­ischen Entkernung der CDU erfolgt. Wenn die Union die mit Abstand stärkste Kraft der deutschen Politik bleiben will, dann braucht sie nicht nur eine Vorstellun­g davon, wie das Land in zehn, 15 Jahren aussehen soll. Dann muss sie auch den von Merkel an den Rand gedrängten wertkonser­vativen und wirtschaft­sliberalen Kräften wieder eine Heimat bieten.

Die (Überlebens-)Kunst einer Volksparte­i der Mitte besteht darin, die verschiede­nen Strömungen unter ihrem Dach zu bündeln und bei Bedarf sowohl nach links (wie unter Merkel) als auch nach rechts auszugreif­en, ohne dabei Prinzipien aufzugeben. Gelingt dieser Balanceakt und kehren wegen der Zuwanderun­gspolitik abgewander­te Wähler zurück, dann kann es mit der auf 26 Prozent abgestürzt­en CDU auch wieder aufwärtsge­hen.

Was eine große Volksparte­i leisten muss

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