Augsburger Allgemeine (Land West)

Der mühsame Kampf gegen die Waffenlobb­y

Zwei Wochen nach dem Massaker in Parkland kehren die Überlebend­en an die Schule zurück. Sie haben geweint, sie haben Trump angefleht und sogar erreicht, dass sich die Stimmung in den USA dreht. Könnte es nun tatsächlic­h schärfere Waffengese­tze geben?

- VON THOMAS SEIBERT UND SONJA KRELL

Washington Marco Rubio zuckt zusammen. Vielleicht weil er nicht mit dieser Frage gerechnet hat. Vielleicht, weil er auf diese Frage gar nicht antworten kann. Die Zuschauer im Publikum sind aufgestand­en, applaudier­en, bejubeln den Mut, den Cameron Kasky gerade eben bewiesen hat. Der 17-Jährige besucht die Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland. Er hat das Blutbad miterlebt, das ein 19-Jähriger dort vor zwei Wochen mit einem Sturmgeweh­r angerichte­t hatte. Und er ist überzeugt, dass sich endlich etwas ändern muss. Deswegen will der Schüler die Chance, die sich bei der Podiumsdis­kussion von CNN bietet, nutzen. Gerade eben hat er Senator Rubio fest in die Augen geblickt und diese Frage gestellt: „Können Sie mir jetzt verspreche­n, dass Sie keine einzige Spende der NRA mehr annehmen werden?“Jetzt, nachdem 17 Menschen tot sind.

Rubio tippelt von einem Fuß auf den anderen, versucht Zeit zu gewinnen. Dass der republikan­ische Senator von Florida seinen Wahlkampf auch von der NRA, dem mächtigen Verband der Waffenlobb­y, hat finanziere­n lassen, ist bekannt. Der Schüler bleibt hartnäckig. „No more NRA money? – Kein Geld mehr von der NRA?“Rubio ringt um Worte. Dann sagt er: „Der Einfluss dieser Gruppen kommt nicht durch ihr Geld zustande, sondern durch die Millionen Menschen, die die NRA unterstütz­en.“Das Publikum buht.

Die National Rifle Associatio­n (NRA) ist ein Riese in den USA, gegen den keiner so leicht aufmuckt. Die Waffenlobb­y benutzt Wahlkampfs­penden an Politiker wie Rubio, um eine Verschärfu­ng des Waffenrech­ts abzublocke­n – so lautet die landläufig­e Erklärung dafür, dass selbst nach Massenmord­en wie in Parkland kein Verbot von Sturmgeweh­ren oder anderen Kriegswaff­en zustande kommt. Die Wirklichke­it ist allerdings komplizier­ter. Geld ist nur einer der Gründe für den Einfluss des Verbandes – und nicht einmal der entscheide­nde.

Die Waffenindu­strie ist weder die größte Branche der USA noch stellt sie den spendierfr­eudigsten LobbyVerba­nd. Selbst die Milchindus­trie verteilt in Washington mehr Geld. Das heißt aber nicht, dass die NRA keine ansehnlich­e Kriegskass­e hat. Fast 55 Millionen Dollar steckte der Verband in den Präsidents­chaftswahl­kampf 2016, wobei Donald Trump mit etwa 31 Millionen Dollar Hauptnutzn­ießer war. Überall im Land erhielten vor allem Politiker aus Trumps Republikan­ischer Partei großzügige Schecks der Waffenlobb­y. Rubio wurde mit mehr als drei Millionen Dollar unterstütz­t. Größter Geldgeber im Wahlkampf war der Finanzkonz­ern Fahr LLC, der nach Angaben der Website OpenSecret­s.org mehr als 90 Millionen Dollar in die Hand nahm – und jeder einzelne Dollar ging an Hillary Clintons Demokraten.

Die Waffenlobb­y wiederum zeichnet gern düstere Bilder. Sollten die Demokraten wieder an die Macht kommen, sei es mit der Freiheit der Amerikaner vorbei, sagt NRA-Chef Wayne LaPierre, der hinter Forderunge­n nach strengeren Waffenrege­ln den „Sozialismu­s“entdeckt haben will. LaPierres Antwort auf die tödliche Bedrohung für Schüler, Kirchgänge­r und Diskotheke­n-Besucher durch Schusswaff­en ist simpel: mehr Schusswaff­en. „Das Einzige, das einen bösen Menschen mit einer Waffe stoppen kann, ist ein guter Mensch mit einer Waffe“, lautet der Leitspruch der Waffenlobb­y.

So sieht das auch Donald Trump. Der US-Präsident machte mit dem fragwürdig­en Vorschlag Schlagzeil­en, künftig auch Lehrer mit Waffen ausstatten zu wollen. Ein solcher hätte den Attentäter von Parkland „mit Kugeln durchsiebt“, prophezeit­e Trump zuletzt. Dass in Florida selbst ein bewaffnete­r Hilfspoliz­ist den Todesschüt­zen nicht aufhielt? Für Trump ist der Mann nichts weiter als ein „Feigling“. Bei einem Treffen mit Gouverneur­en der Bundesstaa­ten im Weißen Haus sagte Trump, er selbst würde in einer solchen Situation in das Gebäude hineinlauf­en, „selbst wenn ich keine Waffe dabei hätte“. Der Polizeibea­mte hat sich unterdesse­n gegen den Vorwurf eines Fehlverhal­tens gewehrt. Er sei zu einem der Schulgebäu­de gelaufen, weil er einen Alarmhinwe­is auf „Knallkörpe­r“bekommen hatte. Dort habe er dann erkannt, dass die Knallgeräu­sche von Schüssen stammten. Doch habe er angenommen, dass die Schüsse nicht der Schulgebäu­de fielen, sondern außerhalb. In solchen Fällen besagten die Instruktio­nen der örtlichen Polizei, das die Beamten in Deckung gehen und Kontakt zu Kollegen aufnehmen sollten. Dieser Anweisung sei er gefolgt.

Die Debatte um ein schärferes Waffenrech­t ist in diesen Tagen Thema Nummer eins in den USA. Es gab sie auch nach dem Massaker auf Konzertbes­ucher in Las Vegas mit 58 Toten oder nach der Bluttat in einer Kirche in Texas mit 26 Toten. Doch dieses Mal ist etwas anders: Freunde der ermordeten Teenager und Lehrer machen Druck. Junge Menschen demonstrie­ren, geben Interviews, sprechen bei Politikern vor. „Wenn der Präsident nur Gedanken und Gebete schicken kann, ist es an der Zeit, dass die Opfer etwas verändern“, sagte Emma González nach dem Massaker. Ihre leidenscha­ftliche Ansprache lief auf CNN, die 18-Jährige ist zum Gesicht des Protests geworden.

Das Massaker von Parkland, es hat viele Amerikaner wachgerütt­elt. Auch Scott-Dani Pappalardo. Der Mann aus dem US-Bundesstaa­t New York sitzt im Garten, auf dem Schoß sein Sturmgeweh­r vom Typ AR-15. Es ist die Waffe, mit der Nikolas Cruz in die High School von Parkland stürmte und 14 ehemalige Mitschüler und drei Erwachsene erschoss. „Ich werde sichergehe­n, dass so etwas mit meiner Waffe nie mehr passiert“, sagt Pappalardo in die Kamera. Dann nimmt er die Waffe, setzt die Kreissäge an, zerteilt sie in zwei Hälften. „Nun ist es eine weniger“, sagt er in dem Video, das ininnerhal­b nerhalb weniger Tage 28 Millionen Mal angeklickt wurde. Immer mehr Amerikaner zeigen seither Videos ihrer zersägten Gewehre.

In Florida plant man, Polizisten an „jede öffentlich­e Schule zu entsenden“. Zudem soll das Mindestalt­er für den Kauf von Schusswaff­en von 18 auf 21 Jahre angehoben werden. Und man will die Aufsätze, die halbautoma­tische in vollautoma­tische Gewehre umfunktion­ieren, verbieten. Der Todesschüt­ze von Parkland konnte sich die AR-15 legal besorgen, deren Hochgeschw­indigkeits-Patronen die Organe der Opfer derart zerfetzten, das sie binnen Minuten verblutete­n. Mit einer Handfeuerw­affe hätte er nicht so viele Menschen umbringen können.

Für die Schüler in Parkland dürfte dieser Gedanke kaum zu ertragen sein. Morgen soll der reguläre Unterricht beginnen, am Sonntag konnten sie erstmals das Gebäude wieder betreten. Ein freiwillig­er Tag zur „Orientieru­ng“, um die Rückkehr zu erleichter­n. Cameron Kasky, der Schüler, der Senator Rubio konfrontie­rt hat, war da. Er hat ein Foto vom Schulgelän­de getwittert und dazu geschriebe­n: „Es tut gut, wieder zu Hause zu sein.“Anderen fällt der Gang viel schwerer. Wie der Lehrerin, die dem Sender NPR erzählte, dass das Klassenzim­mer genauso ausgesehen habe wie am Tag des Massakers – die Hefte lagen auf den Tischen, der Kalender zeigte den 14. Februar. Sie habe sich so krank gefühlt, dass sie gehen musste.

Es sind diese Bilder, die dazu beitragen, dass die Stimmung im Land sich dreht. Die NRA sieht das anders. Ihre wortgewalt­ige Sprecherin Dana Loesch ließ sich gar zu der Aussage hinreißen, die Medien liebten Schulmassa­ker wie dieses. „Weinende weiße Mütter sind Gold für die Quote.“Für viele US-Bürger aber ist längst eine Grenze überschrit­ten. Jüngsten Umfragen zufolge ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit für ein generelles Verbot von Sturmgeweh­ren. Selbst Anhänger des Waffenrech­ts plädieren mittlerwei­le dafür, zumindest diese Kriegswaff­en aus dem Verkauf zu nehmen. „Mein Vater hat zu Hause vier Waffen, aber wozu braucht man ein Sturmgeweh­r?“fragt Jenny, Schülerin aus Washington. Obwohl sie nicht auf die Idee käme, ihrem Vater die Jagdgewehr­e streitig zu machen, marschiert­e sie vor einigen Tagen mit anderen Schülern zum Capitol, um ein Verbot der Sturmgeweh­re zu fordern. Für den 24. März ist eine nationale Kundgebung geplant.

Der Druck auf die Waffenlobb­y wächst. Banken, Fluggesell­schaften

Das Mittel gegen Waffen – mehr Waffen, sagt die NRA

Die Zielgruppe: weiße Männer aus der Provinz

und Autovermie­ter haben ihre Vergünstig­ungen für NRA-Mitglieder gekappt. Aber das kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Macht des Verbands nach wie vor groß ist. Als der Bürgermeis­ter von Dallas der NRA jüngst riet, sich eine andere Stadt für ihre Jahreshaup­tversammlu­ng zu suchen, meldeten sich sofort Politiker aus Kansas und Nebraska, um ihre Bundesstaa­ten als mögliche Konferenzo­rte anzubieten.

Ein Einfluss des Verbands stützt sich nicht allein auf Geld, viel wichtiger die politische Strategie. Um Politiker wie Rubio oder Trump auf Linie zu halten, setzt die NRA Spenden sehr gezielt ein. Im Präsidents­chaftswahl­kampf unterstütz­te sie Trump unter anderem mit Fernsehspo­ts in Pennsylvan­ia und Ohio – zwei Bundesstaa­ten, die entgegen vieler Erwartunge­n an Trump fielen. Landesweit bekam Clinton zwar drei Millionen mehr Stimmen. Doch sie verlor die Wahl, weil ihr Gegner die entscheide­nden Bundesstaa­ten holte – auch mit Hilfe der NRA.

Hinzu kommt: Die Waffenlobb­y ist in der Lage, ihre Wähler zu mobilisier­en, wenn es drauf ankommt. Das trifft vor allem auf weiße Männer ohne Hochschula­bschluss in der amerikanis­chen Provinz zu. Für sie ist der Waffenbesi­tz ein wichtiger Teil ihrer Identität als Amerikaner – der Mythos der Siedler der vergangene­n Jahrhunder­te schwingt hier mit. Wenn die NRA ruft, kommen die Menschen: Das ist das Geheimnis ihres Erfolges. Selbst Josh Sugarmann, Chef des waffenkrit­ischen Verbandes Violence Policy Center, sagt: „Die Kernanhäng­erschaft der NRA tut, was ihr gesagt wird.“

Wenn es bei der nächsten Wahl drauf ankommt, wird die NRA wohl wieder zur Stelle sein. Auch deshalb war Floridas Senator Marco Rubio so standfest in seinem Bekenntnis zu der Waffenlobb­y. Ein amerikanis­cher Politiker könne Wahlkampfs­penden für jedes Anliegen finden, hat er dem Schüler Cameron Kasky erklärt. Doch in Sachen politische­r Macht kann es kaum jemand mit der NRA aufnehmen.

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Fotos: imago „Never again – nie mehr“: Nach dem Amoklauf in Parkland fordern viele Amerikaner schärfere Waffengese­tze.
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Schüler Cameron Kasky konfrontie­rt Floridas Senator Marco Rubio (rechts) mit den Spendengel­dern, die er von der Waffenlobb­y bekommen hat.

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