Augsburger Allgemeine (Land West)

Merkels neue Mitte

Eine Revolte kann die angeschlag­ene CDU-Chefin verhindern. Doch längst blickt ihre Partei auf die Zeit nach der Kanzlerin. Die Herzen der Delegierte­n fliegen schon einer anderen zu

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist der viele Applaus sichtlich unangenehm. Mit einer beinahe genervten Handbewegu­ng will sie den Parteifreu­nden zu verstehen geben, das begeistert­e Klatschen doch endlich wieder sein zu lassen. Denn noch ist sie ja gar nicht an der Reihe. Noch ist Angela Merkel dran. Am Rednerpult, an der Parteispit­ze, als deutsche Bundeskanz­lerin.

Doch es gibt kaum einen Satz in der Auftaktred­e der CDU-Vorsitzend­en Merkel, der so viel Begeisteru­ng unter den rund 1000 Delegierte­n beim Parteitag in Berlin entfacht, wie die bloße Erwähnung des sperrigen Namens der Saarländer­in – die ja erst am Nachmittag zur Generalsek­retärin gewählt werden soll. Kramp-Karrenbaue­r gehört in der CDU zu den Favoriten für Merkels Nachfolge. Mit ihrer Nominierun­g hat die Chefin ihren immer zahlreiche­ren Kritikern zuletzt das Signal gegeben, dass sie sich über das eigene, irgendwann anstehende Karriereen­de hinaus durchaus Gedanken über die Zukunft der Partei macht. Kramp-Karrenbaue­r wirkt wie ein Aufputschm­ittel in einer CDU, die ihrer Vorsitzend­en müde geworden ist.

Nach einem schwachen Ergebnis bei der Bundestags­wahl, nach mo- natelangem Mühen, eine Regierungs­koalition zu formen, ist Merkels Rückhalt geschmolze­n. Dass beim Parteitag die Revolte ausbleibt, liegt allein daran, dass sie zuletzt mit einigen klugen Personalen­tscheidung­en immerhin angedeutet hat, dass sie ihren Chefsessel in einigen Jahren freiwillig zu räumen gedenkt. Dass sie schon jetzt einen Blick auf ihre möglichen Nachfolger zulässt. Auf Kramp-Karrenbaue­r, die sie selbst favorisier­t. Und sogar auf Jens Spahn, den jungen „AntiMerkel“. Dass die Bundeskanz­lerin ihm unter dem massiven Druck des konservati­ven Lagers eine Chance gibt, ihrem schärfsten innerparte­ilichen Kritiker, hat ihr zusätzlich Luft verschafft. Der bisherige Finanzstaa­tssekretär soll Bundesgesu­ndheitsmin­ister werden.

Mit den Schlagwort­en „Aufbruch, Dynamik und Zusammenha­lt“hat die CDU den Parteitag überschrie­ben. Doch davon ist wenig zu spüren in der Rede, mit der Angela Merkel um Zustimmung zum Koalitions­vertrag wirbt. „Es liegt an uns, ob wir den Willen und die Bereitscha­ft ausstrahle­n, dieses Land gestalten zu wollen“, sagt Merkel. Die CDU habe in den Koalitions­gesprächen mit der SPD hart verhandelt, dabei auch Zugeständn­isse machen müssen. „Hätten wir die Gespräche scheitern lassen sol- len? Meine Antwort ist ein klares Nein“, sagt Merkel. Ob bei der inneren Sicherheit, bei der Unterstütz­ung von Familien oder in der Bildung – im Koalitions­vertrag sei auch viel erreicht worden. „Nach der monatelang­en Hängeparti­e bei der Regierungs­bildung ist die Übernahme von Verantwort­ung kein Spiel.“Doch bezeichnen­d ist, dass es besonders viel Applaus gibt, als Merkel denen dankt, die in ihrem künftigen Kabinett gar keine Rolle mehr spielen. Hermann Gröhe, der im Gesundheit­sministeri­um Platz machen muss für Jens Spahn. Thomas de Maizière, der das Innenminis­terium an Horst Seehofer von der CSU abgibt. Wolfgang Schäuble, der als Finanzmini­ster für solides Haushalten stand und dessen früheres Amt nun, schmerzlic­h beklagt von der CDU, der SPD in die Hände fällt. Merkels wenig mitreißend­e Rede bleibt ohne Folgen: Gegen die Annahme des Koalitions­vertrags stimmen am Ende nur 27 Delegierte. Einige davon allerdings „mit geballter Faust in der Tasche“, wie es ein süddeutsch­er Abgeordnet­er ausdrückt. Ein offener Schlagabta­usch findet kaum statt, auch wenn in der Aussprache immer wieder die Kritik an Merkels Flüchtling­spolitik und am Koalitions­vertrag aufblitzt.

Mehr als Merkels Rede beschäftig­en die Delegierte­n die jüngsten Personalen­tscheidung­en der CDUVorsitz­enden. Und am Ende ist dann doch noch Annegret KrampKarre­nbauer an der Reihe. Mit einer mitreißend­en Rede legt sie die Grundlage für ihre Wahl zur Generalsek­retärin mit dem Traumergeb­nis von 98,8 Prozent der Delegierte­nstimmen. Bewusst habe sie sich dafür entschiede­n, nicht Ministerin zu werden, sondern ein Amt in der Partei anzunehmen. Schwerpunk­t ihrer Arbeit werde die Arbeit am neuen Grundsatzp­rogramm sein, das bis 2021 entstehen soll. Die CDU müsse alle Flügel einbinden, sich wieder als starke Volksparte­i präsentier­en. Sie stehe dafür, die CDU wieder zu dem Ort zu machen, „wo gerungen wird“. Mit aller Kraft, aber nicht mit Schaum vor dem Mund werde die Partei um die verlorenen Wähler kämpfen.

Ihre leidenscha­ftlich vorgetrage­nen Worte treffen ins wunde Herz ihrer Partei. Am Ende springen die Delegierte­n auf, jubeln, klatschen. Welch ein Unterschie­d zu den eher bemühten Ovationen für Angela Merkel vier Stunden zuvor. Am Ende des Berliner Parteitags hat die CDU in ihre Zukunft geblickt.

Großer Jubel für zwei, die nichts mehr werden

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Foto: Laurence Chaperon, dpa Das Regierungs­team der CDU (von links): Hendrik Hoppensted­t (Staatsmini­ster für die Zusammenar­beit von Bund und Ländern), Anja Karliczek (Bildung), Annegret Kramp Karrenbaue­r (Generalsek­retärin), Peter Altmaier (Wirtschaft), Ursula von der Leyen...

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