Augsburger Allgemeine (Land West)

So sitzt der Staat auf seinem Geld

Obwohl die Steuereinn­ahmen auch in den nächsten Jahren noch kräftig steigen werden, gönnen Union und SPD den Bürgern nur eine kleine Entlastung / Serie (4)

- Ein 177 Seiten langer Koalitions­vertrag soll die Grundlage für die Neuauflage einer Koalition aus Union und SPD sein. Die Mitglieder der SPD stimmen bis 2. März darüber ab. In einer sechsteili­gen Serie erklären wir die wichtigste­n Inhalte des Vertrags. V

Augsburg An Geld fehlt es nicht. Alleine im vergangene­n Jahr haben Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkass­en knapp 37 Milliarden Euro mehr eingenomme­n als ausgegeben, und weil die Wirtschaft ja weiter brummt, steigen die staatliche­n Steuereinn­ahmen in dieser Wahlperiod­e noch von 734 auf geschätzte 890 Milliarden Euro im Jahr. Auf eine größere Entlastung der Steuerzahl­er allerdings konnten Union und SPD sich trotzdem nicht einigen.

In den USA hat Donald Trump die Steuern kräftig gesenkt, in Frankreich, Großbritan­nien und Österreich wollen die Regierunge­n zumindest die Unternehme­n mit Steuervort­eilen belohnen, die investiere­n – die Boom-Republik Deutschlan­d dagegen belässt es bei einer vergleichs­weise homöopathi­schen Reform. Für Bezieher kleiner und mittlerer Gehälter soll der Solidaritä­tszuschlag wegfallen, mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro aber bleibt die Entlastung deutlich hinter den von der Union versproche­nen 15 bis 20 Milliarden zurück. Die Abgeltungs­steuer auf Kapitalert­räge will die neue Koalition für einen Teil der Anleger sogar erhöhen: Gut- und Besserverd­iener sollen jenseits des Sparerfrei­betrages von ihren Zinseinkün­ften nicht mehr 25 Prozent abführen, sondern je nach Einkommen bis zu 42 Prozent.

Alles in allem wird sich die Entlastung von Steuerund Beitragsza­hlern in den nächsten Jahren in Grenzen halten. Die Erhöhung des Kindergeld­es um 25 Euro pro Kind und Monat und analog dazu die des Kinderfrei­betrages wollen Union und SPD auf mehrere Jahre verteilen, die Reduzierun­g der Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung um 0,3 Prozent bringt den Versichert­en nur ein paar Euro mehr netto vom Brutto – und auch die Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng in der gesetzlich­en Krankenkas­se macht das berühmte Kraut vermutlich nicht fett. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Alleinverd­iener, der (oder die) 40 000 Euro brutto im Jahr verdient, dürfte sich nach ersten Berechnung­en etwa 260 Euro im Jahr an Beiträgen zu den Sozialkass­en sparen, das wären dann rund 21 Euro mehr netto im Monat. Wo genau beim Abbau des Solidaritä­tszuschlag­es die Grenze zwischen Begünstigt­en und Benachteil­igten verläuft, ist noch unklar. Im Koalitions­vertrag ist lediglich von einem „ersten Schritt“die Rede, von dem etwa 90 Prozent der Steuerzahl­er profitiere­n. Nach Angaben der SPD sollen Alleinsteh­ende mit einem Jahresbrut­to von bis zu 70 000 Euro keinen Soli mehr bezahlen, für Verheirate­te läge diese Grenze dann bei 140000 Euro. Darüber soll es eine Art Gleitzone geben, innerhalb derer der Soli langsam wieder von Null auf 5,5 Prozent der Steuerschu­ld steigt.

Rainer Holznagel, der Präsident des Bundes der Steuerzahl­er zieht ein ernüchtern­des Fazit der Koalitions­verhandlun­gen: „Mindestens 35 Milliarden Euro an Mehrausgab­en stehen allenfalls zehn Milliarden Steuerentl­astung und null Euro Schuldenti­lgung gegenüber.“Außerdem enthalte der Vertrag weder eine grundlegen­de Reform der Einkommens­steuer noch der Unternehme­nsbesteuer­ung. Was das im Einzelfall konkret bedeutet, haben Holzapfels Mitarbeite­r anhand des jüngsten Tarifabsch­lusses in der Metallindu­strie mit einem LohnPlus von 4,3 Prozent errechnet: Bei einem Bruttoverd­ienst von 3500 Euro bringt er einem Beschäftig­ten 150 Euro mehr brutto, von denen allerdings nur 75 Euro tatsächlic­h auf dem Konto des Arbeitnehm­ers ankämen. Wegen der progressiv­en Besteuerun­g zahlt er für einen Gehaltsplu­s von gut vier Prozent am Ende acht Prozent mehr Steuern.

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