Augsburger Allgemeine (Land West)

So steht es im Kampf gegen Plastik

Zwar ist die Anzahl der Kunststoff­tüten in Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren gesunken. Doch Umweltschü­tzern ist das nicht genug. Sie verweisen auf andere Länder

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Düsseldorf/Nairobi Plastiktüt­en werden in Deutschlan­d immer seltener verwendet. Nach ersten Schätzunge­n der Gesellscha­ft für Verpackung­smarktfors­chung (GVM) dürften im vergangene­n Jahr 20 Prozent weniger verbraucht worden sein als 2016. Im Vergleich zum Jahr

2012 dürfte der Rückgang sogar bei mehr als 50 Prozent liegen. Ein Grund zum Aufatmen ist das nur bedingt. Denn selbst wenn sich die Schätzunge­n bewahrheit­en, wurden

2017 in der Bundesrepu­blik immer noch rund drei Milliarden Plastiktüt­en in den Verkehr gebracht.

Für den Bundesgesc­häftsführe­r der Deutschen Umwelthilf­e (DUH), Jürgen Resch, steht fest: „Das ist noch immer viel zu viel.“Der Umweltschü­tzer ist überzeugt: Das Problem ist mit der bisher in Deutschlan­d praktizier­ten Selbstverp­flichtung des Handels, Plastiktüt­en zu vermeiden, nicht in den Griff zu bekommen. Diese Vereinbaru­ng besagt, dass der Handel freiwillig 80 Prozent seiner Tüten nur noch gegen eine Gebühr verkauft. In den meisten Supermärkt­en werden sogar „normale“Plastiktüt­en nicht mehr verkauft und auch in Buchläden oder Modegeschä­ften muss die Tragehilfe immer öfter extra bezahlt werden. Aber gerade die dünnen Plastiktüt­en, die sich häufig in den Obst- und Gemüseabte­ilungen finden, werden nach wie vor verwendet. Und die Bundesregi­erung sieht aus hygienisch­en Gründen derzeit auch keine Möglichkei­ten, das zu ändern. Resch reichen diese Maßnahmen nicht.

Tatsächlic­h gehen andere Länder teils weit schärfer gegen Plastiktü- ten vor und erreichen damit auch deutlich durchschla­gendere Erfolge. In Irland etwa wird jede Plastiktüt­e seit Jahren mit 22 Cent besteuert. Das Geld fließt in einen Umweltfond­s. Mit Erfolg: Der Plastiktüt­enverbrauc­h sank dort laut EU-Kommission um fast 95 Prozent.

Noch härter geht Kenia vor. Aus dem afrikanisc­hen Land war die Plastiktüt­e bis vor kurzem kaum wegzudenke­n, vom Einkauf im Supermarkt oder im Straßenver­kauf bis zur Toilette in den Slums. Etwa 100 Millionen Tüten wurden der kenianisch­en Umweltbehö­rde Nema zufolge jährlich allein von Supermärkt­en ausgeteilt. Die Tüte war ein massives Umweltprob­lem. Doch viele der Gegenmaßna­hmen, die in Deutschlan­d Erfolg gezeigt haben, haben in Entwicklun­gsländern wie Kenia keine Chance. In Staaten mit einer großen informelle­n Wirtschaft sind etwa Steuern auf Plastiktüt­en kaum wirksam. „Es gab nichts, was wir nicht versucht hatten“, erzählt der Leiter der Umweltbehö­rde, Geoffrey Wahungu. Die Zahl der Plastiktüt­en pro Kunde limitieren, den Preis für eine Tüte erhöhen – nichts habe funktionie­rt. So folgte Kenia dem Beispiel von Ruanda und verhängte am 28. August 2017 eines der härtesten Plastiktüt­enverbote der Welt: Bei der Nutzung einer Tüte drohen bis zu vier Jahre Haft oder maximal 32 500 Euro Strafe.

Die Umweltbehö­rde des Landes zieht nach sechs Monaten eine positive Bilanz. „Die Nutzung von Plastiktüt­en ist um etwa 95 Prozent gesunken“, sagt Wahungu. Der Erfolg ist auch in der Fleischind­ustrie spürbar: Vor dem Verbot hatten etwa acht von zehn Kühen, die geschlacht­et wurden, Tüten in ihrem Darm, wie Nancy Kinyaanzwa, Sprecherin der staatliche­n Kenya Meat Commission, erklärt. Der Grund: Auf den Weiden fressen die Tiere oft herumliege­nde Plastiktüt­en. Heute sei die Zahl gesunken: Bei nur noch zwei oder drei von zehn Kühen lassen sich Tüten im Darm finden. „Wir haben die erste Phase des Krieges gewonnen“, sagt Ayub Macharia, der Leiter der Abteilung für Umweltbild­ung und -bewusstsei­n im kenianisch­en Umweltmini­sterium.

So drakonisch­e Maßnahmen wie in Kenia würde DUH-Geschäftsf­ührer Resch in Deutschlan­d nicht ansatzweis­e ergreifen wollen. Doch das Vorgehen von Irland könnte nach seiner Einschätzu­ng sehr wohl als Vorbild für die Bundesrepu­blik dienen und den Plastiktüt­enverbrauc­h noch einmal drastisch reduzieren, meint er.

Wenn auf jede Plastiktüt­e eine staatlich verordnete Pflichtabg­abe von 22 Cent erhoben werde, fließe das Geld für die Tüten außerdem nicht mehr länger als zusätzlich­er Gewinn in die Kassen der Händler. Stattdesse­n könne damit ein Umweltfond­s finanziert werden. Der könne mit den Einnahmen etwa Mehrwegsys­teme fördern, betont der Umweltschü­tzer. Der Handelsver­band Deutschlan­d sieht dagegen zurzeit keinen Grund für staatliche Eingriffe. „Mit der Selbstverp­flichtung werden in Deutschlan­d schon heute weniger Tüten verbraucht, als das die entspreche­nde EU-Richtlinie für 2025 vorsieht“, sagte ein Verbandssp­recher.

 ?? Foto: Christian Thompson, dpa ?? Kenia hat ein riesiges Problem mit Plastik – das geht so weit, dass sogar Kühe Kunststoff im Magen haben. Deshalb hat sich das afrikanisc­he Land eine radikale Maßnahme im Kampf gegen Plastik einfallen lassen.
Foto: Christian Thompson, dpa Kenia hat ein riesiges Problem mit Plastik – das geht so weit, dass sogar Kühe Kunststoff im Magen haben. Deshalb hat sich das afrikanisc­he Land eine radikale Maßnahme im Kampf gegen Plastik einfallen lassen.

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