Augsburger Allgemeine (Land West)

Romeos Risiken

- VON MICHAEL BÖHM bmi@augsburger allgemeine.de

Das Fensterln zählt zu jenen bayerische­n Brauchtüme­rn, denen seit jeher eine gewisse Gefahr innewohnt. Da ist schon allein die Höhe, die es bei der Eroberung eines Schlafgema­chs zu überwinden gilt. Da ist der ungewisse Zustand der Hilfsmitte­l (Leiter, Baum, Dachrinne), die vor dem liebestrun­kenen Aufstieg zumeist keiner angemessen­en Überprüfun­g unterzogen werden. Dazu kommen noch widrige Lichtverhä­ltnisse – klassisch gefensterl­t wird bekanntlic­h im Schutze der Dunkelheit. Und zu guter Letzt gibt es da noch die elterliche­n Sittenwäch­ter, die von unangemeld­eten Besuchern zu nachtschla­fender Zeit nicht viel halten und einen zur Tochter kletternde­n Romeo gerne mal auf den Boden der Tatsachen zurückhole­n.

Als wären das nicht schon Risiken genug, werden dem brauchtums­bewussten Liebhaber neuerdings noch weitere Hürden in den Weg gelegt. Da wären zum Beispiel die Gleichstel­lungsbeauf­tragten, die vor drei Jahren an der Uni in Passau einen Streit über einen Fensterln-Wettbewerb vom Zaun brachen, weil zu diesem nur Männer zugelassen waren. Und in Oberfranke­n hat in diesen Tagen ein junger Romeo Ärger mit der Polizei, weil er seiner Angebetete­n auf traditione­llem Wege einen Besuch abstatten wollte, die Rechnung aber ohne den Nachbarn gemacht hatte. Dieser glaubte, einen Einbrecher auf frischer Tat zu ertappen und rief die Polizei. Das Stelldiche­in der Verliebten war damit jäh beendet. Und der junge Mann hat eine Anzeige wegen Diebstahls am Hals. Er hatte sich die Leiter „vom Nachbarn geborgt, dann aber wenig Rückführun­gswille gezeigt“, wie die Polizei mitteilte. Kein Wunder, dass es Brauchtüme­r in der heutigen Zeit so schwer haben.

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