Augsburger Allgemeine (Land West)

Gift im Paradies

Ratten bedrohen die einzigarti­ge Tierwelt einer Trauminsel im Südpazifik. Jetzt soll es tonnenweis­e Giftköder regnen. Viele der 400 Menschen auf Lord Howe Island haben Angst

- VON GÜNTHER VOLLATH

Sydney Menschenle­ere Traumsträn­de, klares Wasser, das südlichste Korallenri­ff der Erde, eine zu großen Teilen nur dort vorkommend­e Tier- und Pflanzenwe­lt, glückliche Bewohner, Welterbe der Menschheit – das ist Lord Howe Island, eine winzige Insel 600 Kilometer östlich von Sydney im Südpazifik. Die knapp 400 Bewohner nennen sie liebevoll „The Last Paradise“.

Doch im „letzten Paradies“geht die Angst um. Im Juni dieses Jahres sollen 42 Tonnen mit Gift durchsetzt­e Getreidepe­llets auf Lord Howe Island niederregn­en, abgeworfen aus zwei Hubschraub­ern. Der sogenannte „Drop Off“ist Teil eines Ausrottung­s-Programmes, das die Pazifikins­el von ihrem gefährlich­sten Feind befreien soll, den schwarzen Ratten.

Zwei Flugstunde­n sind es im kleinen Flieger von der australisc­hen Metropole bis zum elf Kilometer langen und bis zu zwei Kilometer breiten Eiland, das sich als Teil einer unterseeis­chen Bergkette aus dem erhebt – mächtig und steil am südlichen Ende mit den Bergmassiv­en von Mount Lidgbird (777 Meter) und Mount Gower (875 Meter). Und genau diese Region der einzigarti­gen Insel beherbergt das Problem, das die Tierwelt bedroht und die kleine Community vor eine große Belastungs­probe stellt.

Hundertaus­ende von Nagern, vor allem Ratten, vermehren sich seit Jahrzehnte­n dramatisch in den schwer zugänglich­en Bergen und Wäldern – eine Bedrohung für viele nur auf Lord Howe lebende Vögel und Insekten, wie die flugunfähi­ge Waldralle oder den Baumhummer, eine Stabschrec­ke, die seit den 1930er Jahren als weltweit ausgestorb­en galt.

Das zwischenze­itliche Ende des Baumhummer­s – 2001 wurden 24 lebende Exemplare auf einer 20 Kilometer entfernten, aus dem Meer aufragende­n Felsnadel entdeckt – ging auf das Konto der Ratten, die nach der Havarie des Frachtdamp­fers SS Makambo vor 100 Jahren eingewande­rt waren. Schnell übernahmen sie das Kommando auf der nur 15 Quadratkil­ometer großen Insel, fraßen alles, was den Weg kreuzte, und erfreuten sich zudem am Samen der in alle Welt verschifft­en Kentia-Palme.

Alle Versuche, der ungeliebte­n Nager Herr zu werden, schlugen fehl. Die Idee für den großen Angriff, den „Drop Off“, wurde 2001 geboren. Und seither immer wieder heftig diskutiert. Ähnliche Aktionen gab es bisher auf einigen Inseln in Neuseeland, den USA und den Seychellen – allesamt unbewohnt. Und genau an dieser Tatsache entfacht sich nun ein heftiger Streit, der die Insel zu spalten droht.

Befürworte­r und Gegner, die zum Teil in der siebten Generation auf Lord Howe Island leben, geraten immer heftiger aneinander. Inzwischen wird auch das Ergebnis von Umfragen aus den vergangene­n Jahren mehr als angezweife­lt. 52 Prozent der Insulaner hätten sich damals für das Ausrottung­s-Programm entschiede­n.

Aktuell sind die Gegner des umstritten­en Projektes deutlich in der Überzahl. Anwälte wurden eingeOzean schaltet, auf Facebook wird mit einem Film auf die Risiken für Mensch und Natur hingewiese­n. Die Inselverwa­ltung und das zuständige Ministeriu­m des australisc­hen Bundesstaa­tes New South Wales halten dennoch am NeunMillio­nen-Dollar-Projekt fest. Die Folgen für die Menschen und den Tourismus, von dem die Insel hauptsächl­ich lebt, können bisher lediglich geschätzt werden. Die offizielle Version: so gut wie keine Gefahr.

Im Juni soll das Programm mit dem Abwurf der Köder gestartet werden. Da das Gift vermutlich auch andere kleinere Lebewesen töten wird, will man zuvor bis zu 85 Prozent der heimischen Tiere fangen und sie für einige Monate in Quarantäne halten.

Für Dave Gardiner – Fotograf, Fischer, Tourismusu­nternehmer und aktiver Gegner – ist die Aktion ein „Spiel mit völlig unbekannte­m Ausgang. Keiner kann uns sagen, welche Auswirkung­en drohen. Für die Fische, für die Natur, für uns. Ein Wahnsinn“!

 ?? Foto: Günther Vollath ?? Das letzte Paradies: Knapp 400 Bewohner und maximal 400 Touristen leben auf Lord Howe Island. Die Insel zählt seit 1982 zum Welterbe der Menschheit. Nun will man dort mit 42 Tonnen Giftköder Ratten bekämpfen – mit offenem Ausgang für Flora, Fauna und...
Foto: Günther Vollath Das letzte Paradies: Knapp 400 Bewohner und maximal 400 Touristen leben auf Lord Howe Island. Die Insel zählt seit 1982 zum Welterbe der Menschheit. Nun will man dort mit 42 Tonnen Giftköder Ratten bekämpfen – mit offenem Ausgang für Flora, Fauna und...

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