Augsburger Allgemeine (Land West)
So erlebt Augsburg die große Kälte
Wegen der Minusgrade bleiben mehrere Straßenbahnen liegen. In der Wärmestube für Obdachlose suchen an einem Tag rund 200 Menschen Unterschlupf, eine Bäckereiverkäuferin bibbert – sie lächelt trotzdem
Sie lächelt jeden Kunden freundlich an, obwohl ihr in diesen Tagen nicht immer danach zumute ist. Alexandra Langhans, 43, arbeitet in dem kleinen Verkaufsstand der Bäckerei Laxgang am Moritzplatz. Es gibt keine Ladentür, die sie vor der Kälte schützt. Kaum ist die Kundschaft weg, setzt sie sich wieder zurück auf die Heizung. „Klar“, sagt sie, „Spaß macht das nicht in der Kälte. Aber ich kann die Leute ja nicht angranteln, nur weil es kalt ist.“Sie lässt es sich nicht anmerken, dass die Kälte für sie eine Herausforderung ist. Und sie kann sich an den kleinen Dingen erfreuen. Zum Beispiel freut sie sich auf das Spülen, weil sie dabei ihre Hände aufwärmen kann. „Meckern kann ja man immer. Im Winter ist es zu kalt. Im Sommer ist es zu warm“, sagt sie. Deswegen versuche sie, immer das Beste aus der Situation zu machen.
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Die Kälte legt am Montagmorgen auch den Straßenbahnverkehr vorübergehend lahm. Betroffen ist die Linie 2, wo übers Stadtgebiet verteilt vier Züge zwischen Haunstetten und Senkelbach stehen bleiben. Der Grund sind beschädigte Stromabnehmer an den Fahrzeugen. Die Kälte hat im Bereich der Rumplerstraße dafür gesorgt, dass die Oberleitung verschoben wurde. Aufgrund der niedrigen Nachttemperaturen zogen sich die Drähte, an denen die Leitung aufgehängt ist, zusammen, sodass der Fahrdraht aus seiner normalen Position wanderte. Teils schaffen es die Straßenbahnen noch, mehrere Kilometer zu fahren, bevor sie liegen bleiben. Sie müssen abgeschleppt werden. Die Stadtwerke setzen Ersatzbusse ein. Man habe alles verfügbare Personal mobilisiert, sagt Sprecher Jürgen Fergg. Einzelne Fahrgäste klagen dennoch darüber, zunächst ohne Information in der Kälte gestanden zu sein. Am Vormittag kommt es auch für München-Pendler zu Verspätungen wegen eines Oberleitungsschadens in München-Pasing. Die Züge werden umgeleitet und verkehren mit etwa 20 Minuten Verspätung. In diesem Fall ist aber offenbar nicht die Kälte schuld.
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Auf dem Friedhof ist die Kälte ebenfalls ein Thema. Auch am Montag wird auf dem katholischen Friedhof in der Hermanstraße ein Verstorbener beerdigt. In diesen Tagen fällt dort die Arbeit schwerer als sonst. „Das Grab wurde am Freitag geöffnet, am Montag war die Beerdigung. Bis dahin war die ausgegrabene Erde gefroren und musste mit einem Pickel bearbeitet werden“, sagt Friedhofsleiter Wilhelm Gutjahr. Der Erdhügel auf einem frischen Grab könne deshalb nicht ganz so schön gestaltet werden wie sonst. „Aber die Leute haben dafür Verständnis.“Auch das Ausheben selber bereitet bei dem Dauerfrost Probleme. Bis in einen Meter Tiefe ist der Boden gefroren. Normale Gräber sind 1,80 Meter, mehrfach belegte bis zu 2,40 Meter tief. „Manchmal muss man dann mit einem Kompressor ran.“Nicht nur die Mitarbeiter haben mit der Kälte zu kämpfen, sondern auch ihre Geräte und Maschinen. „Ab und zu spinnt die Hydraulik am Bagger“, sagt Gutjahr. Er fügt hinzu: „Aber es sind ja nur ein paar Tage mit diesen Temperaturen und nicht mehrere Wochen.“
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Die Baustellen in Augsburg stehen still. Wegen des starken Frosts haben die Stadtwerke die geplante Verlegung von Wasserleitungen im Lorenz-Stötter-Weg, in der Butzund Von-Richthofen-Straße verschoben. Teils müssen Halteverbote und Einbahnregelungen in den Straßen aber bestehen bleiben, weil Linienbusse trotzdem wie angekündigt auf Umleitungen verkehren.
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Die Post muss zugestellt werden – auch bei Eiseskälte. „Da müssen wir durch“, sagt Postbotin Silvia Schurr, 51, mit einem Fahrrad unterwegs ist. Dick anziehen sei das Wichtigste. Sie habe sogar sechs La- gen oben und drei Lagen unten an. Lange Thermounterwäsche, Pullis, T-Shirts und zwei Jacken übereinander halten sie warm, natürlich auch Handschuhe und ein dicker Schal. Trotzdem sagt Schurr: „Mein Kinn ist eingefroren und die Haut spannt.“Möglichst schnell fertig werden – das ist ihre Devise. Und die Zwischenzeit versucht sie sich trotz der unangenehmen Umstände so warm wie möglich zu gestalten. Besonders freut sie sich über die „sehr vielen, lieben Leute“, die ihr einen Kaffee oder Tee anbieten oder sie fragen, ob sie sich kurz drinnen aufwärmen will. „Da ratsch’ ich auch mal ein bissle“, sagt die Postbotin und ist guter Dinge. „Es kann nur noch besser werden. Der Frühling kommt bald.“
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Die Wärmestube des katholischen Sozialdienstes SKM in der Klinkertorstraße ist das ganze Jahr über gut ausgelastet. In diesen Tagen ist „die Bude“aber von 9 bis 16 Uhr immer rappelvoll, berichtet Sozialpädagoge Knut Bliesener. „Wir zählen derzeit an einem Tag knapp 200 Menschen.“Vor allem das warme Mittagessen sei begehrt. Die Sozialpädagogen und ehrenamtlichen Mitarbeiter machen Zusatzschichten. Ab Temperaturen von minus fünf Grad fahren sie abends mit dem Kältebus die Brennpunkte in der Stadt ab, an denen sich obdachlose Menschen aufhalten. Heiße Getränke, Decken und Schlafsäcke werden verteilt. „In den letzten Tagen wurden schon etliche Obdachlose angetroffen“, sagt Bliesener. Die Menschen würden sich bei der Eiseskälte Schutz unter Brücken suchen oder sich in leer stehende Häuser schleichen. „Wir bekamen einen Tipp, dass sich ein Mann in einem unbewohnten Haus aufhält. Nach dem wollen wir heute Abend schauen.“Bislang sei aber noch niemand angetroffen worden, der sich aufgrund der Minusgrade in einem bedenklichen Zustand befände. „Das hatten wir die letzten Jahre. Heuer zum Glück noch nicht.“
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Ausgestattet mit seinen Schlittschuhen spaziert am Sonntag ein Mann zum Kuhsee und ist enttäuscht: Der See ist längst noch nicht zugefroren. Nur an manchen Stellen hat sich bereits eine dickere Eisschicht gebildet. Wie fragil diese aber noch ist, zeigt der Einsatz einer Gruppe der Wasserwacht. Zu Übungszwecken brechen die Mitarbeiter ins Eis ein, Dafür genügt es, zu dritt mehrere Male fest zu hüpfen und – platsch – schon stecken die mit Neoprenanzügen ausgerüsteten Retter im Eisloch und müssen von ihren Kollegen an Land „gerettet“werden. Für die vielen Spaziergänger ein tolles Schauspiel. Familien mit ihren Kindern, Paare und Rentner bleiben stehen und verfolgen gespannt, wie die drei nun wohl gerettet werden. Dabei lassen sie sich gerne die Sonne ins Gesicht scheinen, die bei diesen kalten Temperaturen wohltuend wärmt.
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Für die Feuerwehr ist das eisige Winterwetter derzeit noch keine besondere Herausforderung. An einigen Häusern haben die Feuerwehrleute große Eiszapfen entfernt, damit diese nicht nach unten stürzen. Bei anderen Kältewellen drohten auch schon Bäche oder Kanäle über die Ufer zu treten, das ist bis jetzt allerdings kein Thema. Auch Dächer müssen nicht geräumt und von der Last befreit werden – so viel Schnee liegt dann doch nicht. Feuerwehrsprecher Friedhelm Bechtel rechnet damit, dass die Einsätze dann kommen, wenn Augsburg wieder auftaut. Dann erst bemerkt man es, wenn Rohre geplatzt sind.