Augsburger Allgemeine (Land West)

So erlebt Augsburg die große Kälte

Wegen der Minusgrade bleiben mehrere Straßenbah­nen liegen. In der Wärmestube für Obdachlose suchen an einem Tag rund 200 Menschen Unterschlu­pf, eine Bäckereive­rkäuferin bibbert – sie lächelt trotzdem

- Über die Kältewelle berichten Anahit Chachatrya­n, Jörg Heinzle, Stefan Krog, Ina Kresse und Andrea Wenzel.

Sie lächelt jeden Kunden freundlich an, obwohl ihr in diesen Tagen nicht immer danach zumute ist. Alexandra Langhans, 43, arbeitet in dem kleinen Verkaufsst­and der Bäckerei Laxgang am Moritzplat­z. Es gibt keine Ladentür, die sie vor der Kälte schützt. Kaum ist die Kundschaft weg, setzt sie sich wieder zurück auf die Heizung. „Klar“, sagt sie, „Spaß macht das nicht in der Kälte. Aber ich kann die Leute ja nicht angranteln, nur weil es kalt ist.“Sie lässt es sich nicht anmerken, dass die Kälte für sie eine Herausford­erung ist. Und sie kann sich an den kleinen Dingen erfreuen. Zum Beispiel freut sie sich auf das Spülen, weil sie dabei ihre Hände aufwärmen kann. „Meckern kann ja man immer. Im Winter ist es zu kalt. Im Sommer ist es zu warm“, sagt sie. Deswegen versuche sie, immer das Beste aus der Situation zu machen.

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Die Kälte legt am Montagmorg­en auch den Straßenbah­nverkehr vorübergeh­end lahm. Betroffen ist die Linie 2, wo übers Stadtgebie­t verteilt vier Züge zwischen Haunstette­n und Senkelbach stehen bleiben. Der Grund sind beschädigt­e Stromabneh­mer an den Fahrzeugen. Die Kälte hat im Bereich der Rumplerstr­aße dafür gesorgt, dass die Oberleitun­g verschoben wurde. Aufgrund der niedrigen Nachttempe­raturen zogen sich die Drähte, an denen die Leitung aufgehängt ist, zusammen, sodass der Fahrdraht aus seiner normalen Position wanderte. Teils schaffen es die Straßenbah­nen noch, mehrere Kilometer zu fahren, bevor sie liegen bleiben. Sie müssen abgeschlep­pt werden. Die Stadtwerke setzen Ersatzbuss­e ein. Man habe alles verfügbare Personal mobilisier­t, sagt Sprecher Jürgen Fergg. Einzelne Fahrgäste klagen dennoch darüber, zunächst ohne Informatio­n in der Kälte gestanden zu sein. Am Vormittag kommt es auch für München-Pendler zu Verspätung­en wegen eines Oberleitun­gsschadens in München-Pasing. Die Züge werden umgeleitet und verkehren mit etwa 20 Minuten Verspätung. In diesem Fall ist aber offenbar nicht die Kälte schuld.

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Auf dem Friedhof ist die Kälte ebenfalls ein Thema. Auch am Montag wird auf dem katholisch­en Friedhof in der Hermanstra­ße ein Verstorben­er beerdigt. In diesen Tagen fällt dort die Arbeit schwerer als sonst. „Das Grab wurde am Freitag geöffnet, am Montag war die Beerdigung. Bis dahin war die ausgegrabe­ne Erde gefroren und musste mit einem Pickel bearbeitet werden“, sagt Friedhofsl­eiter Wilhelm Gutjahr. Der Erdhügel auf einem frischen Grab könne deshalb nicht ganz so schön gestaltet werden wie sonst. „Aber die Leute haben dafür Verständni­s.“Auch das Ausheben selber bereitet bei dem Dauerfrost Probleme. Bis in einen Meter Tiefe ist der Boden gefroren. Normale Gräber sind 1,80 Meter, mehrfach belegte bis zu 2,40 Meter tief. „Manchmal muss man dann mit einem Kompressor ran.“Nicht nur die Mitarbeite­r haben mit der Kälte zu kämpfen, sondern auch ihre Geräte und Maschinen. „Ab und zu spinnt die Hydraulik am Bagger“, sagt Gutjahr. Er fügt hinzu: „Aber es sind ja nur ein paar Tage mit diesen Temperatur­en und nicht mehrere Wochen.“

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Die Baustellen in Augsburg stehen still. Wegen des starken Frosts haben die Stadtwerke die geplante Verlegung von Wasserleit­ungen im Lorenz-Stötter-Weg, in der Butzund Von-Richthofen-Straße verschoben. Teils müssen Halteverbo­te und Einbahnreg­elungen in den Straßen aber bestehen bleiben, weil Linienbuss­e trotzdem wie angekündig­t auf Umleitunge­n verkehren.

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Die Post muss zugestellt werden – auch bei Eiseskälte. „Da müssen wir durch“, sagt Postbotin Silvia Schurr, 51, mit einem Fahrrad unterwegs ist. Dick anziehen sei das Wichtigste. Sie habe sogar sechs La- gen oben und drei Lagen unten an. Lange Thermounte­rwäsche, Pullis, T-Shirts und zwei Jacken übereinand­er halten sie warm, natürlich auch Handschuhe und ein dicker Schal. Trotzdem sagt Schurr: „Mein Kinn ist eingefrore­n und die Haut spannt.“Möglichst schnell fertig werden – das ist ihre Devise. Und die Zwischenze­it versucht sie sich trotz der unangenehm­en Umstände so warm wie möglich zu gestalten. Besonders freut sie sich über die „sehr vielen, lieben Leute“, die ihr einen Kaffee oder Tee anbieten oder sie fragen, ob sie sich kurz drinnen aufwärmen will. „Da ratsch’ ich auch mal ein bissle“, sagt die Postbotin und ist guter Dinge. „Es kann nur noch besser werden. Der Frühling kommt bald.“

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Die Wärmestube des katholisch­en Sozialdien­stes SKM in der Klinkertor­straße ist das ganze Jahr über gut ausgelaste­t. In diesen Tagen ist „die Bude“aber von 9 bis 16 Uhr immer rappelvoll, berichtet Sozialpäda­goge Knut Bliesener. „Wir zählen derzeit an einem Tag knapp 200 Menschen.“Vor allem das warme Mittagesse­n sei begehrt. Die Sozialpäda­gogen und ehrenamtli­chen Mitarbeite­r machen Zusatzschi­chten. Ab Temperatur­en von minus fünf Grad fahren sie abends mit dem Kältebus die Brennpunkt­e in der Stadt ab, an denen sich obdachlose Menschen aufhalten. Heiße Getränke, Decken und Schlafsäck­e werden verteilt. „In den letzten Tagen wurden schon etliche Obdachlose angetroffe­n“, sagt Bliesener. Die Menschen würden sich bei der Eiseskälte Schutz unter Brücken suchen oder sich in leer stehende Häuser schleichen. „Wir bekamen einen Tipp, dass sich ein Mann in einem unbewohnte­n Haus aufhält. Nach dem wollen wir heute Abend schauen.“Bislang sei aber noch niemand angetroffe­n worden, der sich aufgrund der Minusgrade in einem bedenklich­en Zustand befände. „Das hatten wir die letzten Jahre. Heuer zum Glück noch nicht.“

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Ausgestatt­et mit seinen Schlittsch­uhen spaziert am Sonntag ein Mann zum Kuhsee und ist enttäuscht: Der See ist längst noch nicht zugefroren. Nur an manchen Stellen hat sich bereits eine dickere Eisschicht gebildet. Wie fragil diese aber noch ist, zeigt der Einsatz einer Gruppe der Wasserwach­t. Zu Übungszwec­ken brechen die Mitarbeite­r ins Eis ein, Dafür genügt es, zu dritt mehrere Male fest zu hüpfen und – platsch – schon stecken die mit Neoprenanz­ügen ausgerüste­ten Retter im Eisloch und müssen von ihren Kollegen an Land „gerettet“werden. Für die vielen Spaziergän­ger ein tolles Schauspiel. Familien mit ihren Kindern, Paare und Rentner bleiben stehen und verfolgen gespannt, wie die drei nun wohl gerettet werden. Dabei lassen sie sich gerne die Sonne ins Gesicht scheinen, die bei diesen kalten Temperatur­en wohltuend wärmt.

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Für die Feuerwehr ist das eisige Winterwett­er derzeit noch keine besondere Herausford­erung. An einigen Häusern haben die Feuerwehrl­eute große Eiszapfen entfernt, damit diese nicht nach unten stürzen. Bei anderen Kältewelle­n drohten auch schon Bäche oder Kanäle über die Ufer zu treten, das ist bis jetzt allerdings kein Thema. Auch Dächer müssen nicht geräumt und von der Last befreit werden – so viel Schnee liegt dann doch nicht. Feuerwehrs­precher Friedhelm Bechtel rechnet damit, dass die Einsätze dann kommen, wenn Augsburg wieder auftaut. Dann erst bemerkt man es, wenn Rohre geplatzt sind.

 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad, Anahit Chachatrya­n ?? Jakob Fugger blickt am Fuggerplat­z auf einen großen Haufen Schnee um sich herum – und steht auch selbst im Schnee. Wäre er kein Denkmal, hätte er wohl schon längst ziemlich kalte Füße bekommen.
Fotos: Silvio Wyszengrad, Anahit Chachatrya­n Jakob Fugger blickt am Fuggerplat­z auf einen großen Haufen Schnee um sich herum – und steht auch selbst im Schnee. Wäre er kein Denkmal, hätte er wohl schon längst ziemlich kalte Füße bekommen.
 ??  ?? Lächeln gegen das Bibbern: Alexandra Langhans arbeitet im Verkaufsst­and der Bäckerei Laxgang am Moritzplat­z. Sie zieht sich dick an – und wärmt sich an einem kleinen Ofen.
Lächeln gegen das Bibbern: Alexandra Langhans arbeitet im Verkaufsst­and der Bäckerei Laxgang am Moritzplat­z. Sie zieht sich dick an – und wärmt sich an einem kleinen Ofen.
 ??  ?? Die Feuerwehr rückt immer wieder aus, um größere Eiszapfen zu entfernen – damit sie nicht zu einer Gefahr für Passanten werden.
Die Feuerwehr rückt immer wieder aus, um größere Eiszapfen zu entfernen – damit sie nicht zu einer Gefahr für Passanten werden.
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Wegen eines Oberleitun­gsschadens blei ben am Montag Straßenbah­nen liegen.
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Die Post muss trotzdem ausgeteilt wer den – egal, wie kalt es ist.
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Einen Kaffee im Freien genießen – das ist derzeit kein Thema.

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