Augsburger Allgemeine (Land West)

Genossen sind sauer auf Nahles, Gabriel & Co.

Beim SPD-Stammtisch in Diedorf gab es Anfang des Jahres viele kritische Stimmen zu einer Regierungs­beteiligun­g in Berlin. Hat sich die Stimmung nach dem Vorliegen des Koalitions­vertrags verändert?

- VON TOBIAS KARRER

Diedorf Ginge es nach den Mehrheitsv­erhältniss­en am Stammtisch der Diedorfer Sozialdemo­kraten, hätte die Große Koalition auf Bundeseben­e keine Chance. Zwei lange Tische in der Sportgasts­tätte sind an diesem Abend voll besetzt.

Stimmen gegen eine Regierungs­beteiligun­g überwiegen. Die Diedorfer kritisiere­n die Parteispit­ze, wünschen sich weiterhin ein schärferes Profil für die SPD und sprechen sich für eine Minderheit­sregierung aus.

An dieser grundsätzl­ichen Stimmung hat sich in den letzten Wochen nichts verändert. Bereits beim Stammtisch vor einem Monat gab es vor allem kritische Stimmen zum Ergebnis der Sondierung­en. Wie ist jetzt die Meinung zum vorliegend­en Koalitions­vertrag? Das war Thema beim Stammtisch im Februar. Außerdem anwesend: die Juso-Bezirksvor­sitzende und Augsburger Stadträtin Anna Rasehorn und drei ihrer Juso-Kollegen. Sie wollen mit dem Ortsverein über die Zukunft der Partei diskutiere­n und für eine Stimme gegen die Große Koalition werben. Die Abstimmung­skarten haben alle Mitglieder schon zu Hause liegen. Einige haben ihre Stimme schon abgegeben.

„Ich habe den Brief bekommen und direkt gegen die GroKo gestimmt“, sagt Maria Prues. Das für die Fraktionsv­orsitzende der SPD im Diedorfer Gemeindera­t ist, dass es nach den Verhandlun­gen über den Koalitions­vertrag „zuerst an die Futternäpf­e ging.“Damit meint sie, dass sich die Spitze der SPD gute Posten gesichert hat, ohne das Votum der Basis abzuwarten. Viele der Genossen am Stammtisch stimmen ihr zu. „Nahles, Gabriel und Schulz sollten gehen“, bekräftigt Hermann Schwank. Walter Prues kritisiert vor allem das Verhalten von Andrea Nahles: „Bätschi und auf die Fresse – das ist nicht mein Sprachgebr­auch.“Und der Ortsvorsit­zende Walter Pecher sagt: „Die SPD wird von oben zerstört.“

Auch die anwesenden Jusos haben Probleme mit der Führung ihrer Partei. Sie stehe der Erneuerung der SPD im Weg, sind sich Anna Rasehorn und ihre Kollegen sicher. Die Parteispit­ze wolle die Regierungs­beteiligun­g um jeden Preis und unterdrück­e deshalb die Stimmen gegen die GroKo, so der Tenor. „Seit Monaten werden wir mit Mails überflutet, in denen steht, wie toll der Koalitions­vertrag ist“, klagt Jungsozial­ist Vincent Bentle. Die Gegner hätten diese Möglichkei­ten „Das ist ein Spiel von oben herab“, sagt er.

Die GroKo und der mittlerwei­le vorliegend­e Vertrag sind das zweite heiße Thema des sozialdemo­kratischen Stammtisch­es in Diedorf. „Nach der Großen Koalition verlieren wir eigentlich immer an Stimmen“, sagt Anna Rasehorn. In den Augen vieler Wähler unterschei­de sich die SPD nicht mehr von der Union. „Wir müssen uns hinsetzen und an langfristi­gen Visionen arbeiten“, so die Stadträtin aus Augsburg. Im aktuellen Papier gebe es wenige gute Punkte, doch sie wolle sich nicht mehr „mit Bröckchen zufriedeng­eben“, betont sie.

Auch die Genossen aus Diedorf kritisiere­n das Papier. Der Koalitions­vertrag sei voller bedeutungs­loser Absichtser­klärungen, sagt Walter Prues, und Hermann Schwank fehlt das Profil der SPD in dem Dokument. Die Sozialdemo­kraten zweifeln außerdem daran, dass die Ziele ihrer Partei umgesetzt werden. Anna Rasehorn gibt zu bedenken, dass die Abschaffun­g der sachgrundl­osen Befristung und das Rückkehrre­cht von Teilzeit auf Vollzeit schon 2013 im Vertrag standen, aber nie durchgeset­zt wurden.

Auch über Alternativ­en zur Großen Koalition diskutiert der Stammtisch. Im Mittelpunk­t steht dabei eine Minderheit­sregierung mit Angela Merkel an der Spitze. Maria Prues sieht diese Form der RegieSchli­mmste rung als Chance, „dass im Parlament endlich wieder richtig diskutiert wird.“Zustimmung kommt von vielen. Juso Vincent Bentle sagt: „Die Minderheit­sregierung bringt die politische Ausführung wieder in den Bundestag, wo sie hingewählt wurde.“Eine Regierungs­form, in der aktiv für Mehrheiten geworben werden muss, sieht er als Chance, „die rechten Ränder zurückzudr­ängen.“Mittlerwei­le war die Juso-Delegation bei 17 Ortsverein­en. Die Tendenz gehe gegen die GroKo. Die Basis habe den Wunsch, die Partei zu erneuern, sagt Anna Rasehorn. Juso-Mitglied Stefan Wirth benicht. fürchtet, dass die Große Koalition trotzdem kommt: „Die aktiven Mitglieder der Partei werden mehrheitli­ch gegen die GroKo stimmen, die passiven in der Mehrheit dafür.“Dafür macht der Jura-Dozent aus Augsburg die einseitige Kampagne der Parteispit­ze verantwort­lich.

Unabhängig vom Ausgang des Mitglieder­votums wollen die Jusos allerdings weiter an der Erneuerung der Partei arbeiten. „Es geht uns nicht nur um die GroKo, sondern vor allem um die Zukunft der SPD“, sagt Vincent Bentle. Im Diedorfer Ortsverein haben die Jusos Unterstütz­er gefunden.

 ?? Archivfoto: Jens Wolf, dpa ?? Die Genossen haben noch ein paar Tage für die Abstimmung Zeit. Der Entscheid der SPD Mitglieder über den Koalitions­vertrag mit CDU und CSU soll noch bis zum 2. März stattfinde­n.
Archivfoto: Jens Wolf, dpa Die Genossen haben noch ein paar Tage für die Abstimmung Zeit. Der Entscheid der SPD Mitglieder über den Koalitions­vertrag mit CDU und CSU soll noch bis zum 2. März stattfinde­n.
 ??  ?? Anna Rasehorn
Anna Rasehorn

Newspapers in German

Newspapers from Germany