Augsburger Allgemeine (Land West)
Wieviel Sorgfalt, wieviel Druck braucht Musik?
Drei verfemte Komponisten erklangen zum Augsburger Brechtfestival
Der komplette Wahnsinn nationalsozialistischer Rassen-Ideologie muss dem wie Schuppen von den Augen fallen, der die erlesen-gewandte Musik des unpolitischen, christlich getauften Mendelssohn Bartholdy hört. Eine WillkürHerrschaft ordnete sie nach 1933 aus Hass dem jüdischen Kulturkreis zu, ohne dies auch nur ansatzweise erklären zu können – woraus gegebenenfalls ja sowieso nichts zu folgern wäre in qualitativer Hinsicht.
Nun stand Mendelssohn Bartholdys „Schottische Sinfonie“auf dem Programm der philharmonischen Konzerte – eben als Beispiel verfemter Musik der NS-Zeit, zusammen mit ebenfalls gebrandmarkten Werken von Kurt Weill (1. Sinfonie) und Paul Hindemith (Violinkonzert 1939). Anlass: das Augsburger Brechtfestival mit seiner von jeher auch politisch ausgerichteten Programmatik.
Schade jedoch, dass ausgerechnet Mendelssohn nicht jene Sorgfalt entgegengebracht wurde, wie sie bei den Augsburger Philharmonikern, seit Jahren Standard ist. Dazu war der Gastdirigent Hermann Bäumer allzu geladen. Nahezu durchgängig peitschte er die Musik voran; und sein Temperament und seine Tempi ließen kaum instrumentale Präzision, Deckungsgleichheit und vorbereitete Ablösungen zu, und schon gar nicht die benötigte souveräne Ruhe. Nicht, dass er die einzelnen Sätze attacca aufeinanderfolgen ließ, ist ihm vorzuwerfen, wohl aber, dass er notwendiges Ausmusizieren, Aussingen quasi unterband. Ausnahme: zweiter Teil des Adagios. Hier fand die Musik einmal zu sich selbst. Ansonsten hatten die Philharmoniker, ein wenig zugespitzt formuliert, wenig Chancen. Mitunter fiel dem Chronisten auch das Wort „Brechstange“ein.
Dass aber Druck, ja Unerbittlichkeit sehr wohl auch musikalische Kategorien sein können, zeigte Kurt Weills 1. Sinfonie, ein spätromantisch bis hochexpressiv und frühsachlich tönendes Werk, eine nervöse, brodelnde Großstadtsinfonie. Allein, wer einige der Vortragsanweisungen der Partitur kennt, weiß, wie hier Musik zu erklingen hat: „sehr wild“, „anstürmend“, „abstürzend“. Das kam Bäumler und damit den Philharmonikern weit, weit besser entgegen.
Der Glanzpunkt aber im 5. Sinfoniekonzert, das war der „halbe“Augsburger Geiger Linus Roth mit überragender Musikalität, sensationeller Technik und perfekter Tonreinheit auf seiner Stradivari. Ihm gelang gleichsam das Plädoyer eines Staranwalts für Hindemiths Violinkonzert 1939 – komponiert aus geigerischer Praxis heraus, aufbauend auf Bach und vor allem Brahms. Die elegische, herbe Süße, die Roth in atmenden Spannungsbögen verbreitete: vollendet.