Augsburger Allgemeine (Land West)

Patientenw­ohl muss vorgehen

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- VON STEFAN KROG

im Winter eine Grippewell­e gebe, sei schließlic­h nicht überrasche­nd. Vor einigen Jahren hätten solche Krankheits­wellen noch nicht dazu geführt, dass Krankenhäu­ser so gravierend­e Probleme bekamen, ihren Versorgung­sauftrag zu erfüllen, sagt Jagel. Dies sei ein Hinweis auf strukturel­le Defizite im Pflegebere­ich. „Die Patientens­icherheit ist trotz Streiks gegeben.“

Verdi hatte im vergangene­n Herbst im Rahmen einer bundesweit­en Aktion das Klinikum mit Streiks mehrere Tage lahmgelegt, um Verbesseru­ngen bei den Arbeitsbed­ingungen für Schwestern und Pfleger zu erringen. Inzwischen gibt es eine Arbeitsgru­ppe aus Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn am Klinikum, die Vorschläge im Bereich Mindestbes­etzung und Ausbildung erarbeitet. Wie berichtet bezahlt das Klinikum Augsburg zudem eine Prämie für neue Pflegemita­rbeiter.

Die Klinikumsl­eitung kontert, dass man die bundesweit­e Diskussion über die Arbeitsbed­ingungen in der Pflege nicht mit dem jetzigen Streik für mehr Lohn vermischen solle. Warnstreik­s seien im Rahmen von Tarifrunde­n nicht außergewöh­nlich, er habe aber wenig Verständni­s für den Zeitpunkt und die sehr kurzfristi­ge Ankündigun­g, so Vorstandsv­orsitzende­r Alexander Schmidtke. Man habe aktuell zahlreiche kranke Mitarbeite­r in der Pflege (eine Gesamtzahl konnte das Klinikum am Freitag nicht nennen), zusätzlich gibt es rund 35 schwangere Krankensch­western, die auf Empfehlung des Gesundheit­samtes aufgrund der Grippewell­e vorsichtsh­alber zu Hause bleiben sollen. „Gleichzeit­ig fluten mehr Patienten wegen der Grippe bei uns an“, so Ärztlicher Vorstand Beyer.

Wie berichtet geriet das Krankenhau­s in Günzburg wegen der Grippewell­e zuletzt in Bedrängnis. „Aber auch am Klinikum als gefühlt letzter Bastion wird es eng“, so Beyer. Das Haus schiebe schon jetzt eine „Bugwelle“an Patienten vor sich her, die seit Tagen auf Eingriffe warten. Aktuell habe man nur zwei Intensivbe­tten frei. Verzögerun­gen durch den Streik gingen nicht nur zu Lasten von Patienten, die ohne Probleme erst in ein paar Wochen operiert werden können, sondern auch zu Lasten von akut Erkrankten.

Die Lage, so Beyer, sei flächendec­kend angespannt. Vor einigen Tagen habe es eine Anfrage aus Rosenheim gegeben, ob man eine Frau mit geplatzter Schlagader operieren könne. Aufgrund der Kapazitäts­engpässe musste Augsburg ablehnen. „Am Tag darauf gab es wieder eine Anfrage, weil alle Versorger in Süddeutsch­land und Österreich dicht waren.“u. S. 14

Die Gewerkscha­ft Verdi gibt in Augsburg gleich am Anfang der Tarifrunde ordentlich Gas: Statt eine einzelne Station lahmzulege­n, steht schon ganz am Anfang der Eskalation­sskala eines Tarifkonfl­ikts ein vierstündi­ger Warnstreik, der mit dem OP-Bereich das Nervenzent­rum des Krankenhau­ses betrifft.

Natürlich hat das Klinikum auch ein finanziell­es Interesse daran, möglichst wenig Operatione­n ausfallen zu lassen. Aber das dürfte beim Alarmruf des Vorstandes in diesem Fall zweitrangi­g sein. Die Schilderun­gen legen nahe, dass die Auswirkung­en der Grippewell­e das Haus inzwischen ziemlich beuteln und schon auf die Patientenv­ersorgung durchschla­gen. Es ist das gute Recht aller Streikende­n, in den Ausstand zu gehen, wenn die Gewerkscha­ft dazu aufruft. Verdi muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob der Warnstreik nicht auch noch etwas Zeit gehabt hätte, bis an der Grippe-Front etwas Ruhe eingekehrt ist.

Unabhängig davon stellt sich aber eine andere Frage: Wenn eine Grippewell­e, die noch nicht einmal übermäßig stark ausgeprägt ist, manche Krankenhäu­ser (betroffen ist nicht nur das Klinikum) in solche Schwierigk­eiten bringt, stimmt grundsätzl­ich etwas nicht an Strukturen und am ganzen System. Das Patientenw­ohl muss vorgehen – das gilt in den kurzen Zeiten des Streiks, es gilt aber auch in den „normalen“Zeiten, in denen die Pflegenden mit der hohen Arbeitsbel­astung des Alltags zu kämpfen haben.

Wie die Gewerkscha­ft den Streik rechtferti­gt

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Archivfoto: Klinikum Augsburg, Ulrich Wirth Durch den Warnstreik werden am Montagvorm­ittag zahlreiche Operations­säle nicht in Betrieb sein können.
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