Augsburger Allgemeine (Land West)
Patientenwohl muss vorgehen
Skro@augsburger allgemeine.de
im Winter eine Grippewelle gebe, sei schließlich nicht überraschend. Vor einigen Jahren hätten solche Krankheitswellen noch nicht dazu geführt, dass Krankenhäuser so gravierende Probleme bekamen, ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen, sagt Jagel. Dies sei ein Hinweis auf strukturelle Defizite im Pflegebereich. „Die Patientensicherheit ist trotz Streiks gegeben.“
Verdi hatte im vergangenen Herbst im Rahmen einer bundesweiten Aktion das Klinikum mit Streiks mehrere Tage lahmgelegt, um Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen für Schwestern und Pfleger zu erringen. Inzwischen gibt es eine Arbeitsgruppe aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern am Klinikum, die Vorschläge im Bereich Mindestbesetzung und Ausbildung erarbeitet. Wie berichtet bezahlt das Klinikum Augsburg zudem eine Prämie für neue Pflegemitarbeiter.
Die Klinikumsleitung kontert, dass man die bundesweite Diskussion über die Arbeitsbedingungen in der Pflege nicht mit dem jetzigen Streik für mehr Lohn vermischen solle. Warnstreiks seien im Rahmen von Tarifrunden nicht außergewöhnlich, er habe aber wenig Verständnis für den Zeitpunkt und die sehr kurzfristige Ankündigung, so Vorstandsvorsitzender Alexander Schmidtke. Man habe aktuell zahlreiche kranke Mitarbeiter in der Pflege (eine Gesamtzahl konnte das Klinikum am Freitag nicht nennen), zusätzlich gibt es rund 35 schwangere Krankenschwestern, die auf Empfehlung des Gesundheitsamtes aufgrund der Grippewelle vorsichtshalber zu Hause bleiben sollen. „Gleichzeitig fluten mehr Patienten wegen der Grippe bei uns an“, so Ärztlicher Vorstand Beyer.
Wie berichtet geriet das Krankenhaus in Günzburg wegen der Grippewelle zuletzt in Bedrängnis. „Aber auch am Klinikum als gefühlt letzter Bastion wird es eng“, so Beyer. Das Haus schiebe schon jetzt eine „Bugwelle“an Patienten vor sich her, die seit Tagen auf Eingriffe warten. Aktuell habe man nur zwei Intensivbetten frei. Verzögerungen durch den Streik gingen nicht nur zu Lasten von Patienten, die ohne Probleme erst in ein paar Wochen operiert werden können, sondern auch zu Lasten von akut Erkrankten.
Die Lage, so Beyer, sei flächendeckend angespannt. Vor einigen Tagen habe es eine Anfrage aus Rosenheim gegeben, ob man eine Frau mit geplatzter Schlagader operieren könne. Aufgrund der Kapazitätsengpässe musste Augsburg ablehnen. „Am Tag darauf gab es wieder eine Anfrage, weil alle Versorger in Süddeutschland und Österreich dicht waren.“u. S. 14
Die Gewerkschaft Verdi gibt in Augsburg gleich am Anfang der Tarifrunde ordentlich Gas: Statt eine einzelne Station lahmzulegen, steht schon ganz am Anfang der Eskalationsskala eines Tarifkonflikts ein vierstündiger Warnstreik, der mit dem OP-Bereich das Nervenzentrum des Krankenhauses betrifft.
Natürlich hat das Klinikum auch ein finanzielles Interesse daran, möglichst wenig Operationen ausfallen zu lassen. Aber das dürfte beim Alarmruf des Vorstandes in diesem Fall zweitrangig sein. Die Schilderungen legen nahe, dass die Auswirkungen der Grippewelle das Haus inzwischen ziemlich beuteln und schon auf die Patientenversorgung durchschlagen. Es ist das gute Recht aller Streikenden, in den Ausstand zu gehen, wenn die Gewerkschaft dazu aufruft. Verdi muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob der Warnstreik nicht auch noch etwas Zeit gehabt hätte, bis an der Grippe-Front etwas Ruhe eingekehrt ist.
Unabhängig davon stellt sich aber eine andere Frage: Wenn eine Grippewelle, die noch nicht einmal übermäßig stark ausgeprägt ist, manche Krankenhäuser (betroffen ist nicht nur das Klinikum) in solche Schwierigkeiten bringt, stimmt grundsätzlich etwas nicht an Strukturen und am ganzen System. Das Patientenwohl muss vorgehen – das gilt in den kurzen Zeiten des Streiks, es gilt aber auch in den „normalen“Zeiten, in denen die Pflegenden mit der hohen Arbeitsbelastung des Alltags zu kämpfen haben.
Wie die Gewerkschaft den Streik rechtfertigt