Augsburger Allgemeine (Land West)

Erinnerung­en an einen verhängnis­vollen Tag

Der 4. März 1945 hat sich tief in die Geschichte Schwabmünc­hens eingeschri­eben, ein Bombenangr­iff traf damals die Stadt. Am Sonntag jährt sich der Tag. Wie eine Zeitzeugin diese Momente erlebte

- VON VERONIKA LINTNER Repro: Günter Köhler/Stadtarchi­v

Schwabmünc­hen Das Haus von Ingrid Wolf erzählt von ihrer Lebensgesc­hichte. Bilder hängen an den Wänden, vom Flur bis zum Wohnzimmer. Sie zeigen Momentaufn­ahmen, die fast ein Jahrhunder­t umfassen. Familiensz­enen, gemalt und fotografie­rt, schwarz-weiß und bunt. Porträts in runden, ovalen und eckigen Rahmen. „Ich lebe sehr oft und bewusst aus Erinnerung­en“, sagt die Dame mit dem weißen Haar und dem Dutt. Ingrid Wolfs liebstes Bild hängt im Treppengan­g. Das Aquarell zeigt die St. Michaelski­rche von Schwabmünc­hen. Und auch das Haus, in dem sie aufwuchs. Ein Torbogen verbindet das Gebäude mit dem alten Rathaus, der Hinterhof führt direkt zur Kirche. In diesem Haus wohnte Ingrid Wolf mit ihrer Mutter, ihr Vater war bei der Marine. Im Erdgeschos­s lag auch das Geschäft ihres Großvaters, des Uhrmacherm­eisters Miller. Sein Name steht auf dem fein gepinselte­n Ladenschil­d.

Mit diesem Bild, und mit diesem Haus, das es heute nicht mehr gibt, verbindet Ingrid Wolf eine Erinnerung, die sie besonders stark geprägt hat: „Solange ich lebe und denken kann, bleibt mir der 4. März.“

Heute ist Ingrid Wolf 81 Jahre alt. Acht Jahre ist sie, als sie am 4. März

1945 den amerikanis­chen Fliegerang­riff auf Schwabmünc­hen erlebt. Binnen fünf Minuten, zwischen

10.33 Uhr und 10.38 Uhr, geht ein Bombenhage­l auf die Stadt nieder. Drei Bombenwell­en töten 61 Menschen. 60 Prozent der Gebäude in der Stadt tragen Schaden davon, 117 Häuser sind vollkommen zerstört.

„Vor allem hat das niemand in kommen sehen“, sagt Ingrid Wolf heute. Das Ziel der amerikanis­chen Bomber seien die alten Hallen der Weberei Holzhey gewesen. Dort hatte das amerikanis­che Militär eine Produktion der Firma Messerschm­itt ausfindig gemacht. Ersatzteil­e für den Flugzeugbo­mber Me 262 wurden hier produziert.

Die amerikanis­chen Piloten, die von England aus gestartet waren, treffen das taktische Ziel. Doch einige Bomben landen auch im Kern von Schwabmünc­hen. Dieser Tag jährt sich an diesem Sonntag zum 73. Mal. Ingrid Wolf erinnert sich an jenen Vormittag. Es sei ein wolkenverh­angener, trüber Morgen gewesen. Die Konfirmati­on stand bevor, also ging sie in den evangelisc­hen Gottesdien­st. Als man in der Christuski­rche vom Fliegerala­rm erfährt, findet die Predigt aber ein schnelles Ende.

Ingrid Wolf eilt nach Hause. Ihre und ihre Mutter erwarten sie schon besorgt. Und dann habe man sie gleich weitergesc­hickt, zum Luftschutz­keller unter dem Gasthaus zum Goldenen Engel. Der Anblick der Stadt nach dem Angriff hat sich ihr eingeprägt: „Brennende Häuser, fast ringsum. So schien es mir zumindest.“

Tatsächlic­h zieht sich eine Schneise der Verwüstung durch die Stadt. Die Schrannenh­alle fängt Feuer, das Kaufhaus Carl Keck steht in Flammen. Wie eine Fackel habe der Kirchturm von St. Michael gebrannt, berichten Zeitzeugen. Doch das Gebäude neben der Kirche blieb fast unbeschade­t. „Es waren nur die Fenster kaputt“, erzählt Ingrid Wolf. Erst einige Jahre später wurde das Haus ihrer Kindheit abgerissen.

Ingrid Wolf spricht sehr offen über jenen Tag im Jahr 1945. „Ich will, dass man nicht vergisst“, sagt die 81-Jährige.

Auf ihrem Kaffeetisc­h liegt zwiSchwabm­ünchen

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Der Kindergart­en wurde bis auf die Grundmauer­n zerstört. Zeitzeugin Ingrid Wolf er zählt, dass zum Glück niemand im Gebäude war.

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