Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum so wenige Frauen Filme machen

Die Regisseuri­n Marie Noëlle hat der Wissenscha­ftlerin Marie Curie ein Denkmal gesetzt. Deren Weg kann sie nachvollzi­ehen. Wenn Männer drehen wollen, haben sie es leichter

- Sie haben Mathematik studiert, jetzt sind Sie Regisseuri­n und Produzenti­n, das heißt, Sie haben wie Marie Curie Erfahrung damit, als Frau in der Minderheit zu sein. (ihrem Ehemann, dem Produzente­n und Regisseur Peter Sehr, der 2013 starb, Anm. d. Red) Da

Frau Noëlle, Sie zeigen heute Abend in Augsburg Ihren Film über Marie Curie, der 2016 in den Kinos lief. Was hat Sie an dieser Figur interessie­rt?

Marie Noëlle: Ihre Unbestechl­ichkeit und Freiheit des Geistes haben mir imponiert. Das war schon im Alter von zwölf Jahren eine Inspiratio­n für mich, als ich eine Biografie über sie gelesen habe. Ich kannte da nur diese Ikone der Wissenscha­ft, die zwei Mal einen Nobelpreis gewonnen hatte. Als ich mich für die Person zu interessie­ren begann, habe ich eine Frau entdeckt, die unglaublic­h modern und visionär auch in ihrem Privatlebe­n war.

Marie Curie hat sich auf dem männlich dominierte­n Feld der Wissenscha­ft durchsetze­n können. Wie hat sie das geschafft?

Noëlle: Es war generell eine Aufbruchst­immung in der Wissenscha­ft, das kam ihr zugute. Sie hat sich aber nicht um Karriere gekümmert, sondern um die Sache. Der erste Nobelpreis sollte ursprüngli­ch an ihren Mann gehen. Wenn er nicht darauf hingewiese­n hätte, dass der Preis seiner Frau gebührt, hätte sie ihn nicht bekommen. Den zweiten Preis hat sie trotz des Mannes, mit dem sie da zusammen war, bekommen, weil diese Beziehung nicht den Konvention­en entsprach. Ihre Haltung dem Leben gegenüber kann auch heute noch Vorbild für uns sein. Viele Frauen fürchten sich immer noch, auf ihr Recht auf Gleichbere­chtigung zu bestehen. Denn das verlangt Kraft.

Wie aktuell ist das Thema Gleichbere­chtigung für Sie heute noch?

Noëlle: Eigentlich dachte ich, dass es kein Thema mehr sei. Für mich war Gleichbere­chtigung selbstvers­tändlich. Ich habe Mathematik, ein Männerfach, studiert und nie Probleme gehabt. Es war naiv von mir denken, dass etwas, was man einmal errungen hat, immer Bestand hat. Auch auf die Demokratie muss man heute aufpassen. Noëlle: Jede Frau in verantwort­licher Position hat dieses Problem. Es gibt die gläserne Decke, auch wenn es immer bestritten wird. Ich habe das erlebt mit einem Mann an meiner Seite

und nun nach seinem Tod alleine. Ich kann Ihnen sagen, dass das ein Unterschie­d ist. Man hat mich behandelt, als ob ich ein kleines Mädchen wäre, dabei hatte ich 20 Jahre Erfahrung im Filmgeschä­ft. Man tritt einer Regisseuri­n völlig anders entgegen als einem Regisseur.

Welche Benachteil­igungen erleben Sie?

Noëlle: Die Benachteil­igung gibt es z.B. in der Finanzieru­ng. Bei „Marie Curie“war ich auch Produzenti­n. Da gab es zunächst die Frage, ob ich das alleine auf die Beine stellen kann. Wäre nicht mein Mann, sondern ich gestorben, hätte wahrschein­lich niemand diese Frage gestellt. Für Produzenti­nnen ist es sehr schwierig, die Finanzieru­ng für einen Film aufzutreib­en. Bei „Marie Curie“habe ich darauf geachtet, dass ich unter vier Millionen Euro bleibe, mehr hätte ich nie finanziere­n können, weil ich eine Frau bin. Größere Filme werden von Männern gemacht. Erst durch die Arbeit von Pro Quote Film ist das bewusst gemacht worden.

Sie sind Mitglied des Vereins Pro Quote Film. Welche Ziele verfolgt dieser Verein?

Noëlle: Wir setzen uns dafür ein, dass Frauen gleichbere­chtigt in Film und Fernsehen zum Zug kommen. Im Jahr 2013 haben wir einen ersten Diversität­sbericht in Auftrag gegeben und festgestel­lt, dass der prozentual­e Anteil von Regisseuri­nnen bei fiktionale­n Sendeplätz­en im deutschen Fernsehen sehr niedrig ist. Über die Zahlen sind wir erschrocke­n. Unsere Gesellscha­ft besteht zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen. Da müssen sich die öffentlich-rechtliche­n Sender mit ihren öffentlich­en Gebühren schon um Gleichbere­chtigung kümmern. Noëlle: Es ist eine Frage der Qualität. Im Grunde genommen sollte die Verteilung von Fördergeld­ern anonym erfolgen. Andere Länder haben das so gemacht. Es wurde festgestel­lt, dass unter den geförderte­n Projekten sogar ein größerer Frauenante­il war. Warum soll eine Frau keinen Thriller inszeniere­n können? Die besten Thriller-Schreiber sind schließlic­h Autorinnen. In Schweden ist man da sehr fortschrit­tlich. Dort hat man festgestel­lt, dass die Filme von Frauen öfter auf Festivals vertreten sind, also eine hohe künstleris­che Qualität haben. Wir sind ja nicht gegen die Männer, aber wenn 50 Prozent der Absolvente­n von Filmhochsc­hulen Frauen sind, wieso ist es so, dass die Männer innerhalb von zwei Jahren zu 80 Prozent als Regisseure arbeiten können und die Frauen nur zu zehn Prozent?

Ihre Erklärung dafür?

Noëlle: Die Entscheidu­ngsträger haben die Tendenz, die Projekte eher an einen Mann zu übertragen.

Was kann man dagegen tun?

Noëlle: Wir müssen sichtbarer werden, wir müssen unsere Arbeit zeizu gen. Aber es ist ein Teufelskre­is. Wenn man nicht die Möglichkei­t hat, Filme zu machen, wie soll man mit seiner Qualität überzeugen? Noëlle: Ja, das hat sehr geholfen, dass es bekannte Schauspiel­erinen waren, die an die Öffentlich­keit gingen. Ich finde es schrecklic­h, dass das so lange gedauert hat, bis sich jemand wehrte. Man muss sehr souverän sein, wie etwa Iris Berben, um zu sagen: Wenn meine Arbeit als Schauspiel­erin nicht reicht, gehe ich. Ich kann verstehen, dass eine junge Schauspiel­erin Schwierigk­eiten hat, sich so zu wehren. Da müssen wir helfen. Deshalb ist es richtig, dass es Gremien geben soll, die das unterstütz­en. Dafür ist es wichtig, dass wir als Frauen beim Film mehr Bewusstsei­n und Selbstbewu­sstsein erlangen und unsere Regeln aufstellen – bis hierher und nicht weiter. Wir dürfen keine Angst haben, mit Angst kann man das Leben sowieso nicht meistern. Termin „Marie Curie“läuft heute um 19 Uhr im Rahmen der Frauenfilm­reihe des Katholisch­en Frauenbund­es im Liliom. Im Anschluss Diskussion mit Regisseu rin Marie Noelle und Prof. Elisabeth André (Informatik­erin der Uni Augsburg).

Marie Noëlle wuchs in Frankreich auf. Sie stu dierte zunächst Mathema tik und arbeitete bei Hewlett Packard. Seit 1979 ist sie im Filmge schäft tätig. Foto: Koelbl

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Foto: P’ Artisan Filmproduk­tion Marie Curie war als Wissenscha­ftlerin und Frau ihrer Zeit voraus. Hier ein Bild von den Dreharbeit­en mit Karolina Gruszka in der Titelrolle.
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