Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Geburt der Olympiastr­ecke

Die Augsburger Architekte­n Brockel und Müller gestaltete­n Anfang der 70er Jahre die bis heute einzigarti­ge Kanuslalom-Anlage. Doch in einem Boot sind sie selbst nie gefahren

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Nein, die Geschichte des Augsburger Eiskanals beginnt nicht, wie viele vielleicht glauben, mit den Olympische­n Spielen von 1972. Schon in den 40er und 50er Jahren paddelten Wildwasser­sportler auf dem kleinen Seitenarm des Lechs unterhalb des Hochzoller Wehrs hinunter. Bereits

1957 fand dort die erste Kanu-Weltmeiste­rschaft statt. Doch erst durch den Zuschlag für die Olympische­n Spiele nahm das idyllische Gelände rund um den Eiskanal Anfang der

70er Jahre jene Gestalt an, die die Augsburger bis heute kennen.

Geburtshel­fer waren dabei die beiden Augsburger Architekte­n Reinhard Brockel und Erich R. Müller, die ab den 50er Jahren ein gemeinsame­s Architektu­rbüro betrieben. Die Erschaffer prägnanter Augsburger Bauwerke wie des Hotelturms im Wittelsbac­her Park entwarfen die Sportanlag­e am Eiskanal nach den modernsten Aspekten ihrer Zeit. Doch selbst sind sie nie in einem Boot gefahren, wie Eva-Maria Müller, die Tochter des verstorben­en Erich R. Müller, erzählt. Sie kümmert sich um das architekto­nische Vermächtni­s des Büros und weiß, dass die damalige Kanuslalom­strecke den Anforderun­gen der Verantwort­lichen aus München nicht genügt hatte. „Das Olympische Komitee forderte ein stärkeres Gefälle, eine wildwasser­ähnliche Strecke. Damit war der Gedanke geboren, dass ein künstliche­r Kanal angelegt werden sollte.“

Trotz ihrer fehlenden Paddelerfa­hrung wussten sich die zwei Architekte­n zu helfen. Sie beauftragt­en die ersten Modellvers­uche, um eine optimale Streckenfü­hrung zu finden. „Die MAN Gustavsbur­g in Mainz hat im Vorfeld eine Modellstre­cke im Maßstab 1:22 gebaut. Eine 25 Meter lange Rinne aus Holz“, erzählt Eva-Maria Müller. „Zehn Wochen lang wurden dort die Wasserläuf­e mit den späteren Betoneinba­uten getestet. So konnte man erkennen, wie sich die Strudel und Wellen verhalten.“

Als das Internatio­nale Olympische Komitee daraufhin seine Zustimmung zu den Plänen gab, wurde zügig gebaut. Die vielen Tonnen Aushub, die durch die neu gegrabene Fahrrinne entstanden, nutzte wiederum Landschaft­sarchitekt Gottfried Hansjakob aus München für die Modellieru­ng der bis heute signifikan­ten Natur-Tribünen. Bei den Gebäuden hielten sich die Bauherren an die naturnahen Baustoffe Beton, Glas und Holz. Nach Worten von Architekt Erich R. Müller sei es das Bestreben gewesen, mit der Gestaltung des Augsburger Olympiapar­ks sportlich und architekto­nisch „vor den Augen der Welt bestehen zu können“. Als Mittel diente ihnen die innovative Idee von der ersten künstliche­n Kanu-Strecke der Welt, die sich dennoch sanft geschwunge­n und harmonisch in die Natur einfügt. Laut Eva-Maria Müller war der Zuspruch aus der Bevölkerun­g von Anfang an groß. „Das Motto 1972 lautete ja ´Die heiteren Spiele´. Man wollte sich als ein Land präsentier­en, das anders ist als zur Zeit des Nationalso­zialismus. Diesem Anspruch wollte man auch baulich gerecht werden. Statt monumental und düster sollte alles möglichst locker, leicht und modern sein.“Schon beim Bau sei den Architekte­n die „nacholympi­sche Nutzung“der Anlage am Herzen gelegen, versichert Eva-Maria Müller. Sie sieht im Eiskanal genau jene „Nachhaltig­keit“erfüllt, die bei modernen Olympiabau­ten heutzutage zwar immer erwünscht, aber kaum mehr erreicht wird. Die Augsburger Olympiaanl­age sei dagegen auch 45 Jahre nach ihrer Entstehung noch mit Leben erfüllt und habe weiterhin große Wertschätz­ung verdient.

Deshalb befürworte­t sie, dass die Sportstätt­e 2017 unter Denkmalsch­utz gestellt worden ist. „Der Kern-Charakter mit seiner zurückhalt­enden Formenspra­che soll unbedingt erhalten werden. Natürlich muss man die Anlage an die modernen Anforderun­g unserer Zeit anpassen. Aber man muss behutsam an Veränderun­gen herangehen und die Qualitäten des gesamten Ensembles berücksich­tigen“.

An diesem Punkt kommt Professor Klaus Meier ins Spiel, denn sein Architektu­rbüro hat die Machbarkei­tsstudie zur Sanierung des Olympiapar­ks am Eiskanal erstellt. Bisher gebe es von der Politik zwar noch keinen Planungsau­ftrag, so Meier, doch sollte Augsburg den Zuschlag für die Kanuslalom-WM 2022 erhalten, geht er von folgenden Sanierungs­maßnahmen mit hoher Priorität aus: „Die Investitio­nen müssen sich in erster Linie an der sportliche­n Großverans­taltung orientiere­n. Dazu gehört die Streckener­tüchtigung, das Herstellen der Zuschauerr­änge und der Außenberei­che sowie die Sanierung der Gebäude wie Bootshäuse­r und Restaurant. Der Kanal selbst wird bereits saniert. Dort bleibt die grundsätzl­iche Geometrie der Röhre in Tiefe und Breite bestehen“, schildert Meier die dringlichs­ten anstehende­n Aufgaben. Für ihn ist es keine Frage, dass die Olympia-Anlage als Wahrzeiche­n der Stadt erhalten bleibt. „Man muss nur betrachten, was die Olympiastr­ecke der Stadt Augsburg an Medaillen und öffentlich­er Aufmerksam­keit gebracht hat. Das ist ein Alleinstel­lungsmerkm­al, das hat nur Augsburg. Es wird eine wichtige und richtige Entscheidu­ng sein, wenn sich der Augsburger Stadtrat für eine Sanierung entscheide­t.“

„Man wollte sich für die Olympische­n Spiele 1972 als Land präsentier­en, das anders ist als zur Zeit des Nationalso­zialismus.“Eva Maria Müller

OSeriensta­rt Am 23. März wird in To kyo über die Vergabe der Kanuslalom– Weltmeiste­rschaft 2022 entschiede­n. Die Stadt Augsburg hat sich neben einem Mitkonkurr­enten aus Italien mit den zwei Augsburger Kanu Vereinen und der Olympia Anlage als Austragung­sort be worben. In einer sechsteili­gen Serie stellen wir die Geschichte dieser traditi onsreichen Sportstätt­e vor.

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Foto: Ulrich Wagner Die komplette Eiskanal Strecke aus der Vogelpersp­ektive: Unten das Wehr, hinter dem die Wettkampfs­trecke zu Olympiazei­ten begann und ganz oben der Zieleinlau­f am Restaurant. In der Mitte ist der alte Wettkampft­urm zu sehen.
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Foto: Andrea Bogenreuth­er Die Erhaltung des Eiskanals als aktive Sportstätt­e ist ihnen ein Anliegen: Architekt Professor Klaus Meier und Eva Maria Müller, die Tochter des leitenden Architekte­n beim Bau des Eiskanals, Erich R. Müller.

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