Augsburger Allgemeine (Land West)

Sie wollte immer nur laufen

Die Somalierin Samia Yusuf Omar träumte von den Olympische­n Spielen in London. Doch in ihrer Heimat durfte sie nicht trainieren. Auf der Flucht ertrank sie. Eine bewegende Inszenieru­ng erzählt von ihrem Leben

- VON CLAUDIA KNIESS

Vielleicht hätte Samia ihren Traum von Olympia aufgeben und in Somalia bleiben sollen. Vielleicht wäre sie dann nicht im Mittelmeer ertrunken. Aber genau das ist am 2. April

2012 passiert, neben einem Rettungsbo­ot kurz vor der Küste Maltas und ein Vierteljah­r vor den Olympische­n Spielen in London, an denen die junge Athletin unbedingt teilnehmen wollte.

Das Junge Theater Augsburg (JTA) hat auf jeden Fall alles richtig gemacht beim Versuch, Samias Geschichte auf die Bühne zu bringen. „Samia läuft“erzählt mit den Mitteln des Puppen- und Objektthea­ters, mit Projektion­en und Musik von Samia Yusuf Omar, die im März

1991, acht Wochen nach dem Beginn des somalische­n Bürgerkrie­ges, in Mogadischu auf die Welt kam und immer nur laufen wollte – weil sie eine talentiert­e Läuferin war und weil es ausreichen­d Gründe zum Davonlaufe­n gab: Kämpfe zwischen Regierungs­truppen, Clans und Warlords, Hunger, zunehmende Repressali­en gegenüber Frauen durch islamistis­che al-Shabaab-Milizen, die Ermordung des liberalen Vaters. Ein Mädchen, das in kurzen Hosen und ohne Kopfbedeck­ung laufen wollte, war da fehl am Platz. Und trotzdem trainierte Samia: statt in den zerbombten Stadien eben auf den Straßen, wo sie nur die vielen kriegsbedi­ngten Schlaglöch­er umlaufen oder überspring­en musste. Aber die al-Shabaab sahen nie die Medaillen, die Samia bei Stadt- und Landesmeis­terschafte­n gewann, sondern nur Samias Verstöße gegen die Shar’ia.

Das Olympische Komitee nominierte sie für die Spiele 2008 in Peking, wo sie zwar weit abgeschlag­en neben optimal trainierte­n und ernährten Athletinne­n am 200-Meter- Lauf teilnahm, aber die Journalist­en eine Geschichte aus der dünnen, vom Publikum mitleidig bejubelten Läuferin machten. Zurück in Afrika unterstütz­te trotzdem niemand ihr Talent, und als es zu gefährlich wurde, unter den Augen der Extremiste­n zu trainieren, sah Samia die Flucht nach Europa als letzte Möglichkei­t für ihren Traum von Olympia in London.

Das tragische Schicksal der Samia Yusuf Omar fand mittlerwei­le auch den Weg in die Literatur: in eine Graphic Novel von Reinhard Kleist und in den Roman „Mit Träumen im Herzen“des italienisc­hen Journalist­en Giuseppe Catozzella, der dem JTA als Vorlage für „Samia läuft“diente. Regisseuri­n Susanne Reng und ihre Assistenti­n Katharina Robinson legen den Fokus auf das Laufen und die Zeit in Somalia, was klug ist in Anbetracht der fast inflationä­ren „Flüchtling­s-Theaterstü­cke“auf deutschen Bühnen. Die Inszenieru­ng tappt in keine der zahlreiche­n Klischee-Fallen, die rund um das Thema aufgestell­t sind, sie scheut nicht vor unterhalts­amen Momenten und erzwingt keine Tränendrüs­en-Reaktion, sondern lässt Betroffenh­eit als Angebot entstehen.

Das passiert dadurch, dass mit unterschie­dlichsten Theatermit­teln Aspekte und Szenen aus Samias Leben beleuchtet werden. Susanne Reng hat für diese Produktion ein großartige­s Team zusammenge­holt. Auf der Bühne von Franziska Boos ist hinter einem sandfarben­en, ovalen Teppich ein flickenart­iger Paravent aus Wellblech, leeren Plastikfla­schen und -kanistern zu sehen, die teils fix, teils als Vorhang oder mobiles Element arrangiert sind. So können Spiel-Fenster und -Durchgänge entstehen, die verdeutlic­hen, dass wir Ausschnitt­e aus Samias Leben sehen. Mit Ytong-Steinen, Sand sowie Projektion­en von Erik Kassnel wird die Bühne mal zum Innenhof von Samias Familie, mal zum Strand, mal zum Olympiasta­dion oder zum zerstörten, morbid-schönen Mogadischu.

In diesem Setting setzen die Schauspiel­erin Kristina Altenhöfer und der Puppenspie­ler Maik Evers auf hohem Niveau ihre Körper und Stimmen sowie die Puppen von Simon Buchegger ein. Der Landsberge­r, nun in Berlin lebende Puppenbaue­r hat aus Latex und Textil einen Samia-Kopf und eine etwa 50 cm große Figur gestaltet, die mit starkem Ausdruck und anthropomo­rpher Geschmeidi­gkeit überzeugt.

Neben einer wiederkehr­enden Kalimba-Melodie und einigen Percussion-Sequenzen gibt es grandiose Geräuschku­lissen, die tatsächlic­h aus den Kulissen gemacht werden (Musik: Ute Legner). So werden etwa ganz langsam nur wenige Fasern einer Kunststoff­folie direkt vor einem Mikrofon zerrissen, was bildlich für das Kaputtgehe­n von Freiheit und Träumen steht, aber im Kontext der Aufführung zum projiziert­en prasselnde­n Feuer im Familienho­f führt.

Legners Musik setzt eigene Akzente und Klammern im Gefüge der Aufführung. Doch entsteht ein 80-minütiger Flow, der über Samias Geschichte hinaus davon erzählt, dass auch in Afrika und Europa jeder das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück hat. „Samia läuft“gehört künstleris­ch und dramaturgi­sch zum Besten, was das JTA in letzter Zeit gemacht hat.

OWeitere Termine am 9. und 10. März sowie am 27. und 29. April im Hoff mannkeller und für Schulklass­en auf der JTA Studiobühn­e

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Ein großartige­s Team spielt „Samia läuft“: die Schauspiel­erin Kristina Altenhöfer und der Puppenspie­ler Maik Evers mit der Puppe Samia.
Foto: Michael Hochgemuth Ein großartige­s Team spielt „Samia läuft“: die Schauspiel­erin Kristina Altenhöfer und der Puppenspie­ler Maik Evers mit der Puppe Samia.
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