Augsburger Allgemeine (Land West)

Rakete sucht Umlaufbahn

Es ist sehr schwer, die richtige Schule für einen Viertkläss­ler zu finden. Und dann holt einen auch noch die Vergangenh­eit ein

- 48, lebt in Augsburg und hat einen Sohn im Alter von neun Jahren. Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Radlerlebe­n“mit Ansichten und Geschichte­n aus dem Leben eines Radfahrers.

wäre. Denen Elternbeir­atsvorsitz­ende Mut für die Entscheidu­ng zusprechen, weil sie es sich selbst einst auch nicht leicht gemacht hätten und sie genau wüssten, wie man sich gerade so fühle. Und dann ziehen alle im Pulk durch das jeweilige Schulhaus, um die Ausstattun­g einer kritischen Prüfung zu unterziehe­n. Eine Sternwarte, aha. Musikinstr­umente zum Ausleihen, wie interessan­t, gibt es auch...

An einem Abend hat ein Schulleite­r diesen Eltern einen schönen Satz geschenkt: „Ihre Kinder sind kleine Raketen, die sich auf den Weg machen.“Da betrachtet man sein Kind noch einmal mit ganz anderen Augen und kommt dennoch um den eigentlich­en Knackpunkt nicht herum: Wie soll man um Himmels willen die Kurve einer Rakete berechnen, die gerade erst neun Jahre auf dem Buckel hat? Ein Infoabend, der nächste Infoabend und schon soll eine Entscheidu­ng her, die einem die Rakete, wenn es schief läuft, in ein paar Jahren um die Ohren schlagen wird.

„Du sag mal“, fragt man also nach so einem Infoabend in bewusst beiläufige­m Ton und in der leisen Hoffnung auf ein paar An- haltspunkt­e: „Was hat dir denn besonders gut gefallen?“Und erhält sofort wegweisend­e Informatio­nen: „Also, der Kickerraum war echt super.“Oder: „Die Schulband war schon cool.“Oder: „Vulcanus deus est! Ich kann jetzt Latein“. Damit klar: Die Rakete kreist bei diesen Abenden auf einem ganz anderen Orbit.

Kein Wunder, dass Eltern hohen Gesprächsb­edarf über familiäre Entscheidu­ngsmodelle haben. Bei einer Freundin sieht’s so aus: „Meine Tochter darf frei entscheide­n, diese Methode hat bei meinem Sohn auch geklappt.“Bei einem Kollegen: „Meine Tochter hat 50 Prozent der Stimmen, meine Frau und ich jeweils 25 Prozent.“Eine andere Freundin hat schon Infoabende besucht, als ihr Kind noch in der dritten Klasse war, um sich einen nachhaltig­eren Eindruck verschaffe­n zu können. Da kann keiner sagen, Eltern nähmen die Zukunft ihrer Kinder auf die leichte Schulter. Und passiert es bei dieser Rundtour unweigerli­ch, dass man nach Jahren zum ersten Mal auch an seine eigene alte Schule zurückkehr­t. „Siiie!“, rief der ehemalige Biologiele­hrer, als er vom Mikroskop aufblickte, das er gerade einem Kind erklärt hatte. „Sie werde ich nie vergessen, Sie haben ja so schamlos gespickt ...“

Da hat dann meine kleine Rakete seine Mutter auf einmal mit ganz anderen Augen angesehen. Öhäm, wie jetzt nur die Kurve kriegen?

Doris Wegner, ***

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