Augsburger Allgemeine (Land West)

Klirrende Kälte

- VON FRANZISKA OTTLIK klartext@augsburger allgemeine land.de

Jeder Winter ist kalt, aber dieser ist besonders. Nach langer Wärmeperio­de wird es endlich mal Winter. Hart gefrorener Schnee knirscht unter meinem Rollstuhl. Eine warme Decke und eine Wärmflasch­e halten mich kuschelig warm. Ich genieße es, die frierenden Menschen an mir vorüberhas­ten zu sehen. Eilig, schnell, schnell zur Arbeit. Dabei hat die Natur einen anderen Plan. Winterzeit ist Ruhezeit. Alles wird langsamer, Stille kehrt ein. Die Zeit ist gekommen, innerlich für Ordnung zu sorgen. Kannst du denn noch Stille ertragen? Gibst du dir Zeit, deine Gedanken aufsteigen zu lassen? Das solltest du, denn nur so kannst du deine Seele reinigen. Es ist wie bei einem vermüllten Haus, im Laufe der Jahre sammelt sich Dreck an. Putz ordentlich alles durch und reinige deine Fenster. Denn nur ein klarer Blick kann die Welt richtig erfassen. Die meisten Menschen sehen Probleme, weil ihre innere Schau falsch ist. Sie haben einen verzerrten Blick. Jeder ungute Gedanke hinterläss­t eine Schmutzspu­r, jeder liebevolle Gedanke reinigt. Ach, ich wünsche mir so sehr eine lichte Welt und bemerke gleichzeit­ig, dass ich selber ganz oft ungute Gedanken habe. Meistens sieht man die Fehler der anderen. Doch die eigenen werden nicht bemerkt. Jeder möchte sich toll fühlen, ich auch. Aber wisst ihr, dass Menschen mit Behinderun­g von der Gesellscha­ft als Fehlbilder gesehen werden. Es wird versucht, sie gesund zu operieren. Hauptsache, die Fassade stimmt. Wir werden manchmal gehalten wie dumme kleine Zwerge und hin und her geschubst. Kann man doch nicht ernstnehme­n, einen Menschen mit einem Spatzenhir­n. Ja, so geht es mir oft. Nur die Menschen, die mich kennen, wissen, wie ich wirklich bin. Und du, lieber Leser, weißt es jetzt auch. Ganz schön moralisch, hihi. Ich darf das, hihi, bin ja schließlic­h behindert, oder doch eigentlich weise? Wer beurteilt es? Keiner darf es. Nur ich muss lernen, mit mir zufrieden zu sein, und das wünsche ich dir auch.

OFranziska Ottlik ist 23 Jahre alt und von Geburt an schwerbehi­ndert. Sie ist halbseitig gelähmt und kann nicht sprechen, sondern nur Laute von sich geben. In unserer Kolumne schreibt Franziska über ihren Alltag mit Behin derung. Wer mehr über sie erfahren will, schaut auf ihren Blog: www.franziskao­ttlik.wordpress.com.

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