Augsburger Allgemeine (Land West)

Setzt die SPD Olaf Scholz aufs Kanzler-Gleis? Debatte

Statt ihrer größten Talente schicken die Sozialdemo­kraten neben dem neuen Finanzmini­ster und Vizekanzle­r fünf Ergänzungs­spieler ins Kabinett. Das könnte dem Neuanfang der Partei schaden

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Die schwer gebeutelte SPD will endlich wieder das Siegen lernen und setzt dabei voll auf Olaf Scholz. Als Chef im mächtigen Finanzress­ort, als Vizekanzle­r und Anführer der sechs SPD-Minister in der schwarz-roten Bundesregi­erung soll er in den kommenden Jahren zum Aushängesc­hild sozialdemo­kratischer Politik aufgebaut werden. Und ganz offensicht­lich zum Kanzlerkan­didaten.

Demoskopen wie Forsa-Chef Manfred Güllner sehen in dem nüchtern-geradlinig­en Hamburger schon lange den Genossen mit den größten Chancen, der nächste SPDRegieru­ngschef nach Gerhard Schröder zu werden. Auch Andrea Nahles, die als Fraktions- und designiert­e Parteichef­in formal das erste Zugriffsre­cht auf die Kanzlerkan­didatur hätte, scheint eingesehen zu haben, dass sie mit ihrer bisweilen schrill-krawallige­n Art nicht annähernd das Potenzial von Scholz besitzt. An dieser Erkenntnis hat sich offenbar die Besetzung der Kabinettsp­osten orientiert. Das halbe Dutzend SPD-Minister ist ein Team Scholz. In dem es nur einen Star geben darf.

Trotz oder vielmehr gerade wegen seiner enormen Popularitä­t musste deshalb der beliebte Außenminis­ter Sigmar Gabriel das Feld räumen. Ein zweites, nicht kontrollie­rbares Machtzentr­um um den Instinktpo­litiker aus Niedersach­sen könnte das Projekt, mit Scholz nach dem Kanzleramt zu greifen, gefährden. Beliebthei­t schützt im mörderisch­en Politgesch­äft nicht vor Amtsverlus­t.

Martin Schulz weg, Gabriel weg – so kann Olaf Scholz glänzen. An finanzpoli­tischer Kompetenz mangelt es ihm nicht, vor allem aber darf er künftig fast auf Augenhöhe mit einer Kanzlerin agieren, die den Zenit ihrer Macht überschrit­ten hat und aller Voraussich­t nach kein weiteres Mal antreten wird. Als ihr Vize kann sich Scholz vorzüglich als ihr Nachfolger in Stellung bringen. Die anderen fünf SPD-Minister dürfen ihm dabei zuarbeiten.

Mit dem bisherigen Justizmini­ster Heiko Maas wird einer, der schon im kleinen Saarland keine Wahl gewinnen konnte, neuer Außenminis­ter. Obwohl das Amt quasi die Garantie für steigende Beliebthei­tswerte mit sich bringt – Maas dürfte Scholz nicht gefährlich werden. Mit Katarina Barley wäre das womöglich anders gewesen. Sie wird als ausgesproc­hen sympathisc­h, wenn auch harmlos wahrgenomm­en. Auf dem internatio­nalen Parkett hätte sie sicher eine gute Figur gemacht. Doch in der SPD darf in den kommenden Jahren niemand Olaf Scholz überstrahl­en. So muss Barley mit dem Justizmini­sterium vorliebneh­men, das sie von Maas erbt.

Hubertus Heil, der das Arbeitsund Sozialmini­sterium übernimmt, gilt mit 45 Jahren noch als junger Politiker – und ist in der SPD doch einer aus der alten Garde. Zweimal rackerte er sich als Generalsek­retär durch anstrengen­de Bundestags­wahlkämpfe. Auch wenn es die beiden erfolglose­sten der SPD aller Zeiten waren – manchmal wird Kärrnerarb­eit eben doch noch belohnt. Heil zählt wie Scholz zu den Konservati­ven in der Partei und kommt aus ihrem niedersäch­sischen Talentschu­ppen – wie einst Gerhard Schröder.

Umweltmini­sterin Svenja Schulze ist in der Bundespoli­tik dagegen noch ein unbeschrie­benes Blatt. Ihre Ernennung verdankt sie vor allem dem Umstand, dass sie dem größten SPD-Landesverb­and NordrheinW­estfalen entstammt. Franziska Giffey, bisher Bürgermeis­terin des Berliner Problembez­irks Neukölln, könnte für die Sozialdemo­kraten sofort sehr wichtig werden. Die künftige Familienmi­nisterin stammt aus Ostdeutsch­land, wo die Probleme der SPD besonders groß sind. Und sie ist eine Genossin, die auf Recht und Ordnung setzt, Probleme der Migration offen anspricht – was viele Bürger bei der SPD zuletzt vermisst hatten. Sie mag die bunte Ausnahmeer­scheinung sein in der recht blassen Truppe, die die SPD ins Kabinett schickt.

Echte personelle Überraschu­ngen fehlen, Vertreter der Parteilink­en und GroKo-Gegner wie Kevin Kühnert von den Juso bleiben außen vor. Statt einer Auswahl der größten Talente wird eine brave Mannschaft nominiert, damit Kapitän Olaf Scholz aus ihr herausrage­n kann. Auch der inhaltlich­e Kurs der SPD ist damit vorgezeich­net: Verlässlic­h, regierungs­fähig, eher wirtschaft­sfreundlic­h, mehr Mitte als links, keine Experiment­e. Für die Große Koalition sind das nicht die schlechtes­ten Voraussetz­ungen. Ob mit dem Rezept aus Gerhard Schröders Zeiten auch der erfolgreic­he Neustart der an Schwindsuc­ht leidenden Volksparte­i gelingt, steht auf einem anderen Blatt.

 ?? Foto: Daniel Bockwoldt, dpa ?? Vorboten einer möglichen Kanzlerkan­didatur: Olaf Scholz soll in der SPD Minister riege die fünf anderen Genossen überstrahl­en.
Foto: Daniel Bockwoldt, dpa Vorboten einer möglichen Kanzlerkan­didatur: Olaf Scholz soll in der SPD Minister riege die fünf anderen Genossen überstrahl­en.

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