Augsburger Allgemeine (Land West)

Jetzt auch aus dem Theater twittern?

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger allgemeine.de „Intermezzo“ist unsere KulturKolu­mne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefalle­n ist.

Es ist rätselhaft, wie das funktionie­rt: am Sonntagabe­nd den Tatort schauen und gleichzeit­ig darüber schreiben, nämlich auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter im Internet. Normalerwe­ise würde man davon ausgehen, dass es sich um eine Entweder-oder-Entscheidu­ng handelt, dass man entweder schaut oder schreibt, im Regelfall erst schaut und dann schreibt. Aber auf Twitter sieht man eindeutig die Belege dafür, dass das gleichzeit­ig geht. Da heißt es etwa, während der letzte Schwarzwal­d-Tatort gerade auf das Ende zusteuerte: „Gibt es schon eine Selbsthilf­egruppe, der ich vor dem Ende beitreten kann?“oder „Boah, wieder so ein Experiment­al-Tatort – ich bin raus“oder „Warum werden beim Tatort neuerdings immer Pimmel gezeigt, die man nicht sehen will?“.

Noch während der Krimi läuft, legt sich eine zweite Ebene darüber, in der das Gesehene im Moment kommentier­t wird. Um am Ball zu bleiben, müssen beide Ebenen gleichzeit­ig beobachtet werden. Da muss es neuerdings ein spezielles Training geben, die beiden Augen getrennt voneinande­r arbeiten zu lassen, eines verfolgt den Krimi und eines den Twitter-Strom, im Kopf wird gleichzeit­ig sowohl das eine als auch das andere verarbeite­t. Was für eine Leistung, wow!

Ob das Theater Augsburg ahnt, was für Meister der Gleichzeit­igkeit es mit seiner letzten Ausgabe des Theatermag­azins angesproch­en hat? Diese stand ja im Zeichen von Twitter. Die neuen Stücke wurden nur noch mit einem Strom von kurzen Statements vorgestell­t.

Ob das eine Aufforderu­ng ist, dass das Schauen-und-Schreiben auch in den Theatersäl­en Einzug halten soll? Dann wird es im Zuschauers­aal nicht mehr dunkel, weil das Auditorium fortan im Halblicht der Smartphone­s zu sehen ist. Alle sind gedanklich immer auf der Suche nach einer griffigen Formulieru­ng für das gerade Gesehene: „Hat jemand einen Regenschir­m für Reihe 1 dabei? Akuter Spritzwass­eralarm!“oder „Boah, da klappt die Kinnlade nach unten. Liebes Catering, heute die großen Gläser, mein Mund ist Wüste Gobi jetzt“oder „Wenn die hier noch einmal durchsagen, dass ich das Handy vor dem Stück ausstellen soll, bin ich raus. Das ist einfach nur oldschool“.

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