Augsburger Allgemeine (Land West)
Deutsch predigen und in Bankreihen sitzen
Aaron Guggenheimer, der letzte Rabbiner von Kriegshaber, war ein Reformer
Umsichtig und ausgleichend: So habe Aaron Guggenheimer (1793–
1872) in den 40 Jahren seines Rabbinats in Kriegshaber gewirkt. Moritz Bauerfeind vom Jüdischen Museum Frankfurt zählt Guggenheimer in seinem Vortrag zu den drei wichtigen Reformrabbinern im neu geordneten Bayern des 19. Jahrhunderts. Die Abschaffung des „alten Reiches“, in dem alle paar Kilometer neue Staats- und Gerichtsgrenzen den Alltag erschwerten, hatte
1813 mit dem sogenannten „Judenedikt“auch dem deutschen Judentum zu mehr Gleichberechtigung verholfen. Selbst wenn er weiterhin viele Bürgerrechte verweigerte, öffnete der Erlass neue „nützliche“Berufe für die jüdische Bevölkerung des Königreichs Bayern.
Im Erdgeschoss der ehemaligen Rabbinerwohnung der Synagoge Kriegshaber, in der Guggenheimer 40 Jahre lang wohnte, berichtete Bauerfeind über den Rabbiner, den eine französische Fachzeitschrift den „Doyen“unter den Reformrabbinern nannte. Er stammte aus Mittelfranken und hatte in der Talmudschule Fürth gelernt. 1819 wurde er zum Rabbiner des Distrikts Kriegshaber gewählt, zu dem auch die jüdischen Gemeinden Pfersee, Steppach, Schlipsheim und die jüdischen Familien in Augsburg gehörten. Er hatte sich gegen vier Mitbewerber durchgesetzt, wobei ihm die angekündigte Heirat mit der Tochter des verstorbenen Vorgängers einen Vorteil verschafft hatte.
Mit seinen Bemühungen, den neuen jüdischen Emanzipationsund Anpassungskurs des 19. Jahrhunderts auch in seinem Zuständigkeitsgebiet zwischen Oberdonau und Kriegshaber umzusetzen, stieß Guggenheimer wie viele Kollegen seinerzeit unter den Gemeindemitgliedern auf Widerstand. Viele wollten an den Traditionen festhalten: Gottesdienste auf Hebräisch statt auf Deutsch; die Pulte für die Männer im Synagogenraum durcheinander statt streng geordneter Bankreihen, die Rabbineransprache aus der Mitte des Raumes statt frontal von vorne.
1832 führte Guggenheimer, der auf Deutsch predigte, eine neue Synagogenordnung ein. Statt der Betpulte sollte in offenen Bankreihen Gottesdienst abgehalten werden – eine Reform, die erst 1862 abgeschlossen werden konnte. Einen Schwerpunkt seiner Amtszeit legte Guggenheimer auf die Lehre. Er erteilte Religionsunterricht an den Gymnasien St. Stephan und St. Anna. Nachdem sich die jüdische Gemeinde in Augsburg 1861 gegründet hatte, wurde das Distriktrabbinat dorthin verlegt. Guggenheimer war der letzte Rabbiner in Kriegshaber. Nach der Verlegung übernahm er ein Rabbineramt in Böhmen, wo er 1872 begraben wurde.