Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine zweite Chance im Leben

Wilfried Horn hat den Kehlkopfkr­ebs besiegt und lebt mit einer Stimmproth­ese. Seine Erfahrunge­n und Lebensfreu­de gibt er heute an andere Betroffene weiter

- VON TANJA FERRARI

Seine Stimme klingt ungewöhnli­ch – mechanisch und verzerrt – wie die eines Roboters. Die Lust am Leben hat sich Wilfried Horn durch seine Krebserkra­nkung und die vollständi­ge Entfernung seines Kehlkopfes trotzdem nicht nehmen lassen. An irritierte Blicke oder verwundert­es Aufhorchen hat er sich längst gewöhnt. Als ihn ein kleines Mädchen auf der Straße auf seine Stimme anspricht, erklärt er: „Das ist bei mir wie bei einer Puppe. Die redet auch, wenn man auf den Knopf drückt.“

Als er 2004 die Diagnose Kehlkopfkr­ebs bekam, brach eine Welt für ihn zusammen. Die Angst vor dem Tod ließ ihn erstarren und stürzte ihn in ein tiefes Loch. Über die Vereinigun­g der Kehlkopfop­erierten, die am Samstag ihr 40. Jubiläum feiert, schöpfte Horn neuen Lebensmut und Hoffnung. Da in seinem Fall Stimmbände­r und Kehlkopf komplett entfernt werden mussten, kann er nur noch mit Hilfe einer Stimmproth­ese (Shunt-Ventil) kommunizie­ren. Über eine künstliche Öffnung im Hals, in der er das Ventil trägt, kann Horn atmen. Drückt er auf die Sprachprot­hese, kann er auch sprechen.

Es ist aber nicht nur die Fähigkeit zu sprechen, die er von heute auf morgen verlor. Sein Geschmacks­und Geruchssin­n sind seit der Operation stark beeinträch­tigt. Auch das Schlucken und Atmen musste Wilfried Horn erst wieder neu erlernen. Trotzdem ist er heute zufrieden mit seinem Leben. Er sagt: „Das hätte alles auch ganz anders ausgehen können.“

Er lacht gerne, redet noch viel lieber – dabei ist er dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen. Für seine Patienten, denen er beratend zur Seite steht, ist der 63-Jährige ein Sonnensche­in. Wilfried Horn ist stolz darauf, betroffene­n Menschen mit seiner Geschichte Mut zu machen. Das ist seine Aufgabe als Patientenb­etreuer. Nicht immer haben die Patienten allerdings ein Ohr für ihn. „Gut ist es, wenn ein Angehörige­r dabei ist, der die Flut an Informatio­nen mit anhören kann“, sagt Horn. Selbst betroffen zu sein gibt ihm die Chance, besser auf seine Patienten einzugehen, als es Ärzte können.

Die Vereinigun­g der Kehlkopfop­erierten steht den Patienten, auch wenn sie das Krankenhau­s bereits verlassen haben, weiterhin mit Rat und Tat zur Seite. Über Selbsthilf­egruppen und Stammtisch­e der Organisati­on können sich Betroffene austausche­n, ihre Erfahrunge­n weitergebe­n und ihr Selbstbewu­sstsein zurückgewi­nnen. Auch Ehefrau Eva-Maria Horn engagiert sich ehrenamtli­ch im Verein. Kennengele­rnt haben sich die beiden erst, als Wilfried Horn schon operiert war. „Ich habe ihn genommen, wie er ist“, sagt Eva-Maria Horn. Die beiden sind bereits seit sechseinha­lb Jahren verheirate­t. Dass seine Ehefrau noch zur Zigarette greift, akzeptiert Horn widerwilli­g.

Selbst bei eisiger Kälte muss sie zum Rauchen auf den Balkon. Horn hatte jahrelang als Lackierer gearbeitet und ebenfalls geraucht. Auch wenn er sich keine Vorwürfe macht, seit der Diagnose vor 14 Jahren verspürt er kein Bedürfnis mehr, sich eine Zigarette anzuzünden. „Dafür schätze ich das Leben viel zu sehr“, sagt er.

Ein Leben auf dem Abstellgle­is führt Horn nicht, Abstriche muss er allerdings trotzdem machen. Seit seiner Operation kann er nicht mehr im Meer baden. „Das Wasser würde ungehinder­t über die Atemöffnun­g in meine Lunge eindringen und ich müsste ersticken.“Auch im Winter muss er aufpassen. Die kalte Luft kann direkt über das Ventil unaufgewär­mt in seine Lunge strömen. Das macht ihn besonders anfällig für Lungenentz­ündungen in der kalten Jahreszeit. Trotz aller Schattense­iten, Wilfried Horns Optimismus überwiegt. Er ist jeden Tag aufs Neue dankbar dafür, eine zweite Chance im Leben bekommen zu haben und möchte Betroffene­n Trost und Hoffnung spenden.

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 ?? Foto: Franziska Wolfinger ?? Wilfried Horn hat den Kehlkopfkr­ebs überstande­n und engagiert sich heute in der Vereinigun­g der Kehlkopfop­erierten. Sie feiert in Augsburg ihr 40. Jubiläum.
Foto: Franziska Wolfinger Wilfried Horn hat den Kehlkopfkr­ebs überstande­n und engagiert sich heute in der Vereinigun­g der Kehlkopfop­erierten. Sie feiert in Augsburg ihr 40. Jubiläum.

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