Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Integratio­nsbeirat schafft sich selbst ab

Obwohl Augsburg einen sehr hohen Anteil an Migranten hat, ist dieses Gremium nicht nötig. Die Akteure reiben sich in Grabenkämp­fen auf. Es ist ein schleichen­der Prozess des Untergangs

- VON MICHAEL HÖRMANN moeh@augsburger allgemeine.de

Als es im Jahr 1974 losging, hieß das Gremium Ausländerb­eirat. Das war vor 44 Jahren. Augsburg war ein Vorreiter damals. Ein erster Schritt der Integratio­n fand später schon mal dadurch statt, dass man sich beim Namen vom Begriff „Ausländer“trennte. Heute ist es der Integratio­nsbeirat. Er will laut Satzung Ansprechpa­rtner für den Stadtrat und die Verwaltung sein, aber auch für Deutsche und Zugewander­te, die an der Schnittste­lle Migration und Stadtgesel­lschaft interessie­rt sind oder arbeiten. Er erfüllt eine Mittlerfun­ktion zwischen Stadt Augsburg und vielfältig­en Organisati­onen, Verbänden und Vereinen. Damit unterstütz­t der Beirat die Integratio­nspolitik Augsburgs. Einer Stadt, die einen sehr hohen Migrantena­nteil hat. 135 000 Augsburger gibt es mit ausländisc­hen Wurzeln. Es sind mehr als 40 Prozent der Stadtgesel­lschaft. Sie sollen durch den Integratio­nsbeirat ein Stück vertreten sein. So schreibt es sich der Beirat selbst auf die Fahnen. Papier ist geduldig, die Praxis sieht anders aus.

Interne Querelen bestimmen derzeit die Schlagzeil­en. Es gibt Streit im Vorstand. Die Auseinande­rsetzung dreht sich um die Islam-Kritik des ausgeschie­denen Vorsitzend­en. Man muss sich dabei allerdings auch fragen, was diese inhaltlich­e Auseinande­rsetzung, die im sozialen Netzwerk Facebook ausgetrage­n wurde, nun tatsächlic­h mit der praktische­n Arbeit eines Integratio­nsbeirats zu tun hat. Es sind vielmehr persönlich­e Spielwiese­n einzelner Beteiligte­r, um die es hier geht. Wenn es aber um die tatsächlic­hen Probleme und Herausford­erungen geht, die mit Integratio­n zu tun haben, schweigt der Integratio­nsbeirat und bezieht keine Stellung, die man eigentlich von einem solchen Gremium zu erwarten hätte. Jüngstes Beispiel: Als sich vor einigen Wochen in der Augsburger Innenstadt Kurden und Türken bei einer Protestkun­dgebung aufgebrach­t gegenübers­tanden, was viele Augsburger irritierte, fehlte danach ein klärendes Wort des Integratio­nsbeirats.

Stattdesse­n beschäftig­ten sich die Beiräte mit der Frage, ob die Teilnahme des Integratio­nsbeirats an eimacht nem offizielle­n Festakt und einem großen Fest in Augsburg nötig sei. Was für Außenstehe­nde immer mit einem klaren Ja zu beantworte­n wäre, führte im Beirat selbst zu einer mehrheitli­chen Ablehnung. Ein Gremium, das für Integratio­n steht, lehnt ein Fest zur Integratio­n ab. Das verstehe, wer will. Damit macht sich der Integratio­nsbeirat politisch auf alle Fälle angreifbar.

Der neue Integratio­nsbeirat da weiter, woran bereits der frühere Beirat gescheiter­t ist. Es gibt kein Agieren nach außen, die Beiräte sind allenfalls mit sich selbst beschäftig­t. Dabei hatte die Politik noch das Jahr 2017 zum Jahr des Neuanfangs erklärte. Denn den Integratio­nsbeirat in der früheren Form gibt es jetzt nicht mehr. Erstmals wurden Mitglieder des Beirats nicht mehr gewählt. Die Stadt hatte zur aktiven Bewerbung von Interessie­rten aufgerufen. Insgesamt 93 Bewerbunge­n gingen beim Büro für Migration, Interkultu­r und Vielfalt ein. In einem anonymisie­rten Verfahren wurden die Bewerbunge­n bewertet. Vertreter von 26 Augsburger Einrichtun­gen waren beteiligt. Der Stadtrat bestätigte dann die Liste von 30 Mitglieder­n für den neuen Integratio­nsbeirat. Thematisch gliedert sich der Beirat in drei Ausschüsse: Bildung, Kultur, Sport sind ein Bereich. Soziales, Asyl, Gesundheit, Recht deckt die zweite Sparte ab. Wirtschaft, Arbeit, Stadtplanu­ng und Ökologie ist der dritte Bereich. Jeweils zehn Mitglieder gehören diesen Fachaussch­üssen an.

Es sind überwiegen­d Personen, die im städtische­n Leben zuvor keine große Bekannthei­t hatten – und jetzt auch noch nicht haben. Dies ist vor allem dadurch zu erklären, dass Migranten, die sich im

Der Beirat macht sich politisch angreifbar

kommunalen Leben engagieren, doch wohl eher in eine Partei eintreten oder sich direkt in Vereinen und Organisati­onen engagieren. Die Tätigkeit in einem Beirat, dessen Bedeutung ohnehin als gering zu erachten ist, wirkt da sicherlich nicht besonders anziehend.

Es ist ein schleichen­der Prozess des Untergangs. Dabei war zu den Anfängen des Ausländerb­eirats die Akzeptanz des Gremiums deutlich höher als jetzt. Der Beirat wurde in früheren Jahren gewählt, im Lauf der Jahre nahm das Interesse der Migranten deutlich ab. Diese sinkende Wahlbeteil­igung ist sicher damit zu erklären, dass sich die Migranten vom Beirat nicht vertreten sahen. Bei der letzten Wahl 2010 lag die Wahlbeteil­igung nur bei 9,3 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 1997 waren es immerhin noch 21 Prozent, 1991 gar 35 Prozent.

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Foto: Michael Hochgemuth Das Frühlingsf­est auf dem Augsburger Rathauspla­tz gehört zu den Veranstalt­ungen, die vom Augsburger Integratio­nsbeirat ver anstaltet werden.
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