Augsburger Allgemeine (Land West)

Drei Hochkaräte­r an 88 Tasten

Die 20. Neusässer Boogie-Woogie-Nacht begeistert die Besucher. Ulrike Hausmann sorgt dabei für eine extravagen­te Überraschu­ng

- VON THOMAS HACK

Neusäß Für die einen ist es die Königsdisz­iplin auf dem Piano, für die anderen schlichtwe­g ungenierte­r Rock ‘n’ Roll auf 88 Tasten. Für die Stadt Neusäß jedenfalls war es ein spannendes Jubiläum: Zum 20. Mal hat die große Boogie-Woogie-Nacht die Crème de la Crème dieses mitreißend­en Musikstils zusammenge­führt und die Stadthalle zum Beben gebracht.

Und nachdem der langjährig­e Gastgeber Peter Heger mit einigen wenigen Worten den diesjährig­en Tastenmara­thon eröffnet hatte, ging es sogleich mit rasenden Fingern auf dem Flügel zur Sache. Der Anfang gebührte diesmal dem Münchner Pianokünst­ler Matthias Heiligense­tzer, der nicht nur durch seinen extravagan­ten Anzug ein Leuchten auf die Bühne zauberte, sondern vor allem durch seine Fähigkeite­n auf den Tasten. Denn sicherlich nicht vielen Interprete­n gelingt es mit einer derartigen Bravour, die Nussknacke­r-Suite von Tschaikows­ki in flotte BoogieWoog­ie-Läufe zu verwandeln. Während seine rechte Hand die zarte Melodie des klassische­n Stücks nachzeichn­ete, war das linke Pendant ungestüm am Rocken und am Rollen, bis letztendli­ch alle zehn Finger zu einer berauschen­den Einheit zusammenfa­nden.

Ein weiteres Arrangemen­t präsentier­te sich als kongeniale Weiterentw­icklung des Blues, bei welchem die Tremolos selbst noch in den höchsten Tönen glockenrei­n in den Saal transporti­ert wurden.

Nach einem befreiende­n Zwischensp­iel namens „On the sunny side of the street“ließ es sich Heiligense­tzer dann doch nicht nehmen, nochmals einen musikalisc­hen Hummelflug in Zeitraffer auf das Publikum loszulasse­n, welcher sein grandioses Können auf dem BoogieWoog­ie-Piano in überzeugen­der Weise bestätigte.

Mit einem bayerische­n „Grüß Gott, miteinand!“meldete sich schließlic­h die zweite Überraschu­ng des Abends zu Wort: Mit Ulrike Hausmann betrat eine Künstlerin die Bühne, die sich ebenso als fasziniere­nd wie auch extravagan­t offenbarte. Mit ihrer energiegel­adenen Spielweise verwandelt­e sie Emotionen in Geschichte­n und ließ ihre Erlebnisse im Nachbarlan­d Frankreich nonchalant mit dem nostalgisc­hen Flair eines amerikanis­chen Westernsal­ons verschmelz­en. Die undurchsch­aubare Choreograf­ie, die während des Klavierspi­els ihre Beine und Cowboystie­fel vollführte­n, wird dabei wohl für immer ein Geheimnis ihrer ganz eigenen Genialität bleiben. Mit einem aufwühlend­en, mitunter aber auch sehr dissoschwa­rz-weißen nanten Arrangemen­t über eine Hamburger Hafenbar entließ das Dresdner Ausnahmeta­lent die Zuhörer schließlic­h in die Pause.

Im zweiten Teil des Abends trat dann erneut ein Hochkaräte­r vor das Publikum: Christian Willisohn, ein gestandene­s Urgestein, das in seinem Metier bereits Weltkarrie­re machte. Schon seine ersten Fingerläuf­e zeigten deutlich, dass für ihn Individual­ität statt Imitations­kunst zählte. Irgendwo zwischen Ray Charles, Louis Armstrong und ihm selbst angesiedel­t, lieferte der Boogie-Woogie-Meister eine Performanc­e ab, die wahrlich Gänsehaut erzeugte. Die wehmütigen Klänge von „Basin Street“schienen dabei nicht von seinen Händen, sondern geradewegs aus seinem Herzen zu kommen, indes sich sein exzentrisc­hes Fingerspie­l auf den Tasten ganz allmählich zu einer spannenden Sinfonie empor steigerte.

Wenn man bei seinen hypnotisie­renden Stücken für einen Moment die Augen schloss, konnte man kaum glauben, dass hier nur ein einziger Interpret zugange war, dessen Gesichtsau­sdruck ganz deutlich besagte: Ich spiele hier nicht, weil Publikum anwesend ist, sondern ich spiele hier, weil ich spiele. Als er seinen elektrisie­renden Klaviermar­athon schließlic­h mit einem Tastenschl­ag beendete, war seitens mancher Gäste ein regelrecht­es Aufatmen zu vernehmen, so als hätten diese die ganze Zeit über nicht gewagt zu atmen.

Die 20. Neusässer Boogie-Woogie-Nacht hatte letztendli­ch alles geboten, was sich die Fans dieser Königsdisz­iplin auf dem Klavier gewünscht hatten: Hochkaräti­ge Interprete­n, eine gesunde Mischung aller Genres und nicht zuletzt eine rundum mitreißend­e Konzertatm­osphäre.

 ?? Fotos: Thomas Hack ?? Matthias Heiligense­tzer gelang es mühelos, klassische Stücke in ungestümen Boogie Woogie zu verwandeln.
Fotos: Thomas Hack Matthias Heiligense­tzer gelang es mühelos, klassische Stücke in ungestümen Boogie Woogie zu verwandeln.
 ??  ?? Ein Ausnahmeta­lent der Meisterkla­sse: Christian Willisohn überzeugt mit seiner Stimme und wilden Improvisat­ionen auf den Tasten.
Ein Ausnahmeta­lent der Meisterkla­sse: Christian Willisohn überzeugt mit seiner Stimme und wilden Improvisat­ionen auf den Tasten.
 ??  ?? Mit Ulrike Hausmann überzeugt eine Frau in der Männerdomä­ne des Boogie.
Mit Ulrike Hausmann überzeugt eine Frau in der Männerdomä­ne des Boogie.

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