Augsburger Allgemeine (Land West)
Drei Hochkaräter an 88 Tasten
Die 20. Neusässer Boogie-Woogie-Nacht begeistert die Besucher. Ulrike Hausmann sorgt dabei für eine extravagente Überraschung
Neusäß Für die einen ist es die Königsdisziplin auf dem Piano, für die anderen schlichtweg ungenierter Rock ‘n’ Roll auf 88 Tasten. Für die Stadt Neusäß jedenfalls war es ein spannendes Jubiläum: Zum 20. Mal hat die große Boogie-Woogie-Nacht die Crème de la Crème dieses mitreißenden Musikstils zusammengeführt und die Stadthalle zum Beben gebracht.
Und nachdem der langjährige Gastgeber Peter Heger mit einigen wenigen Worten den diesjährigen Tastenmarathon eröffnet hatte, ging es sogleich mit rasenden Fingern auf dem Flügel zur Sache. Der Anfang gebührte diesmal dem Münchner Pianokünstler Matthias Heiligensetzer, der nicht nur durch seinen extravaganten Anzug ein Leuchten auf die Bühne zauberte, sondern vor allem durch seine Fähigkeiten auf den Tasten. Denn sicherlich nicht vielen Interpreten gelingt es mit einer derartigen Bravour, die Nussknacker-Suite von Tschaikowski in flotte BoogieWoogie-Läufe zu verwandeln. Während seine rechte Hand die zarte Melodie des klassischen Stücks nachzeichnete, war das linke Pendant ungestüm am Rocken und am Rollen, bis letztendlich alle zehn Finger zu einer berauschenden Einheit zusammenfanden.
Ein weiteres Arrangement präsentierte sich als kongeniale Weiterentwicklung des Blues, bei welchem die Tremolos selbst noch in den höchsten Tönen glockenrein in den Saal transportiert wurden.
Nach einem befreienden Zwischenspiel namens „On the sunny side of the street“ließ es sich Heiligensetzer dann doch nicht nehmen, nochmals einen musikalischen Hummelflug in Zeitraffer auf das Publikum loszulassen, welcher sein grandioses Können auf dem BoogieWoogie-Piano in überzeugender Weise bestätigte.
Mit einem bayerischen „Grüß Gott, miteinand!“meldete sich schließlich die zweite Überraschung des Abends zu Wort: Mit Ulrike Hausmann betrat eine Künstlerin die Bühne, die sich ebenso als faszinierend wie auch extravagant offenbarte. Mit ihrer energiegeladenen Spielweise verwandelte sie Emotionen in Geschichten und ließ ihre Erlebnisse im Nachbarland Frankreich nonchalant mit dem nostalgischen Flair eines amerikanischen Westernsalons verschmelzen. Die undurchschaubare Choreografie, die während des Klavierspiels ihre Beine und Cowboystiefel vollführten, wird dabei wohl für immer ein Geheimnis ihrer ganz eigenen Genialität bleiben. Mit einem aufwühlenden, mitunter aber auch sehr dissoschwarz-weißen nanten Arrangement über eine Hamburger Hafenbar entließ das Dresdner Ausnahmetalent die Zuhörer schließlich in die Pause.
Im zweiten Teil des Abends trat dann erneut ein Hochkaräter vor das Publikum: Christian Willisohn, ein gestandenes Urgestein, das in seinem Metier bereits Weltkarriere machte. Schon seine ersten Fingerläufe zeigten deutlich, dass für ihn Individualität statt Imitationskunst zählte. Irgendwo zwischen Ray Charles, Louis Armstrong und ihm selbst angesiedelt, lieferte der Boogie-Woogie-Meister eine Performance ab, die wahrlich Gänsehaut erzeugte. Die wehmütigen Klänge von „Basin Street“schienen dabei nicht von seinen Händen, sondern geradewegs aus seinem Herzen zu kommen, indes sich sein exzentrisches Fingerspiel auf den Tasten ganz allmählich zu einer spannenden Sinfonie empor steigerte.
Wenn man bei seinen hypnotisierenden Stücken für einen Moment die Augen schloss, konnte man kaum glauben, dass hier nur ein einziger Interpret zugange war, dessen Gesichtsausdruck ganz deutlich besagte: Ich spiele hier nicht, weil Publikum anwesend ist, sondern ich spiele hier, weil ich spiele. Als er seinen elektrisierenden Klaviermarathon schließlich mit einem Tastenschlag beendete, war seitens mancher Gäste ein regelrechtes Aufatmen zu vernehmen, so als hätten diese die ganze Zeit über nicht gewagt zu atmen.
Die 20. Neusässer Boogie-Woogie-Nacht hatte letztendlich alles geboten, was sich die Fans dieser Königsdisziplin auf dem Klavier gewünscht hatten: Hochkarätige Interpreten, eine gesunde Mischung aller Genres und nicht zuletzt eine rundum mitreißende Konzertatmosphäre.