Augsburger Allgemeine (Land West)
Bohrungen einer Lyrikerin
Man kann diesen Roman an jeder beliebigen Seite aufschlagen und sich an Sätzen festlesen. Es schreibt: eine Lyrikerin, dichtet und verdichtet. Seite 300 zum Beispiel: „Und es war die Müdigkeit und der Mittag und die Glocken, die er zum wievielten Mal hörte, die ihn dort hinuntertrieben wie ein Stück Vieh auf dem abgefressenen Hang, durstig, und etwas ängstlich vor diesem Himmel, der sich nun zu allen Seiten dehnte.“Kein Dahinplätschern, daher auch kein Weglesen, sondern jedes Wort fein gesetzt und Sätze, auf die man sich einlassen muss im hochpoetischen Debütroman von Anja Kampmann, Jahrgang 1983, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse.
In „Wie hoch die Wasser steigen“erzählt sie vom Bohrarbeiter Wenzel, der nach dem Tod seines Kollegen und besten Freundes sich auf eine Reise quer durch Europa begibt, über Ungarn, Italien, das Ruhrgebiet, Polen – ein Taumeln, eine Odyssee, ein Suchen nach Heimat und Identität. Sechs Jahre lang ist er mit seinem Freund von Bohrinsel zu Bohrinsel gezogen, hat die Kabine geteilt und gemeinsam auch das hart verdiente Geld auf Land wieder rauschhaft verschleudert. Dann stirbt der Freund während eines Sturms im aufgewühlten Atlantik, Betriebsunfall. Es sind Tiefenbohrungen, die Kampmann betreibt. Sie fördert Bilder zutage, in denen die raue Welt auf der Ölplattform nicht unwirklicher erscheint als die Zechensiedlung im Ruhrpott.