Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Reise in Miniaturen Felicitas Hoppe
Auf den Spuren zweier russischer Schriftsteller durch Amerika
Die Vereinigten Staaten, Amerika, das war einmal das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das Land der Träume für alle, die sich etwas anderes vom Leben erhofften, das Land der Freiheit, in der jeder auf seine Weise glücklich werden konnte. Ein Sehnsuchtsort, den in den 1930er Jahren die beiden russischen Schriftsteller Ilf und Petrow bereisten. Sie kamen als Forschende, aber auch als zwei Emissäre der Sowjetunion, die ihre kommunistische Utopie mit dem American Way of Life vergleichen wollten. In „Das eingeschossige Amerika“haben sie ihre Sicht auf das Land zusammengetragen.
Rund achtzig Jahre später hat die Schriftstellerin Felicitas Hoppe sich auch auf diese Reise gemacht, begleitet von zwei bildenden Künstlern und einer Wissenschaftlerin. Ihr gemeinsamer Reisebericht liegt im Internet auf der Seite www.3668ilfpetrow.com vor, auch mit einer Erklärung versehen, warum die Gruppe den Abstecher nach Kanada, genauer nach Brantford machte. Dorthin hat Hoppe in ihrer fiktiven Autobiografie „Hoppe“ihren Geburtsort kurzerhand verlegt. Auf ihrer Reise dorthin traf sie nun tatsächlich auf Walter Gretzky, den Vater des berühmten Eishockeyspielers, der in ihrem Roman eine so große Rolle spielt.
Nun kommt diese Begegnung auch in Hoppes „Prawda – eine amerikanische Reise“vor, in der sie die Reise auf den Spuren von Ilf und Petrow zum Ausgangsmaterial eines Romans macht. Darin allerdings geht es nicht nur um das Amerika, das sie 2015 selbst gesehen hat, sondern auch um das Amerika, das es in der Literatur gibt, und das Amerika, das als Land der Träume und der unbegrenzten Möglichkeiten in allen Köpfen ist. Der Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl taucht am Rand auf, die Begegnung mit dem Silicon Valley wird zum Beispiel mit einem Märchen erzählt, in dem es um Gold, viel Gold und noch mehr Gold geht, gleichzeitig gibt es aber aus diesem Märchen über den Goldkreislauf kein Entkommen, ständig setzt es sich weiter fort.
Die Fantasie und die Worte überwachsen die reale Reise, Orte tauchen auf, aber Hoppe nimmt das Reale in den meisten Fällen als Ausgangspunkt, um zu dem Amerika der Vorstellung zu gelangen. Im Vordergrund steht nicht die Reise von der Ostküste an die Westküste und wieder zurück, sondern Miniaturen, die alle miteinander verschränkt werden.
Hoppe hat Leitmotive eingewoben: Neben Ilf und Petrows Buch als Referenzrahmen auch Tocqueville und dessen Amerikareise, Tom Sawyer und den Gartenzaun, den er streichen muss. Der Filmemacher Quentin Tarantino taucht in Los Angeles kurz auf, ein Indianer präsentiert seine Schätze, immer wieder sind Edison und Ford, die beiden technischen Revolutionäre, ein Thema.
Im Roman selbst hört sich das so an: „Aber Fantasie ist nicht Wirklichkeit, was nicht gegen die Wirklichkeit spricht, sondern gegen die Fantasie, also gegen mich und Lizzy, denn Literatur ist nun mal auf Ordnungen aus, auf klare, einfache Rollen. Und verglichen mit der Literatur ist das einfache Leben höchst kompliziert, so kompliziert wie ein amerikanischer Diner, dem auch Ilf und Petrow nicht gewachsen waren.“In diesen zwei Sätzen, es sind nur zwei Sätze, geht es um die Fantasie und Wirklichkeit, die Literatur, Hoppes Reise und Ilf und Petrow, alles auf dichtestem Raum miteinander vermischt.
Was es dem Leser nicht einfach macht. Das fängt schon beim Titel an: Ein Amerika-Buch, das „Prawda“heißt, das im Russischen „Wahrheit“bedeutet. Ein Wort, das als Titel für die kommunistische Propaganda-Zeitung weltbekannt geworden ist, aber eben nicht im Sinne von „Wahrheit“, sondern von ideologisch gefärbter Weltsicht. Schon das ist ein Vexierspiel, in dem nichts wirklich festzumachen ist und genau deshalb passt. Hoppe öffnet auch in diesem Roman einen Raum, in dem sie mit Worten die Wirklichkeit zu den tollsten Gebilden verwandelt. Ein Roman, der nicht auf ein Ende hin gelesen werden will, sondern Wort für Wort und Satz für Satz.