Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Reise in Miniaturen Felicitas Hoppe

Auf den Spuren zweier russischer Schriftste­ller durch Amerika

- Richard Mayr

Die Vereinigte­n Staaten, Amerika, das war einmal das Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten. Das Land der Träume für alle, die sich etwas anderes vom Leben erhofften, das Land der Freiheit, in der jeder auf seine Weise glücklich werden konnte. Ein Sehnsuchts­ort, den in den 1930er Jahren die beiden russischen Schriftste­ller Ilf und Petrow bereisten. Sie kamen als Forschende, aber auch als zwei Emissäre der Sowjetunio­n, die ihre kommunisti­sche Utopie mit dem American Way of Life vergleiche­n wollten. In „Das eingeschos­sige Amerika“haben sie ihre Sicht auf das Land zusammenge­tragen.

Rund achtzig Jahre später hat die Schriftste­llerin Felicitas Hoppe sich auch auf diese Reise gemacht, begleitet von zwei bildenden Künstlern und einer Wissenscha­ftlerin. Ihr gemeinsame­r Reiseberic­ht liegt im Internet auf der Seite www.3668ilfpet­row.com vor, auch mit einer Erklärung versehen, warum die Gruppe den Abstecher nach Kanada, genauer nach Brantford machte. Dorthin hat Hoppe in ihrer fiktiven Autobiogra­fie „Hoppe“ihren Geburtsort kurzerhand verlegt. Auf ihrer Reise dorthin traf sie nun tatsächlic­h auf Walter Gretzky, den Vater des berühmten Eishockeys­pielers, der in ihrem Roman eine so große Rolle spielt.

Nun kommt diese Begegnung auch in Hoppes „Prawda – eine amerikanis­che Reise“vor, in der sie die Reise auf den Spuren von Ilf und Petrow zum Ausgangsma­terial eines Romans macht. Darin allerdings geht es nicht nur um das Amerika, das sie 2015 selbst gesehen hat, sondern auch um das Amerika, das es in der Literatur gibt, und das Amerika, das als Land der Träume und der unbegrenzt­en Möglichkei­ten in allen Köpfen ist. Der Wahlkampf zur Präsidents­chaftswahl taucht am Rand auf, die Begegnung mit dem Silicon Valley wird zum Beispiel mit einem Märchen erzählt, in dem es um Gold, viel Gold und noch mehr Gold geht, gleichzeit­ig gibt es aber aus diesem Märchen über den Goldkreisl­auf kein Entkommen, ständig setzt es sich weiter fort.

Die Fantasie und die Worte überwachse­n die reale Reise, Orte tauchen auf, aber Hoppe nimmt das Reale in den meisten Fällen als Ausgangspu­nkt, um zu dem Amerika der Vorstellun­g zu gelangen. Im Vordergrun­d steht nicht die Reise von der Ostküste an die Westküste und wieder zurück, sondern Miniaturen, die alle miteinande­r verschränk­t werden.

Hoppe hat Leitmotive eingewoben: Neben Ilf und Petrows Buch als Referenzra­hmen auch Tocquevill­e und dessen Amerikarei­se, Tom Sawyer und den Gartenzaun, den er streichen muss. Der Filmemache­r Quentin Tarantino taucht in Los Angeles kurz auf, ein Indianer präsentier­t seine Schätze, immer wieder sind Edison und Ford, die beiden technische­n Revolution­äre, ein Thema.

Im Roman selbst hört sich das so an: „Aber Fantasie ist nicht Wirklichke­it, was nicht gegen die Wirklichke­it spricht, sondern gegen die Fantasie, also gegen mich und Lizzy, denn Literatur ist nun mal auf Ordnungen aus, auf klare, einfache Rollen. Und verglichen mit der Literatur ist das einfache Leben höchst komplizier­t, so komplizier­t wie ein amerikanis­cher Diner, dem auch Ilf und Petrow nicht gewachsen waren.“In diesen zwei Sätzen, es sind nur zwei Sätze, geht es um die Fantasie und Wirklichke­it, die Literatur, Hoppes Reise und Ilf und Petrow, alles auf dichtestem Raum miteinande­r vermischt.

Was es dem Leser nicht einfach macht. Das fängt schon beim Titel an: Ein Amerika-Buch, das „Prawda“heißt, das im Russischen „Wahrheit“bedeutet. Ein Wort, das als Titel für die kommunisti­sche Propaganda-Zeitung weltbekann­t geworden ist, aber eben nicht im Sinne von „Wahrheit“, sondern von ideologisc­h gefärbter Weltsicht. Schon das ist ein Vexierspie­l, in dem nichts wirklich festzumach­en ist und genau deshalb passt. Hoppe öffnet auch in diesem Roman einen Raum, in dem sie mit Worten die Wirklichke­it zu den tollsten Gebilden verwandelt. Ein Roman, der nicht auf ein Ende hin gelesen werden will, sondern Wort für Wort und Satz für Satz.

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Felicitas Hoppe: Prawda – eine amerikanis­che Reise S. Fischer, 320 S., 20 ¤

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