Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Zwei – das Finale Elena Ferrante
Band vier der neapolitanischen Saga. Es bleibt: ein Leseerlebnis
Deutungshoheit über die eigene Geschichte zu behalten. Denn, wovor Lenu nach all den Jahren noch immer Angst hat, ist, im Vergleich mit der Freundin trotz allen Fleißes und aller Auszeichnungen als die angepasste, langweilige Mittelmäßige dazustehen. „Und wenn nun aus ihren Dateien irgendwann eine Erzählung entsteht, die bei weitem besser ist, als es meine sind? Wenn ich nun wirklich nie einen denkwürdigen Roman geschrieben habe und sie, sie dagegen seit Jahren an einem schreibt und schreibt?“, fragt sich Lenu. Rivalität bis zum Ende.
Das also ist es, das düstere grande Finale! Nach mehr als 2000 Seiten, in denen Ferrante diese Hassliebe ausgeleuchtet hat bis ins letzte Detail, vor keinem noch so bösen Gedanken zurückgeschreckt ist und und in denen sie anhand der beiden Frauenschicksale auch nahezu beiläufig sechs Jahrzehnte italienischer Nachkriegsgeschichte erzählt hat.
Als Frauenliteratur wurde der erste Roman noch manchmal spöttisch tituliert, auch, weil Ferrante so eingängig, ja süffig aus dem Alltag der Heldinnen erzählt, Cliffhanger einsetzt, es dem Leser also leicht macht. Aber natürlich ist diese Saga weit mehr: Bildungsroman, Emanzipationsgeschichte, Gesellschaftsporträt. Im Gesamten ein Leseerlebnis. Im privaten Schicksal spiegelt sie das Schicksal des Landes. Wer den Werdegang des Opportunisten Nino verfolgt zum rechten Parlamentarier, kann sich über Berlusconis Rückkehr kaum mehr wundern.
Gerne würde man schreiben, dass der vierte Band an die Magie des ersten heranreicht. Das tut er nicht. Er hat Längen. Und trotz aller Seelenschürferei und ständigem Identitätsgekreisel – warum eine Schriftstellerin, die sich mit Mühe ihren Dialekt abtrainiert, mit feministischen Werken sich ins intellektuelle Milieu geschrieben hat, zurück ins alte Elendsviertel zieht, das die Camorra mittlerweile mit Drogen geflutet hat, ihre Kinder dort aufwachsen lässt, bleibt rätselhaft. Weit rätselhafter als das Verschwinden von Lila, die nach dem Verlust ihrer Tochter sich für die Außenwelt allmählich in eine schrullige Alte verwandelt, ihren leuchtenden Verstand verbirgt, bevor sie ganz verschwindet… „Ich sehne mich nach ihrer Einmischung“, schreibt Lenu.
Die Sehnsucht der Leser aber bedient demnächst das Fernsehen:
RAI und der US-Sender HBO drehen eine 32-teiligen Serie. Falls man also nicht mehr weiß, mit wem noch mal Alfonso …