Augsburger Allgemeine (Land West)
Nikolaus Nützel Elf Antworten auf die Frage, was die Liebe ist
Was ist Liebe? An dieser Frage entzünden sich seit Jahrtausenden Diskussionen. „... im Allgemeinen die Bezeichnung für die stärkste Zuneigung und Wertschätzung, die ein Mensch einem anderen entgegenzubringen in der Lage ist“, weiß Wikipedia.
„... die einzige Kraft, die einen Feind zum Freund machen kann“, sagt Martin Luther King. „... ein seltsames Spiel“singt Connie Francis. Was es auf sich hat mit der Liebe, das interessiert jeden. Und wer wollte es leugnen, dass die Liebe ein relevantes und interessantes Thema gerade in der Jugendliteratur ist. Bücher, in denen es darum nicht wenigstens am Rande geht, muss man in den Regalen suchen. Nicht nur Stoff für die herrlichsten Verwirrungen und Volten der Handlung ergeben sich daraus. Die Liebe provoziert auch viele der Fragen, die für das Erwachsenwerden so typisch sind: Identität, Werte, sexuelle Orientierung, die Vorstellungen vom Leben und vom Glück.
Nikolaus Nützel, Journalist und Autor mehrerer Sachbücher für Heranwachsende, nähert sich dem Sujet jetzt nicht von der romantischen Seite, sondern von einer sachlichen. Als roter Faden und erzählerisches Element zieht sich eine Party durch das Buch, die eine Gruppe Jugendliche in das Wechselbad der Gefühle wirft. Sprachlich manchmal etwas zu sehr um lässigen Jugendjargon bemüht, kreist Nützel aber höchst unterhaltsam und dabei sehr anschaulich den Begriff „Liebe“ein: Er zieht Statistiken ebenso heran wie unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen, Dichtung, Volksgut und Allgemeinplätze und kreiert so eine sehr breite Mischung an Feststellungen, Thesen, Fragen und Antworten.
Da wäre etwa die Psychologie, die die Liebe als eine Art Suche und Sehnsucht nach der mütterlichen Sicherheit deutet, jener engsten Bindung zwischen zwei Menschen, die mit der Geburt endet. Freud und der Ödipuskomplex lassen hier grüßen, wobei Nützel auch darauf hinweist, dass die moderne Psychologie manche Thesen Freuds für überholt hält. Doch: „Als unbestritten gilt, dass das Verhältnis, das kleine Kinder zu ihren Eltern haben, eine wichtige Rolle spielt, wie sie später als Jugendliche und Erwachsene mit dem Thema Liebe umgehen.“
Und dann gibt es die Erkenntnisse der Evolutionspsychologie, die „Mädchen und Frauen auch erschaudern lassen können“, transportieren sie doch ein konventionelles Bild von Beziehungen. Die männliche Liebe sehen Evolutionspsychologen – sehr vereinfacht gesagt – als Mittel zum Zweck, möglichst viele Nachkommen zu produzieren, um die eigenen Gene erfolgreich weiterzugeben, während sie die weibliche Liebe als eine Art Klebstoff interpretieren, damit die Frauen bei der Kindererziehung nicht alleingelassen werden.
Insgesamt elf Antworten gibt der Autor auf die Frage „Was ist Liebe“, streift dabei Homosexualität ebenso wie die Liebe zu Gott, stellt die Strategie dar, nach der OnlinePortale den richtigen Partner suchen, greift Monogamie und Polyamorie auf und vergisst auch nicht, die chemischen Vorgänge im Körper darzustellen, wenn sich zwei Menschen verlieben. Interessant die Überlegung, ob Liebe einfach nur eine Übereinkunft ist. „Menschen hören und sehen ab dem Moment ihrer Geburt, dass man nicht allein sein sollte, sondern mindestens zu zweit.“Ist die Liebe also eine Erfindung, die seit Jahrtausenden einfach weitergegeben wird, oder hätten auch zwei Menschen, die ganz allein auf einer Insel aufwachsen, das Bedürfnis, sich zu küssen, zu streicheln und mit einander zu schlafen? Diese Frage stellt der Autor.
Apodiktische Gültigkeit nimmt Nikolaus Nützel in seinem Buch aber nicht für sich in Anspruch. Indem er das Phänomen in so vielen Facetten aufblättert, macht er deutlich, dass es die einzig gültige Erklärung nicht gibt, dass Liebe eine Beziehung zwischen Individuen ist, die je nachdem persönliche Bedeutung hat und individuell gestaltet ist. Und vielleicht trifft es ja immer noch Erich Frieds berühmtes Gedicht – das im Übrigen auch hier nachzulesen ist – am besten: „Es ist was es ist.“