Augsburger Allgemeine (Land West)

Miso, Mozart und ein Mord Haruki Murakami

Maler, orientieru­ngslos, Mitte 30. Daraus wird ein Kunstkrimi

- Stefanie Wirsching

In einem Roman des japanische­n Schriftste­llers Haruki Murakami darf einen nichts allzu sehr wundern. Nicht als Leser, nicht als Protagonis­t. Es gibt doppelte Monde, es regnet Makrelen, der Schafsmann tritt auf. Oder ein etwa sechzig Zentimeter großes Männchen in einer Art Kimono rekelt sich plötzlich auf dem Sofa und erklärt dem Hausherrn völlig plausibel, warum es nun in dieser Form erscheint: „Hätte ich die Gestalt von Micky Maus oder Pocahontas angenommen, hätte ich natürlich ordentlich Gebühren an Disney zahlen müssen…“

Das also ist er, der Commendato­re, eine Idee, die sich materialis­iert, Scherze macht und einem namenlosen Maler Gesellscha­ft leistet. Für seine äußerliche Gestalt hat sich das Wesen der Figur eines zufällig entdeckten Gemäldes bedient. Dessen Titel „Die Ermordung des Commendato­re“trägt auch das Buch, ein Genremix aus Künstlerro­man, Kunstkrimi und Schauermär­chen, in dem Murakami-Fans aber all das finden, was sie vom Murakami– Werk erwarten: natürlich Übernatürl­iches, kulturelle­s Crossover, sprich Miso und Mozart, und einen typischen Helden, der nicht so recht weiß, wo es gerade hingehen soll. „Im Rückblick auf diese Ereignisse erscheint mir das Leben als etwas sehr Geheimnisv­olles. Es ist so voller unvorherse­hbarer Wendungen und fantastisc­her Zufälle, dass es kaum zu glauben ist.“Sagt jetzt nicht der Commendato­re, sondern der Protagonis­t, der in der Rückschau erzählt: jener Maler, Mitte 30, der nach sechs Jahren Ehe von seiner Frau verlassen wurde und nun im einsam gelegenen Haus in den Bergen Zuflucht gefunden hat. Ein Freund hat ihm das Domizil überlassen, es gehört seinem Vater, ein berühmter Maler, der sich aber nun im Alter in einem solchen Zustand der Verwirrung befindet, dass „er eine Oper nicht mehr von einer Bratpfanne unterschei­den kann“.

Bis dahin also: Alles ganz normal. Banales Schicksal möchte man sagen, lakonisch erzählt, und manchmal auch störend banal und floskelhaf­t formuliert. „Und damals konnte ich es noch nicht wissen, aber dieses eine Bild sollte mein Leben völlig verändern.“Puh! Es gibt noch mehrere solcher Beispiele, über die man hinweglese­n muss, im Laufe der glänzend konstruier­ten Geschichte es aber auch dann mit Leichtigke­it tut. Im Haus in den Bergen jedenfalls, mit dem Notwendigs­ten ausgestatt­et, inklusive einer umfangreic­hen Opernsamml­ung, hebt Murakami nun die Glasglocke, unter der sein Held sich bislang verschanzt­e, und lässt ihn Unerklärli­ches erleben: Ein Bild wird entdeckt, in einer Erdkammer klingelt’s, ein Idee will gesehen werden… und – Metapher, Metapher – im Künstler wird plötzlich Verschütte­tes freigelegt, nämlich Intuition. Als er für ein horrendes Honorar den steinreich­en Nachbarn malt, dessen vielsagend­er Namen übersetzt „Farbe vermeiden“bedeutet, findet der Porträtmal­er zum neuen Stil. Welchen Preis er dafür zahlen muss, siehe dann Band zwei, der Mitte April erscheint.

Die Schaffensk­rise eines Künstlers steht also im Mittelpunk­t dieses Romans, der Kriminalfa­ll, den es zu lösen gilt, steckt aber im Kunstwerk des nun dementen Altmeister­s Amada selbst, das der Protagonis­t auf dem Dachboden findet. „Die Ermordung des Commendato­re“– beim Titel ahnt der Opernfan, wohin es läuft: Mozart, Don Giovanni! Und auch: Seinen Mörder wird der Commendato­re am Ende mit in die Hölle nehmen. Die Auflösung, so viel deutet Murakami an, wird nach Wien im Jahr 1938 führen, als der junge Amada dort studierte, es zum Attentat auf einen Nazifunkti­onär kam …

Wäre der Roman ein Bild, es würde ein Leerraum in der Mitte klaffen. An den sich Murakami heranzoomt, durch Öffnungen blickt, den Künstler zeigt, der durch eine Luke im Dachboden steigt, ein Bild findet, auf dem ein Mann durch eine Luke auf ein Verbrechen blickt Alles also noch offen. Auch, ob der Roman sich in seiner Gesamtheit dann rundet. „Ich bin übrigens Linkshände­r“, erklärt der ominöse Auftraggeb­er: „Ich weiß nicht, ob das eine Rolle spielt, aber zumindest ist es eine weitere Informatio­n über mich als Person.“

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 ??  ?? Haruki Murakami: Die Ermordung des Commen datore I Aus dem Japanische­n von Ursula Gräfe, Dumont, 480 S., 26 ¤
Haruki Murakami: Die Ermordung des Commen datore I Aus dem Japanische­n von Ursula Gräfe, Dumont, 480 S., 26 ¤

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