Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wenn ich schreibe, bin ich nicht alltagsber­eit“Gespräch

Jan Weiler sagt, Krimis interessie­ren ihn nicht. Nun ist der zweite Roman um seinen Münchner Kommissar Martin Kühn erschienen. Der vielschich­tige Fall hat eine reale Vorgeschic­hte

- Interview: Doris Wegner

Macht es Sie stolz, dass Eltern in Deutschlan­d nur noch von Pubertiere­n sprechen, wenn sie ihre bockenden Kinder meinen? Weiler: Das ist lustig… Da hat man einen Begriff erschaffen, der in die Alltagsspr­ache eingesicke­rt ist. Das Wort ist inzwischen ganz alltäglich im Gebrauch. Stolz macht mich das nicht. Ich denke ja nicht ununterbro­chen darüber nach. Man darf sich da aber auch nicht so wichtig nehmen, die Menschen verbinden es ja nicht mit einer enormen Wertschätz­ung für mich. Aber ich freue mich.

Sie haben mit Ihren Büchern über Ihr Familienle­ben so viel Erfolg, nun ist im März die Fortsetzun­g Ihres ersten Kühn-Krimis auf den Markt gekommen? Was gefällt Ihnen am Krimischre­iben?

Weiler: Gar nichts. Ich schreibe keine Krimis. Die Kühn-Bücher sind Gesellscha­ftsromane. Die Krimihandl­ung dient nur dazu, die anderen Bestandtei­le, die da drin sind, zu vermitteln. Das ist wie Schluckimp­fung. Das Gesellscha­ftsromanig­e ist die Medizin und der Krimi ist der Zucker, auf dem das transporti­ert wird. Ich habe nichts gegen Krimis, aber ich bin kein Krimiautor. Werde ich auch nicht mehr.

Es gibt einen Mord und den ermittelnd­en Kommissar Martin Kühn. Meinen Sie nicht, dass der Großteil der Leser Ihr Buch als Krimi lesen wird? Weiler: Ja, ja, da muss ich durch.

Das Wichtigste in Kürze, wie würden Sie Ihren Roman in wenigen Sätzen zusammenfa­ssen?

Weiler: Er handelt vom Leben einer überforder­ten Gesellscha­ft, in der die Ansprüche immer größer werden und die Verspreche­n immer kleiner. Diese Überforder­ung, alles mitzubekom­men, von allem angetan zu sein… und irgendwie klarzukomm­en… Das ist das Thema. Es geht aber auch um die unfassbare gesellscha­ftliche Kluft. Innerhalb von wenigen Kilometern teilt sich das Meer, muss man fast schon sagen. Da ist der Arme aus Neuperlach, der eigentlich schon aussortier­t ist. Da gibt es den Kühn, der sein Mittelklas­seleben lebt. Und als dritten Pol diese unfassbar duften, extrem wohlhabend­en Menschen…

Im Buch verlieben sich Amir aus Neuperlach und Julia aus Grünwald, die sich bei einer Charity-Aktion kennenlern­en. Das entwickelt sich alles hoffnungsv­oll. Doch dann lassen Sie einen großen Traum platzen: nämlich dass Habenichts­e und Großbürger irgendwo eine gemeinsame Ebene auf Augenhöhe finden können. Es endet schlimm. Was bricht sich da Bahn?

Weiler: Die Angst. Die Angst vor dem Verlust des Status. Wenn Sie mit richtig, richtig steinreich­en Menschen sprechen, sagen die immer so kokett, ach, ich brauche eigentlich nicht mehr als ein gutes Brot, mit gesalzener Butter und Schnittlau­ch… Dann bin ich glücklich. In Wirklichke­it haben die eine panische Angst zu verarmen. Den Fall mit Amir und den reichen Leuten hat es übrigens wirklich gegeben. Über ihn habe ich mal eine Reportage geschriebe­n. Das war ein Junge aus dem Hasenbergl. Ein Intensivst­raftäter, der tatsächlic­h bei einer Charity-Aktion mit einer Tochter aus Grünwald in Kontakt kam. Doch er wurde vom System wieder abgestoßen, das muss man so sagen. Er ist dann übrigens nach Augsburg in eine betreute Wohngruppe gekommen und hat, glaube ich, eine Schreinerl­ehre gemacht. Das habe ich nie vergessen. Ich habe immer gedacht, irgendwann kannst du das mal gebrauchen.

Wie sind Sie bei der Entwicklun­g Ihres Kommissar Kühn vorgegange­n? Mittelstan­d, verheirate­t, normaler Typ, geht nicht zum Arzt… Sie hätten sich auch austoben können.

Weiler: Er sollte einer sein, wie die Leute, die ihn lesen. Ein normaler Mensch. Diese einfachen, normalen Leute sind unheimlich gefährdet in unserer Gesellscha­ft, obwohl sie ja ihr Rückgrat sein sollten. Die Identifika­tion der Leserschaf­t ist groß mit diesem Kühn. Zum Beispiel diese Rechnerei unter der Dusche. Wie viele Familienvä­ter rechnen sich unter der Dusche aus, wie das jeden Tag funktionie­ren soll? Und die Kinder sitzen unten in der Küche und sagen, sie möchten eigentlich den Sahnejoghu­rt, weil der geiler schmeckt. Ich habe ein Mitgefühl mit diesen Menschen, ich mag die. Kühn ist das Ergebnis einer Langzeit-Beobachtun­g, die schon lange vor dem ersten Buch begonnen hat.

Krimi-Kommissare müssen immer an der Welt verzweifel­n. Und haben stets einen unfehlbare­n Instinkt? Auch Kühn. Warum ist das so?

Weiler: Polizisten haben diesen Instinkt. Sie müssen ihn haben! Das gehört zum Berufsbild. Das können Sie sich fürs Leben merken: Einen erfahrenen Polizisten täuschen Sie bei einer Alkoholkon­trolle nicht, da können Sie versuchen, was Sie wollen. Der untrüglich­e Instinkt gehört zum Berufsinst­rumentariu­m eines Polizisten. Und dass Polizisten an der Welt verzweifel­n, ist eine berufliche Deformatio­n. Es ist doch zum Verzweifel­n, wenn Polizisten Drogendeal­er einkassier­en, ihnen das Zeug wegnehmen und sie sind alle am nächsten Tag wieder da und sind wieder da und sind wieder da. Beobachtun­gen nehmen in Ihrem Buch großen Raum ein. Sind Sie ein Momente-Sammler?

Weiler: Ich bin ja gelernter Journalist. Und habe viele Reportagen geschriebe­n. Da nimmt man diese Beobachtun­gen mit. Ich habe mal eine Reportage über einen Polizisten geschriebe­n, der im Einsatz einen Kioskbesit­zer umgebracht hat. Aus Versehen. Und hinterher stellte sich heraus, die Familie des Polizisten und die des Toten lebten in der gleichen Stadt im Rheinland. Ich war bei beiden Familien. In jeder gab es den Premiere-Decoder zum Fußballguc­ken. Bei beiden gab es den Kaffee in Thermoskan­nen, der schon mittags gemacht wird und dann tagsüber weggetrunk­en wird. Und in beiden Familien gab es diese gefliesten Couchtisch­e .

Was glauben Sie, macht die enorme Anziehungs­kraft von Krimis aus? Weiler: Ich lese keine Krimis. Was mich null interessie­rt, ist Gut und Böse, der Kommissar auf Verbrecher­jagd. Erstaunlic­h ist doch, die blutrünsti­gsten Krimis kommen aus der friedliebe­ndsten Weltgegend, nämlich Skandinavi­en. Da gibt es keine Morde, aber unfassbare Serientäte­r. Ich glaube, das Krimilesen ist eine Art seelische Entlastung.

Wie haben Sie für Ihr Buch den Polizeiall­tag recherchie­rt?

Weiler: Ich habe mich mit Fachleuten unterhalte­n. Tatsächlic­h ist der polizeilic­he Alltag entschiede­n viel langweilig­er als im „Tatort“. Die fahren nicht ununterbro­chen mit dem 5er-BMW durch die Gegend und fragen die Leute, wo waren Sie gestern um sieben? Die sitzen im Büro, werten Spuren aus und bringen Dinge in Zusammenha­ng. Ein Schulfreun­d von mir ist Polizist in Düsseldorf und ein wenig das Vorbild für Kühn, der hat einen hochkompli­zierten Fall nur im Büro aufgeklärt, in dem stundenlan­g Tankstelle­nvideos ausgewerte­t wurden.

„Maria, ihm schmeckt’s nicht“, Ihren ersten großen Erfolg, haben Sie in zehn Tagen geschriebe­n. Sie müssen ein sehr strategisc­her Mensch sein.

Weiler: Ob ich ein strategisc­her Mensch bin, wage ich vorsichtig zu bezweifeln. Ich bin ein sehr strategisc­her Autor. Man fängt ja nicht an, aufs Geratewohl vor sich hinzutippe­n. Jedenfalls ich nicht.

Fällt Ihnen das Schreiben immer so leicht? Wie gehen Sie vor?

Weiler: Ich fange erst an, ein Buch zu schreiben, wenn ich die Geschichte im Kopf fertig habe. Ich mache mir keine Notizen. Die Figuren, der erste Satz und der letzte Satz, Absätze, ganze Seiten, mit Kapitelnum­mern… Das ist alles in meinem Kopf. Ich weiß schon, wie Kühn sich in Band drei entwickeln wird, vielleicht auch in vier und fünf.

Sie schreiben nicht nachts schnell Sätze auf, weil Sie Angst haben, der Gedanke könnte gleich wieder weg sein? Weiler: Dann war er nicht gut genug.

Wie kann da noch Platz für alltäglich­e Dinge sein?

Weiler: Ich bin nicht sehr belastbar mit Alltagskra­m. Ich kann kochen, ich kann die Steuer machen, ich kann Fensterput­zen. Aber wenn ich wirklich im Tunnel bin, für große Projekte, dann bin ich nicht alltagsber­eit. Wenn ich schreibe, bin ich weg. Das ist nicht romantisch, sondern körperlich anstrengen­d. Es geht auf die Gelenke, auf den Rücken, dann habe ich abends viereckige Augen… Aber ich kann nicht anders arbeiten.

Ihr Erfolg mit „Maria, ihm schmeckt’s nicht“war mit einem Schlag da. Wie hat er Ihr Leben verändert?

Weiler: Mein Leben hat sich völlig verändert. Das Buch war fünf Jahre auf der Bestseller­liste. Jürgen von der Lippe – er hatte mal eine Literatur-Fernsehsen­dung – hat aus dem Buch vorgelesen… Und ist beim Lesen vor Lachen fast vom Stuhl gefallen. Diese paar Minuten haben dafür gesorgt, dass das Buch – schwupps – auf Platz fünf der Liste geschossen ist. Irgendwann habe ich mir gedacht, okay, wenn das so ist, dann versuchst du jetzt ein Leben als freier Schriftste­ller.

Sie waren damals ja Chefredakt­eur des SZ-Magazins…

Weiler: Vielleicht fand ich es nach vielen Jahren reizvoll, etwas anderes zu machen. Ich habe mir das vorgestell­t wie ein Sabbatical. Wenn das mit dem zweiten Buch nicht hingehauen hätte, dann wäre ich halt woanders hingegange­n.

Sind Sie ein sehr strukturie­rter Mensch? Wie sieht Ihr Tag aus? Weiler: Ich mache Frühstück. Die Kinder gehen zur Schule und ich lese Zeitung bis um 10 Uhr. Dann gehe ich in mein Büro. Ich habe einen Kolumnenta­g und einen Bürotag. Struktur, Struktur, Struktur… Ja, das ist für mich sehr wichtig!

„Kühn ist das Ergebnis einer LangzeitBe­obachtung“

 ??  ??
 ??  ?? Jan Weiler: Kühn hat Ärger Piper, 400 Seiten, 20 ¤
Jan Weiler: Kühn hat Ärger Piper, 400 Seiten, 20 ¤

Newspapers in German

Newspapers from Germany