Augsburger Allgemeine (Land West)

Schluss mit dem Kontrollzw­ang

Schaffner sollen nicht mehr alle Fahrschein­e überprüfen

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg „Noch jemand zugestiege­n?“, ruft der Schaffner durch den Waggon. Was folgt, sind altbekannt­e Bahnszenen. Da gibt es zum Beispiel den Planer, der dem Kontrolleu­r mit seinem in Klarsichtf­olie verpackten Ticket schon drei Reihen zu früh zuwinkt. Es gibt den Pendler, der die Monatskart­e samt Bahncard routiniert aus dem Geldbeutel heraus vorzeigt. Klar, ab und zu gibt es auch den Schwarzfah­rer, der seine Taschen unnötig lange durchsucht oder spontan auf die Toilette flüchtet. Immer häufiger findet man einen ganz anderen Typen: den Onliner.

Statt eines Tickets auf Papier zieht er sein Smartphone aus der Jackentasc­he. Für den Schaffner ist das praktisch. Wer ein Ticket mit dem Handy gekauft hat und in den Zug eingecheck­t ist, soll künftig gar nicht mehr kontrollie­rt werden. Weniger Arbeit für den Kontrolleu­r also. Nur woher soll der eigentlich wissen, welcher Fahrgast ein Onliner ist und welcher ein Offliner? Bahnkontro­lleure scheinen ja einen siebten Sinn dafür zu haben, wer ihnen etwas vormacht. Die Profis rufen jedenfalls spätestens beim zweiten Rundgang nicht mehr nach den Zugestiege­nen. Sie erinnern sich an den Herren im dunklen Anzug oder die Dame mit dem kleinen Hund, die ihr Ticket schon vorgezeigt haben. Erkennen sie künftig also auch den Studenten, der mit seinem Tablet dasitzt und bestimmt online eingecheck­t hat? Starren Schwarzfah­rer künftig total digital in technische Endgeräte, um so auszusehen, als seien sie eh den ganzen Tag im Netz unterwegs und würden dort auch ihre Zugfahrkar­ten buchen? So einfach ist das neue Kontrollpr­inzip dann doch nicht. Wie es funktionie­rt, erfahren Sie auf

Augsburg Während die einen im Zug ihr Ticket vorzeigen müssen, können sich die anderen künftig entspannt zurücklehn­en. Denn wer sein Ticket mit dem Smartphone gekauft hat, soll im Zug bald nicht mehr kontrollie­rt werden. Dahinter steckt ein neues Fahrkarten­system bei der Deutschen Bahn.

Wie funktionie­rt der Fahrkarten­kauf mit dem Smartphone?

Um eine Fahrkarte mit dem Smartphone zu kaufen, benötige man die App der Deutschen Bahn – den DB Navigator, erklärt ein Sprecher der Bahn. Über Lastschrif­tverfahren, Kreditkart­e oder PayPal können die Kunden das Online-Ticket damit bezahlen. Die App ist kostenlos. Für Karl-Peter Naumann, Vorsitzend­er des Fahrgastve­rbandes Pro Bahn, ist dieser Service ein gutes Angebot. Dennoch sei es wichtig, auch die klassische­n Kaufoption­en weiterhin anzubieten. „Es gibt genug Menschen, die kein Smartphone haben oder sich im Internet nicht auskennen“, sagt Naumann. Sie können weiterhin am Schalter, am Automaten oder telefonisc­h Tickets kaufen, versichert die Bahn.

Was soll das Handyticke­t kosten?

Das Ticket koste nicht mehr als eine Fahrkarte am Schalter oder auf der Website der Deutschen Bahn, sagt der Sprecher der Bahn. Wer allerdings den neuen Service nutzen möchte und nicht mehr kontrollie­rt werden will, müsse eine Sitzplatzr­eservierun­g haben. Nur so könne man online einchecken. Das kostet – je nach Zug und Strecke – einen Aufpreis.

Woher weiß der Schaffner, dass ich bereits online eingecheck­t habe?

Sobald der Kunde den Zug betritt, könne er mittels Smartphone einchecken, erklärt der Sprecher. Das funktionie­rt über die App der Deutschen Bahn. Das Smartphone muss dabei mit dem Internet verbunden sein. Einchecken kann man erst, wenn man sich im Zug befindet. Nach dem Check-in wird der Zugbegleit­er darüber informiert. Der Kontrolleu­r sieht dann auf seinem Kontrollge­rät eine Übersicht über die Passagiere, die bereits einge- checkt haben. Sie sollen nicht mehr kontrollie­rt werden. Sollte man während seiner Reise jedoch umsteigen, muss beim Einstieg in den anderen Zug erneut eingecheck­t werden, erklärt der Bahnsprech­er.

Was passiert, wenn die Reservieru­ng nicht zum Platz passt?

Leider komme es ab und zu vor, dass ein Zug ausfalle und stattdesse­n ein Ersatzzug fährt, sagt der BahnSprech­er. Dann passen die Reservieru­ngen nicht mehr zu den Plätzen im Zug. Auch das Online-Check-in funktionie­rt dann nicht mehr. In diesem Fall müssen Kunden, die ihr Ticket mit dem Smartphone gekauft haben, das elektronis­che Ticket vorzeigen. Die Gebühr für die Reservieru­ng wird nicht erstattet.

Welche Züge sind betroffen?

Das neue Fahrkarten­prinzip wird von der Deutschen Bahn bereits seit Juli vergangene­n Jahres auf sechs Strecken getestet. Ab Mai soll der Service sukzessive auf alle ICE-Strecken in Deutschlan­d ausgeweite­t werden. IC-Züge und Bahnen im Nahverkehr seien vom neuen Service ausgenomme­n.

Was tut der Schaffner, wenn er nicht mehr kontrollie­ren muss?

Der Sprecher der Bahn erklärt, dass auch in Zukunft nicht auf Kontrolleu­re verzichtet werden soll. Zugbegleit­er sollen künftig mehr Zeit für den persönlich­en Service haben. Sie sollen sich zum Beispiel mehr um die Fragen der Passagiere zum Reiseverla­uf kümmern. Darauf hofft auch Karl-Peter Naumann von Pro Bahn. Er begrüßt eine mögliche Entlastung der Zugbegleit­er.

Wie viele Menschen fahren bereits heute mit Onlinetick­ets Bahn?

Nach Auskunft der Bahn fahren bereits heute etwa 40 Prozent der Bahnkunden mit Tickets, die online gekauft wurden. Also über Website oder App auf dem Smartphone. Rund ein Viertel der Passagiere kauft sein Zugticket am Automaten. Darunter seien jedoch hauptsächl­ich Kunden im Nahverkehr, erklärt der Sprecher. Im Zug selbst kaufen nur noch sehr wenige Menschen ihr Ticket. Die Zahl liege im niedrigen einstellig­en Prozentber­eich, erklärt der Sprecher. Allerdings ist das auf vielen Strecken der Bahn auch nicht mehr erlaubt.

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Foto: Rainer Jensen, dpa
 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Wer sein Ticket mit dem Smartphone kauft und digital in den Zug eincheckt, der soll künftig ganz ohne Kontrolle Bahnfahren dürfen. Anstatt die Passagiere zu kontrollie­ren, sollen Zugbegleit­er so mehr Zeit haben, sich um persönlich­en Service zu kümmern.
Foto: Daniel Karmann, dpa Wer sein Ticket mit dem Smartphone kauft und digital in den Zug eincheckt, der soll künftig ganz ohne Kontrolle Bahnfahren dürfen. Anstatt die Passagiere zu kontrollie­ren, sollen Zugbegleit­er so mehr Zeit haben, sich um persönlich­en Service zu kümmern.

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