Augsburger Allgemeine (Land West)
Raus aus Muttis Schatten?
Der Politik-Nachwuchs im Landkreis geht der Frage nach, warum Deutschland keinen politischen Überflieger wie den Österreicher Sebastian Kurz hat. Was den jungen Volksvertretern zu schaffen macht
Landkreis Augsburg Sie sind jung, charismatisch und erfolgreich: In Österreich macht der 31-jährige Sebastian Kurz als Bundeskanzler von sich Reden. In Frankreich ist es der neun Jahre ältere Emmanuel Macron. Kanada hat einen smarten Justin Trudeau (46). Und Deutschland? Bleiben die Überflieger nach der Wiederwahl von Angela Merkel am Boden, weil es der politische Nachwuchs zu schwer hat?
Die Suche nach Erklärungen beginnt in Berlin. Dort, wo gestern Angela Merkel erneut zur Kanzlerin gewählt wurde, traf der frühere Bundesbauminister Eduard Oswald ehemalige polnische Parlamentarier. Gemeinsam wurde diskutiert, wie die Zukunft innerhalb der EU aussehen kann – ein Thema, bei dem die 63-jährige Merkel mit ihrer Erfahrung punkten könne, meint Oswald. Der Dinkelscherber wurde mit 25 Jahren CSU-Kreisvorsitzender, zog mit 31 in den Landtag ein und wurde acht Jahre später in den Bundestag gewählt. Jetzt, mit 70 Jahren, sinniert er: „Jede Politik ist nur so gut, wie die Menschen, die sich engagieren.“Will heißen: Nicht allein das Alter ist entscheidend, um ein Amt gut auszufüllen. „Jung sein ist kein Verdienst“, sagt Oswald. Er wählt fast dieselben Worte wie Ludwig Lenzgeiger.
Der Vorsitzende der Jungen Union im Landkreis Augsburg erklärt eine halbe Stunde später, 600 Kilometer südlicher: „Jugend allein als Argument? Davon halte ich nichts.“Das „Gesamtpaket“müsse passen. So wie bei Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Er habe Erfahrungen als Außenminister gesammelt und sei ein „Naturtalent“. Persönlichkeiten wie den 31-jährigen Senkrechtstarter der ÖVP finde man nicht auf der Straße, meint Lenzgeiger. Er erklärt: „Das ist auch eine der Lebensplanung.“Doch wer peilt langfristig eine Karriere in der Politik an, wenn es in der freien Wirtschaft deutlich bessere Gehälter gibt? Politikwissenschaftler Fabian Mehring von der Freien Wählern hat sie schon selbst zu spüren bekommen, die finanzielle Verlockung. Er sagt: „Sie ist sehr groß.“
Mehring, der mit seinen 29 Jahren mit Abstand das jüngste Mitglied im Kreistag ist, kennt eine weitere Hürde: Nachwuchspolitiker müssen immer „eine Ecke“drauflegen. Sie würden oft auch belächelt, sagt Peter Rauscher, der im vergangenen Jahr mit seinen 31 Jahren für die Grünen ins Rennen um den Bürgermeisterposten in Stadtbergen gegangen war. Am Ende verloren er und seine Mitstreiter Matti Müller und Alfred Hammel deutlich gegen den CSU-Amtsinhaber Paul Metz. Allgemein stellt Rauscher immer wieder fest: „Wer als Junger mit neuen Ideen kommt, der wird erst einmal ausgebremst.“Mit Geschwindigkeit hat auch ein anderer Lernprozess zu tun, den Rauscher so beschreibt: Nachwuchspolitiker wollten in der Regel schnell etwas umsetzen. Sie müssen dann aber erfahren, dass politische Abläufe langwierig sein können.
Fabian Mehring aus Meitingen lässt sich nicht beirren. Er bleibt motiviert. Und widersteht den Verlockungen. „Politik ist auch eine Frage der Leidenschaft“, sagt der Kreistagsvorsitzende der Freien Wähler. Als Überzeugungstäter mit Gestaltungsanspruch möchte er Spuren hinterlassen, Einfluss auf die Gesellschaft nehmen und sie prägen. In einer kleinen Partei sieht er bessere Chancen, etwas zu bewegen. Von anderen, größeren Parteien seiFrage en ihm schon Kandidaturen angetragen worden. Doch die Angebote hätten bedeutet, längere Zeit die Füße stillzuhalten – das sei nichts für Mehring, der beim Phänomen Sebastian Kurz klarstellt: Die „Gemengelage“sei eine andere, der österreichische Kanzler sei nur mit einem deutschen Landespolitiker zu vergleichen.
Der Königsbrunner SPD-Politiker Florian Kubsch – mit 22 Jahren wurde er Stadtrat in Königsbrunn, mit 31 Jahren Vorsitzender der Kreis-SPD – hat noch etwas anderes festgestellt. Populist Kurz habe von der „Methode Schwiegersohn“profitiert. Sie brachte dem eloquenten Politiker viele Stimmen der älteren Wähler ein. Ohne den SympathieBonus kommt es nach Peter Rauschers Erfahrung nämlich ganz anders: „Wenn es hart auf hart geht, dann wird die Erfahrung gewählt, weil man sich dadurch mehr Sicherheit verspricht.“
Junge Ideen werden erst einmal ausgebremst