Augsburger Allgemeine (Land West)
Unter uns Kegelbrüdern
Eine Stunde mit Nationalspieler Thomas Müller zeigt: Kegeln ist anspruchsvoller, als man denkt
Meitingen So nach dem 15. Wurf habe ich das Scheitern vor Augen. Die gut 20 Meter von mir entfernte elektronische Anzeigetafel zählt unbarmherzig mit. Oder vielmehr: Sie zählt eben nicht oft genug und es ist glasklar: Für Meitingens vierte Mannschaft werden meine „Kegelkünste“nicht reichen. Bei Weitem nicht.
Der junge Mann auf der Bahn neben mir, der locker Kegel um Kegel abräumt, findet dennoch zumeist freundliche Worte für meine Bemühungen. Thomas Müller, 24, hat bei seinem Opa Lorenz Wagner in Meitingen das Kegeln gelernt, spielt für Deutschland und für Bamberg in der Bundesliga und der Champions League. Einen besseren Lehrmeister konnte ich als blutiger Anfänger für meine erste Stunde nicht finden.
Das Vorurteil, dass Kegelbrüder es eher geruhsam angehen lassen, so wie es das Sprichwort nahelegt, bringt den passionierten Sportkegler Müller schnell in Fahrt. „Eine ruhige Kugel schieben bei uns vielleicht die Zuschauer.“Mir prophezeit der Nationalspieler, dass es am nächsten Tag schwer werde mit der Gartenarbeit, weil der Ausflug auf die Kegelbahn in den Knochen steckt.
Müllers Revier ist 19,50 Meter lang und höchstens 1,50 Meter breit. Davor gibt es zwischen 5,50 und 6,50 Meter Anlauf. Über diese Bahn muss sich die rund 2,8 Kilo schwere Kugel rollen lassen, damit sie möglichst viele Kegel umschmeißt. Soweit die Theorie.
In der Praxis stellen sich die ersten Versuche als erstaunlich erfolgreich heraus. Ich treffe tatsächlich den ein oder anderen Kegel, beim allerersten Wurf fallen gleich zwei. Müller hat mir schließlich gezeigt, wie man’s macht: Rechter Fuß (als Linkshänder) nach vorn, tief in die Knie, den Arm mit der Kugel gestreckt durchschwingen und das Sportgerät sanft schon vor der eigentlichen Bahn aufsetzen. Klingt einfach und ist es im Grunde auch. Doch ein Kegelspiel dauert. Vier Sätze zu 30 Würfen muss ein Spieler absolvieren. Für jeden Satz hat er zwölf Minuten Zeit. Und im Laufe dieser schleichen sich rasch Ungenauigkeiten ein, weil Kraft und Konzentration nachlassen. Gute Kegler brauchen deshalb auch Kondition. Müll bolzt diese auf dem Fahrrad, auf dem Fußballplatz oder beim Laufen.
Bei mir schwächelt zuerst die linke Hand, mit der ich der Kugel die Richtung geben soll. Mit einem Durchmesser von 16 Zentimetern und gut 2,8 Kilo Gewicht zerrt sie gehörig an den Muskeln. Auch beim Kegeln gibt es inzwischen für alle Altersklassen Kugeln mit Löchern (allerdings zwei, statt drei wie beim Bowling). In diese Löcher steckt man Mittelfinger und Daumen und hat schon einen besseren Griff. Für den Bundesliga-Crack Müller kommen aber nur die ohne Loch, die sogenannten vollen Kugeln infrage. Die rollen auch besser, findet er.
Als weiteres Problem stellt sich die Sache mit der Geschwindigkeit heraus. Während Thomas Müllers Kugeln mit lockeren 40 Kilometern in der Stunde ihrem Ziel zustreben, kullern meine Würfe nur halb so schnell über die Bahn und haben dementsprechend weniger Wucht, wenn sie auf die neun Kegel treffen. Ein wenig Anlauf würde enorm helfen, denke ich. Nur: Der Anlauf macht die Sache viel, viel komplizierter. Drei Schritte und gleichzeitig mit dem Arm Schwung holen, wieder mit dem rechten Fuß vorne sein, in die Knie und die Kugel ruhig aufsetzen: Die ersten Kugeln torkeln wie volltrunken über die Bahn, was Thomas Müller die Gelegenheit gibt, auf das Alkoholverbot beim Sportkegeln hinzuweisen: „Alkohol ist Doping“.
Und dann sagt er noch, dass die Sache mit dem Anlauf wirklich schwierig sei: „Es gibt so viele verschiedene Dinge, an die du gleichzeitig denken musst.“
Sportkegler jedenfalls trainieren die Bewegungsabläufe wieder und wieder, feilen an Kleinigkeiten wie Fußstellung und Handhaltung. An die 240 Wurf macht ein Bundesligaspieler wie Thomas Müller pro Training – doppelt so viele wie in einem Match. Ich habe also einen gewissen Trainingsrückstand, als ich mich einen Satz lang mit Thomas Müller messe. Das Ergebnis? Sagen wir mal so: Eher kommt ein Kegler aus der vierten Meitinger Herrenmannschaft in den Bamberger Bundesligakader, als ich in die vierte Herrenmannschaft.
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