Augsburger Allgemeine (Land West)
Mit Popsongs am Puls der Zeit
Der Chor iVoices aus Kutzenhausen und andere Jugendchöre bildeten sich nach dem neuesten Stand der Gesangstechnik fort. Erfunden hat sie eine Sängerin, die wegen ihres Asthmas vor dem Verlust ihrer Stimme stand
Mit dem Jugendchor der Sing- und Musikschule Augsburg, dem Jugendchor und iVoices aus Kutzenhausen sowie dem Kinderchor Augustana probten gleich vier Chöre aus dem Augsburger Sängerkreis auf einmal für den großen gemeinsamen Auftritt im Kleinen Goldenen Saal.
Augsburg Wer sich kürzlich samstags im Zeughaus aufhielt, konnte der Stimmgewalt von rund 80 überwiegend jugendlichen Kehlen lauschen. Mit dem Jugendchor der Sing- und Musikschule Augsburg, dem Jugendchor und iVoices aus Kutzenhausen sowie dem Kinderchor Augustana probten gleich vier Chöre aus dem Augsburger Sängerkreis auf einmal für den großen gemeinsamen Auftritt im Kleinen Goldenen Saal am Samstag, 17. März.
Wer nun an antiquierte Volkslieder denkt, irrt sich gewaltig: Moderne Jugendchöre pusten mit ihren Stimmen auch den Staub der Vergangenheit von den Notenblättern. Statt Klassikern wie „Das Wandern ist des Müllers Lust“interpretiert man heute Popmusik: „Viva la Vida“von Coldplay, „She’s the One“von Robbie Williams und „Sweet Dreams“von den Eurythmics stehen auf dem Programm.
Am Puls der Zeit ist man bei den modernen Chören in der Region nicht nur hinsichtlich der Musikauswahl. Im Rahmen des Stimmbildungsprojektes des Augsburger Sängerkreises bekamen die jungen Stimmen die gleiche technische Unterstützung, die auch viele Pop- und Rockstars in Anspruch nehmen: CVT heißt der neueste Schrei in Sachen Gesang. Die Abkürzung steht für Complete Vocal Technique. Die Theorien der CVT gelten als wissenschaftlich bewiesen. Wer als CVT-Coach arbeiten will, lernt das Handwerkszeug am Complete Vocal Institute in Kopenhagen.
Die Musikpädagogin Alexandra Ziegler-Liebst absolvierte die Ausbildung 2012. Damals war sie eine von acht CVT-Coaches in Deutschland. Mittlerweile gibt es fast 30. Weltweit rund 400. Keiner davon ist in Bayern tätig. Seit Ziegler-Liebst von München nach Frankfurt zog, ist Bayern also auf Gastauftritte wie den Event im Zeughaus angewiesen. Im Zeughaus brachte Alexandra Ziegler-Liebst die Augsburger Jugendchöre auf den neuesten Stand der Technik. „Letztlich ist Singen ein Hochleistungssport, da muss das Gehirn unheimlich viele Fähigkeiten miteinander kombinieren“, so die Trainerin.
Prominente Beispiele für erfolgreiche Gesangsschüler will die autorisierte CVT-Lehrerin nicht nennen. Nur so viel verriet sie: „Unter den bekanntesten CVT-Stimmen sind Gewinner des Eurovision Song Contest.“Auch in den Pop- und Rock-Charts seien stets Künstler vertreten, die auf die aus Dänemark stammende Technik setzen. Erfunden wurde die Methode von Cathrine Sadolin. Not machte sie erfinderisch: Gesangspädagogen hatten die Stimme der an Asthma Erkrankten aufgegeben. Deshalb studierte Sadolin Anatomiebücher, um mehr über das Zusammenspiel von Stimme und dem restlichen Körper zu verstehen.
Auch mit der abstrakten Ausdrucksweise der klassischen Gesangslehrer konnte die Dänin nichts anfangen. Damit war sie nicht allein, wie sich herausstellte. So entstand die Complete Vocal Technique. Mit der Philosophie, dass jeder Mensch singen kann, wenn er klare Ansagen bekommt. Statt „Stell dir vor, du drückst mit deiner Stimme eine Wand weg!“heißt es bei CVT konkret: „Macht den Mund weiter auf und stellt die Rippen breiter auf!“
Lange wurde lamentiert, dass immer weniger gesungen werde, doch derzeit entstehen wieder viele neue Chöre. Dass Singen wieder in ist, liege nicht nur an Talentshows im Fernsehen wie „DSDS“oder „The Voice“, ist Alexandra ZieglerLiebst überzeugt.
Seit den 2000er-Jahren wird das Singen durch diverse pädagogische Projekte wieder massiv gefördert. „Ich arbeite gern mit Kindern und Jugendlichen“, erzählt die 43-Jährige. „Wenn man denen etwas zutraut und die Persönlichkeiten sieht, bleiben die auch langfristig gern dabei.“
Dass in jungen Chören Musik aus der Jetztzeit gesungen wird, wirkt ebenfalls als Frischzellenkur für die Chorlandschaft. Das kann auch Herbert Deininger, musikalischer
Leiter des Augsburger Sängerkreises, bestätigen: „Zwar sterben bisweilen alte Chöre aus, doch insgesamt ist die Mitgliederzahl steigend.“
Dazu tragen neben modernen Jugendchören auch kleinere A-cappella-Gruppen bei. Letztere erfahren seit dem Erfolg von Combos wie den Wise Guys und Maybebop eine Renaissance. Über ein Drittel der Mitglieder des Augsburger Sängerkreises sind Kinder und Jugendliche. „Singen im Chor ist eines der Hobbys, bei denen man viel erreichen kann, ohne dass man zwingend besonders gut sein muss“, so Herbert Deininger. Denn bei einem Chor sei der Gesamtklang immer wesentlich besser als die Summe der Einzelteile. Eines dieser Einzelteile ist Isabell Drost. Sie singt im Jugendchor Augustana. „Ich kann mich durch Singen gut ausdrücken und meine Gefühle rauslassen“, erklärt die 16-Jährige. Ihr 18-jähriger Gesangskollege Valentin Welschof empfindet „Singen als tolle Freizeitbeschäftigung und Ablenkung vom Schulstress“.