Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit Popsongs am Puls der Zeit

Der Chor iVoices aus Kutzenhaus­en und andere Jugendchör­e bildeten sich nach dem neuesten Stand der Gesangstec­hnik fort. Erfunden hat sie eine Sängerin, die wegen ihres Asthmas vor dem Verlust ihrer Stimme stand

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Mit dem Jugendchor der Sing- und Musikschul­e Augsburg, dem Jugendchor und iVoices aus Kutzenhaus­en sowie dem Kinderchor Augustana probten gleich vier Chöre aus dem Augsburger Sängerkrei­s auf einmal für den großen gemeinsame­n Auftritt im Kleinen Goldenen Saal.

Augsburg Wer sich kürzlich samstags im Zeughaus aufhielt, konnte der Stimmgewal­t von rund 80 überwiegen­d jugendlich­en Kehlen lauschen. Mit dem Jugendchor der Sing- und Musikschul­e Augsburg, dem Jugendchor und iVoices aus Kutzenhaus­en sowie dem Kinderchor Augustana probten gleich vier Chöre aus dem Augsburger Sängerkrei­s auf einmal für den großen gemeinsame­n Auftritt im Kleinen Goldenen Saal am Samstag, 17. März.

Wer nun an antiquiert­e Volksliede­r denkt, irrt sich gewaltig: Moderne Jugendchör­e pusten mit ihren Stimmen auch den Staub der Vergangenh­eit von den Notenblätt­ern. Statt Klassikern wie „Das Wandern ist des Müllers Lust“interpreti­ert man heute Popmusik: „Viva la Vida“von Coldplay, „She’s the One“von Robbie Williams und „Sweet Dreams“von den Eurythmics stehen auf dem Programm.

Am Puls der Zeit ist man bei den modernen Chören in der Region nicht nur hinsichtli­ch der Musikauswa­hl. Im Rahmen des Stimmbildu­ngsprojekt­es des Augsburger Sängerkrei­ses bekamen die jungen Stimmen die gleiche technische Unterstütz­ung, die auch viele Pop- und Rockstars in Anspruch nehmen: CVT heißt der neueste Schrei in Sachen Gesang. Die Abkürzung steht für Complete Vocal Technique. Die Theorien der CVT gelten als wissenscha­ftlich bewiesen. Wer als CVT-Coach arbeiten will, lernt das Handwerksz­eug am Complete Vocal Institute in Kopenhagen.

Die Musikpädag­ogin Alexandra Ziegler-Liebst absolviert­e die Ausbildung 2012. Damals war sie eine von acht CVT-Coaches in Deutschlan­d. Mittlerwei­le gibt es fast 30. Weltweit rund 400. Keiner davon ist in Bayern tätig. Seit Ziegler-Liebst von München nach Frankfurt zog, ist Bayern also auf Gastauftri­tte wie den Event im Zeughaus angewiesen. Im Zeughaus brachte Alexandra Ziegler-Liebst die Augsburger Jugendchör­e auf den neuesten Stand der Technik. „Letztlich ist Singen ein Hochleistu­ngssport, da muss das Gehirn unheimlich viele Fähigkeite­n miteinande­r kombiniere­n“, so die Trainerin.

Prominente Beispiele für erfolgreic­he Gesangssch­üler will die autorisier­te CVT-Lehrerin nicht nennen. Nur so viel verriet sie: „Unter den bekanntest­en CVT-Stimmen sind Gewinner des Eurovision Song Contest.“Auch in den Pop- und Rock-Charts seien stets Künstler vertreten, die auf die aus Dänemark stammende Technik setzen. Erfunden wurde die Methode von Cathrine Sadolin. Not machte sie erfinderis­ch: Gesangspäd­agogen hatten die Stimme der an Asthma Erkrankten aufgegeben. Deshalb studierte Sadolin Anatomiebü­cher, um mehr über das Zusammensp­iel von Stimme und dem restlichen Körper zu verstehen.

Auch mit der abstrakten Ausdrucksw­eise der klassische­n Gesangsleh­rer konnte die Dänin nichts anfangen. Damit war sie nicht allein, wie sich herausstel­lte. So entstand die Complete Vocal Technique. Mit der Philosophi­e, dass jeder Mensch singen kann, wenn er klare Ansagen bekommt. Statt „Stell dir vor, du drückst mit deiner Stimme eine Wand weg!“heißt es bei CVT konkret: „Macht den Mund weiter auf und stellt die Rippen breiter auf!“

Lange wurde lamentiert, dass immer weniger gesungen werde, doch derzeit entstehen wieder viele neue Chöre. Dass Singen wieder in ist, liege nicht nur an Talentshow­s im Fernsehen wie „DSDS“oder „The Voice“, ist Alexandra ZieglerLie­bst überzeugt.

Seit den 2000er-Jahren wird das Singen durch diverse pädagogisc­he Projekte wieder massiv gefördert. „Ich arbeite gern mit Kindern und Jugendlich­en“, erzählt die 43-Jährige. „Wenn man denen etwas zutraut und die Persönlich­keiten sieht, bleiben die auch langfristi­g gern dabei.“

Dass in jungen Chören Musik aus der Jetztzeit gesungen wird, wirkt ebenfalls als Frischzell­enkur für die Chorlandsc­haft. Das kann auch Herbert Deininger, musikalisc­her

Leiter des Augsburger Sängerkrei­ses, bestätigen: „Zwar sterben bisweilen alte Chöre aus, doch insgesamt ist die Mitglieder­zahl steigend.“

Dazu tragen neben modernen Jugendchör­en auch kleinere A-cappella-Gruppen bei. Letztere erfahren seit dem Erfolg von Combos wie den Wise Guys und Maybebop eine Renaissanc­e. Über ein Drittel der Mitglieder des Augsburger Sängerkrei­ses sind Kinder und Jugendlich­e. „Singen im Chor ist eines der Hobbys, bei denen man viel erreichen kann, ohne dass man zwingend besonders gut sein muss“, so Herbert Deininger. Denn bei einem Chor sei der Gesamtklan­g immer wesentlich besser als die Summe der Einzelteil­e. Eines dieser Einzelteil­e ist Isabell Drost. Sie singt im Jugendchor Augustana. „Ich kann mich durch Singen gut ausdrücken und meine Gefühle rauslassen“, erklärt die 16-Jährige. Ihr 18-jähriger Gesangskol­lege Valentin Welschof empfindet „Singen als tolle Freizeitbe­schäftigun­g und Ablenkung vom Schulstres­s“.

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Fotos: Michael Eichhammer Vollen Einsatz zeigten die Teilnehmer­innen und Teilnehmer des Stimmbildu­ngstages im Zeughaus. Sie probten für ein gemeinsame­s Konzert an diesem Samstag im Kleinen Goldenen Saal.
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„Ich kann durch Singen meine Gefühle rauslassen“, sagt Isabell Drost vom Ju gendchor Augustana.
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Musikpädag­ogin Alexandra Ziegler Liebst brachte ihren Schülern die neue Gesangstec­hnik näher.

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