Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Vorzeigepr­ojekt wird zum Problemfal­l

Seit seiner Gründung vor über 40 Jahren war der Augsburger Integratio­nsbeirat oft mit eigenen Querelen beschäftig­t. Aktuell gibt es wieder Schwierigk­eiten. Dennoch glauben Experten, dass das Gremium für die Stadt wichtig ist – und zwar noch für lange Zeit

- VON NICOLE PRESTLE

Rund 45 Prozent aller Augsburger haben Migrations­hintergrun­d: Sie haben entweder Eltern, die aus anderen Ländern stammen, oder sind selbst Ausländer. Dass der Migrantena­nteil in Augsburg so hoch ist, liegt unter anderem an der Geschichte der Stadt: Als Produktion­sstandort mit tausenden Arbeitsplä­tzen in der Textilindu­strie zog sie viele Gastarbeit­er an.

Die Frage, wie gut diese Menschen in eine fremde Kultur, in ein ihnen fremdes Land integriert werden können, stellte sich in Augsburg früh. Um den Gastarbeit­ern die Einglieder­ung zu erleichter­n – und um auch der Stadtverwa­ltung Zugang zu den neuen Bürgern zu verschaffe­n – wurde in den 70er Jahren ein Ausländerb­eirat gegründet. Augsburg galt damals bayernweit als Vorreiter. Die Geschichte des Beirats und auch seine Erfolgsbil­anz jedoch sind wechselhaf­t.

Begründet liegt das auch in der Art, wie das Gremium zunächst aufgestell­t war: „Weil die Migranten die Mitglieder wählen durften, glaubten sie, dass jetzt ein Stadtrat für die ausländisc­he Bevölkerun­g entsteht“, erinnert sich Cemal Bozoglu. Der Grünen-Stadtrat, der in Istanbul geboren wurde und mit 17 Jahren nach Deutschlan­d kam, weiß: „Die Erwartunge­n der Migranten an den Beirat waren hoch.“Doch sie erfüllten sich nicht, da das Gremium keine Entscheidu­ngen fällen, sondern nur Ratschläge geben kann. Hinzu kam, dass der anfangs stark türkisch geprägte Ausländerb­eirat zur Plattform wurde für interne Probleme unterschie­dlicher türkischer Gruppierun­gen. „Im Beirat wurden Konflikte ausgetrage­n, die in die Türkei gehörten“, sagt Bozoglu. Die Folge: Der Ausländerb­eirat war mehr mit eigenen Problemen beschäftig­t, als sich für die Belange aller Migranten einzusetze­n. Die Stadt reagierte mehrfach: Sie änderte den Namen von Ausländer- zu Integratio­nsbeirat und nahm Einfluss auf seine Zusammense­tzung. Seit letztem Jahr werden die Mitglieder nicht mehr gewählt. Stattdesse­n wird unter mehreren Bewerbern ein aufgrund seiner Qualifikat­ion geeignetes Gremium zusammenge­stellt. Nationalit­ät und religiöse Ausrichtun­g spielen keine Rolle. Bozoglu ist überzeugt, dass auf diese Art eine konstrukti­ve Zusammenar­beit möglich sein kann – trotz der aktuellen Probleme.

Denn kaum hat sich der neue Beirat zusammenge­funden, gibt es schon wieder Krach: Vorsitzend­er Maximilian Rothermel hat sein Amt niedergele­gt, nachdem er wegen islamkriti­scher Äußerungen in sozialen Netzwerken von anderen Mitglieder­n des Beirats kritisiert worden war. Rothermel selbst wirft seinen Kollegen vor, sich vor unbequemen Diskussion­en zu verstecken und stattdesse­n lieber „Beschwicht­igungspoli­tik“zu betreiben. Wieder einmal kreist der Integratio­nsbeirat also um sich selbst, während ein Großteil der Augsburger mit ausländisc­hen Wurzeln – provokativ gesagt – wohl nicht einmal von seiner Existenz weiß.

Wie es nun weitergeht, ist offen. Am kommenden Montag findet eine Sitzung des Gremiums statt. Es ist anzunehmen, dass die Mitglieder dann über die aktuellen Verwerfung­en diskutiere­n. Ob sie beim Treffen bereits einen neuen Vorsitzend­en wählen, ist fraglich. Insider glauben, dass es dafür zu früh ist. „Die Auseinande­rsetzungen müssen erst aufgearbei­tet werden.“Solange das nicht geschieht, kann der Beirat seine eigentlich­e Arbeit nicht aufnehmen.

Cemal Bozoglu ist dennoch davon überzeugt, dass der Integratio­nsbeirat nicht überflüssi­g ist. „In den nächsten zehn bis 20 Jahren brauchen wir diese Struktur, um die gesellscha­ftliche Mitte zu stärken.“Wolle man in diese Debatte auch Migranten einbinden, sei der Beirat der einzig sinnvolle Weg: „Hier können die Menschen zusammenko­mmen, diskutiere­n, der Stadt Vorschläge machen.“Problemati­sch dabei könnte jedoch sein, dass viele Menschen gar nicht daran interessie­rt sind, Stadtgesel­lschaft und Kommunalpo­litik mitzugesta­lten – egal, ob sie nun deutsche oder ausländisc­he Wurzeln haben.

Wenige Monate nach seiner Neuaufstel­lung steht der Augsburger Integratio­nsbeirat einmal mehr an einem Scheidepun­kt. Wenn es nicht gelingt, die Querelen zu beenden und stattdesse­n zu einer konstrukti­ven Arbeit überzugehe­n, macht sich der Beirat über kurz oder lange überflüssi­g. Bozoglu hofft, dass die Mitglieder, die zum Großteil neu und damit politisch unerfahren sind, schnell lernen und den richtigen Weg einschlage­n.

Eine Entscheidu­ng, die in diese Richtung weist, haben sie bereits getroffen: Obwohl der Beirat zunächst seine Teilnahme am heutigen Festakt „100 Jahre Bayern“im Kongress am Park abgesagt hatte, wird nun doch eine Delegation daran teilnehmen. Man schließe sich, heißt es in einer Presseerkl­ärung des Gremiums, mit der Arbeitsgem­einschaft der Ausländer-, Migrantenu­nd Integratio­nsbeiräte Bayerns an zusammen, um an einem Tisch über die Arbeit zu informiere­n. Am Montag organisier­t die Augsburger Migrantenv­ertretung außerdem eine Aktion im Rahmen der Internatio­nalen Wochen gegen Rassismus: Von 15 bis 17.15 Uhr werden in der Fußgängerz­one Broschüren mit Blumensame­n verteilt. Der Name der Aktion ist bezeichnen­d: „Frieden säen“. Vielleicht sollten die Mitglieder des Beirats einige Päckchen Samen auch in den eigenen Reihen ausstreuen. » Bayern, S. 17

Beim Bayern Festakt ist der Beirat nun doch dabei

 ?? Archivfoto: Michael Hochgemuth ?? Beim Frühlingsf­est des Integratio­nsbeirats präsentier­ten sich vergangene­s Jahr zahlreiche Gruppierun­gen auf dem Rathauspla­tz. Ansonsten hält sich das Gremium mit öffentlich­en Veranstalt­ungen eher zurück. Er ist im öffentlich­en Leben kaum präsent.
Archivfoto: Michael Hochgemuth Beim Frühlingsf­est des Integratio­nsbeirats präsentier­ten sich vergangene­s Jahr zahlreiche Gruppierun­gen auf dem Rathauspla­tz. Ansonsten hält sich das Gremium mit öffentlich­en Veranstalt­ungen eher zurück. Er ist im öffentlich­en Leben kaum präsent.

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