Augsburger Allgemeine (Land West)
Islam, Kopftuch und die Frauenfrage
Yasemin Aydin will weg von den Klischees über muslimische Verhaltensweisen
Augsburg Pfersee Eine Muslimin ist kein Objekt. Der Koran fordert nicht, dass sie sich nahtlos von der Vormundschaft des Vaters in die des Ehemannes begibt und von diesem beschützt werden muss. Yasemin Aydin, Koordinatorin der „Journalists and Writers Foundation Europe“sowie Vorsitzende des Wiener Friede-Instituts für Dialog, gerät beim Thema „Gender im Islam“in Rage. Klischees von Muslimen über das optimale weibliche Verhalten nerven sie genauso wie Pauschalierungen über unterdrückte Frauen von nicht muslimischer Seite.
Bei ihrem Vortrag im Bürgerhaus Pfersee zeigt sie, wie sich der Blick auf die zunächst öffentliche Weiblichkeit in frühislamischer Zeit mit der Kasernierung von Sklavinnen aus den neu eroberten Gebieten in Harems während späterer Dynastien allmählich veränderte. Frauen verschwanden aus dem öffentlichen Raum, das hatte schwerwiegende Folgen für die muslimischen Gesellschaften. Und diese Verdrängung entspreche nicht dem Koran und den überlieferten Aussprüchen Muhammads. Erste Koranverse, die das Zusammenleben von Mann und Frau regelten, räumten der Frau vielmehr Wertschätzung, ein Scheidungsrecht und Erbansprüche ein. Eine der frühen Anhängerinnen Muhammads, Sumayya, stand zu ihrer neuen Religion. Dafür wurde sie von den Mekkanern hingerichtet. „Der erste Märtyrer im Islam war eine Frau“, betont Aydin.
Starke Frauen habe es in der islamischen Geschichte genug gegeben. Die Ignoranz der Gelehrten und ihre Machtstrukturen verhinderten die wissenschaftliche Erinnerungskultur an sie. Mitnichten sei die Brautgabe ein Preis, den der Brautvater kassieren kann, sondern eine Absicherung, über die allein die Braut verfügen darf. Finanzielle Abhängigkeit? Sie sei in der Scharia für die Frau nicht vorgesehen, so die Sozialpsychologin. Die Frau sei selbstbestimmt und wenn sie arbeitet, steht der Verdienst allein ihr zu, während das Einkommen des Ehemanns für die Familie eingesetzt werden muss. Auch eine Scheidung könne die Frau nach islamischem Recht einreichen. Nur sei das zum Beispiel in türkisch-muslimischen Kreisen wenig bekannt. „In der theologischen Literatur des Osmanischen Reiches und der Türkei wurde das nicht tradiert und so ging das Wissen verloren“, erklärt sie.
Im Saal des Bürgerhauses tragen die meisten der etwa 40 Zuhörerinnen Kopftuch. Wie passt das in die muslimische Gender-Debatte, fragt eine Frau. Das sei eine Vorschrift des Koran, erklärt Aydin, die ihr Haar ebenfalls bedeckt.
Dass das keineswegs so eindeutig ist und viele Theologen kein Bedeckungsgebot im Koran erkennen, erläutert sie nicht zusätzlich. Auch dass die Referentin selbst, ihre Stiftung, das Dialoginstitut und der Augsburger Calla Bildungsverein, der zu dem Vortrag eingeladen hatte, zur konservativen Bewegung des Predigers Fethullah Gülen gehören, wird während der Veranstaltung nicht aktiv bekannt gegeben.