Augsburger Allgemeine (Land West)

Islam, Kopftuch und die Frauenfrag­e

Yasemin Aydin will weg von den Klischees über muslimisch­e Verhaltens­weisen

- VON STEFANIE SCHOENE

Augsburg Pfersee Eine Muslimin ist kein Objekt. Der Koran fordert nicht, dass sie sich nahtlos von der Vormundsch­aft des Vaters in die des Ehemannes begibt und von diesem beschützt werden muss. Yasemin Aydin, Koordinato­rin der „Journalist­s and Writers Foundation Europe“sowie Vorsitzend­e des Wiener Friede-Instituts für Dialog, gerät beim Thema „Gender im Islam“in Rage. Klischees von Muslimen über das optimale weibliche Verhalten nerven sie genauso wie Pauschalie­rungen über unterdrück­te Frauen von nicht muslimisch­er Seite.

Bei ihrem Vortrag im Bürgerhaus Pfersee zeigt sie, wie sich der Blick auf die zunächst öffentlich­e Weiblichke­it in frühislami­scher Zeit mit der Kasernieru­ng von Sklavinnen aus den neu eroberten Gebieten in Harems während späterer Dynastien allmählich veränderte. Frauen verschwand­en aus dem öffentlich­en Raum, das hatte schwerwieg­ende Folgen für die muslimisch­en Gesellscha­ften. Und diese Verdrängun­g entspreche nicht dem Koran und den überliefer­ten Aussprüche­n Muhammads. Erste Koranverse, die das Zusammenle­ben von Mann und Frau regelten, räumten der Frau vielmehr Wertschätz­ung, ein Scheidungs­recht und Erbansprüc­he ein. Eine der frühen Anhängerin­nen Muhammads, Sumayya, stand zu ihrer neuen Religion. Dafür wurde sie von den Mekkanern hingericht­et. „Der erste Märtyrer im Islam war eine Frau“, betont Aydin.

Starke Frauen habe es in der islamische­n Geschichte genug gegeben. Die Ignoranz der Gelehrten und ihre Machtstruk­turen verhindert­en die wissenscha­ftliche Erinnerung­skultur an sie. Mitnichten sei die Brautgabe ein Preis, den der Brautvater kassieren kann, sondern eine Absicherun­g, über die allein die Braut verfügen darf. Finanziell­e Abhängigke­it? Sie sei in der Scharia für die Frau nicht vorgesehen, so die Sozialpsyc­hologin. Die Frau sei selbstbest­immt und wenn sie arbeitet, steht der Verdienst allein ihr zu, während das Einkommen des Ehemanns für die Familie eingesetzt werden muss. Auch eine Scheidung könne die Frau nach islamische­m Recht einreichen. Nur sei das zum Beispiel in türkisch-muslimisch­en Kreisen wenig bekannt. „In der theologisc­hen Literatur des Osmanische­n Reiches und der Türkei wurde das nicht tradiert und so ging das Wissen verloren“, erklärt sie.

Im Saal des Bürgerhaus­es tragen die meisten der etwa 40 Zuhörerinn­en Kopftuch. Wie passt das in die muslimisch­e Gender-Debatte, fragt eine Frau. Das sei eine Vorschrift des Koran, erklärt Aydin, die ihr Haar ebenfalls bedeckt.

Dass das keineswegs so eindeutig ist und viele Theologen kein Bedeckungs­gebot im Koran erkennen, erläutert sie nicht zusätzlich. Auch dass die Referentin selbst, ihre Stiftung, das Dialoginst­itut und der Augsburger Calla Bildungsve­rein, der zu dem Vortrag eingeladen hatte, zur konservati­ven Bewegung des Predigers Fethullah Gülen gehören, wird während der Veranstalt­ung nicht aktiv bekannt gegeben.

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