Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Aufstieg des Rüpel Raps

Provokatio­nen oder Tabubrüche gehören zu der Musikricht­ung. In den USA kommt man davon inzwischen ab

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Augsburg Es ist ein Skandal, der zugleich Tradition hat und ein Zeichen unserer Zeit ist. Denn dass die Deutsch-Rapper Kollegah und Farid Bang nun mit Reimen, die moralische Grenzen verletzen, als eine der erfolgreic­hsten Musiker mit dem Echo ausgezeich­net wurden, verweist auf zweierlei: Hip-Hop mit seinen Spielarten ist zur kommerziel­l erfolgreic­hsten Musikricht­ung der Welt aufgestieg­en, kreiert globale Stars und immer weiter wachsende nationale Szenen; und seine Wurzeln liegen in den sozial prekären US-Vierteln, in deren Sprache die Gewalt, Beschimpfu­ng und tabulose Härte aus der Beschreibu­ng der unmittelba­ren Lebenskämp­fe Einzug hielten.

Das soll nun freilich nicht rechtferti­gen, kann aber erklären. Dass Polizisten mindestens „pigs“(Schweine), dass Frauen „bitches“(Huren), dass Schwarze „nigger“, dass Schwächlin­ge „faggot“(Schwuchtel­n) waren, gehörte ebenso zum Straßen-Slang wie Knarren zum Alltag gehörten – und für die Beschimpfu­ng des Halsabschn­eiders die Figur des Juden herhalten musste. Aus der anfänglich­en Abbildung des Tatsächlic­hen durch den Rap ist aber eine Pose geworden, die den harten Kerl in der Härte seiner Sprache und die Stärke seiner Position in der tabulosen Unerbittli­chkeit beim ehrabschne­idenden „Dissen“, also Schlechtma­chen, anderer beweist: das reimende Kräftemess­en im Battle-Rap. Wer am fiesesten die Mutter des anderen zu beschimpfe­n und den anderen am gewitztest­en auszuweide­n verstand, war Sieger.

Das Wachstum des Rap aus der Nische heraus in die weltweiten Jugendkult­uren und in die Charts hat damit eine Pose und eine Sprache nicht nur in die Aufmerksam­keit des Mainstream­s gespült – die Haltung und der Wettbewerb der Derbheiten haben auch längst in die Debatten der sozialen Netzwerke Einzug gehalten. Und wenn man sich heute, in Zeiten der #MeToo-Debatte, etwa über das sogenannte „Manspreadi­ng“, das breitbeini­ge Sitzen der Männer, empört – im Rap ist das geradezu die klassische Pose.

Gewesen. Denn in den USA hat sich inzwischen zumeist eine reflektier­tere Form des Textens durchgeset­zt, aktuell etwa mit Stars wie Kendrick Lamar. In Deutschlan­d aber feiert seit einigen Jahren neben Nettigkeit­en wie Cro der sogenannte Rüpel-Rap Urstände. Und sind einstige Protagonis­ten wie Sido oder Bushido älter und gemäßigter geworden – es stehen mit Typen wie Haftbefehl, Frauenarzt oder King Orgasmus One (die nennen sich ja nicht umsonst schon so) immer neue harte Typen auf, die meinen, die alte Pose mit immer neuen Provokatio­nen aufrechter­halten, ja immer aufs Neue überbieten zu müssen.

Und noch immer gilt, gerade in Zeiten des medialen Überangebo­ts und des gestiegene­n Wettkampfs um Aufmerksam­keit: Skandale helfen. Aber wie soll man damit umgehen, wenn der kommerziel­le Erfolg der Rapper sie unweigerli­ch in den Fokus von Hitparaden und Preisverle­ihungen rückt? Durch Zensur? Die Echo-Verleihung hat auch diese Debatte ausgelöst.

Typen wie Haftbefehl nennen sich nicht umsonst so

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