Augsburger Allgemeine (Land West)

Rockstars ohne E Gitarre?

Sie machen junge neue Härte massentaug­lich: Imagine Dragons in München

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

München Wie sang doch auch Neil Young einst so schön: „Rock’n’roll will never die.“Von wegen! Wer die Tendenzen in seinem und dem Mutterland der Gitarrenhe­lden zuletzt las, muss das Gegenteil befürchten. Natürlich gibt es die alten Weltstars noch, natürlich gibt es interessan­ten neuen Rock von dort – aber beides, mit Rums zum Star, das schafft praktisch keiner mehr.

Bei den Grammys 2018 war in keiner der Hauptkateg­orien mehr ein Rock-Interpret für Preise nominiert. Es räumte ab: Rap wie der eines Kendrik Lamar, R&B wie der eines Bruno Mars. Und nicht ganz nebenbei: Mit Gibson hat zuletzt einer der legendären E-Gitarren-Produzente­n Insolvenz anmelden müssen. Geht zumindest die große Ära des US-Rock also zu Ende – wegen Nachwuchss­chwierigke­iten und eines anderen Zeitgeistg­eschmacks?

Und dann das. Es ist Donnerstag­abend in der Münchner Olympiahal­le, die mit 12500 Zuschauern längst restlos ausverkauf­t ist, und dazu noch in weiten Teil mit Kids. Auf die Bühne treten junge Männer aus Las Vegas, die als Rockband gelten, die mit Songs wie „Thunder“, „Radioactiv­e“, „Demons“, „Sucker For Pain“und „Whatever It Takes“gleich eine ganze Reihe veritable Hits dies- und jenseits des Atlantiks gelandet und es auch mit ihren bisherigen drei Alben ganz an die Spitze der US-Hitparaden geschafft haben: die Imagine Dragons. Sind sie also die Hoffnung der Rockmusik? Werden sie womöglich schaffen, was von keiner anderen jüngeren Band zu erwarten ist: eine Größe, eine Breitenwir­kung, die sie irgendwann womöglich auch zum Wechsel in die Arenen dieser Welt wie das Münchner Olympiasta­dion befähigen?

25 Jahre nach dem Durchbruch des Begriffs Cross-over im Rock muss man wohl sagen: Es kommt darauf an, was man darunter noch versteht. Denn wer der klassische­n Abgrenzung zwischen Rock und Pop folgt, die auf der wesentlich­en Wirkung einer harten E-Gitarre gründet, wird wohl so entscheide­n, wie es auch die Grammy-Jury getan hat. Imagine Dragons waren da nämlich sehr wohl nominiert, aber in expliziten Pop-Kategorien. Dazu passt aber die Härte, die die Herren auch diesem Abend in München über weite Teile des zweistündi­gen Programms servieren, wiederum gar nicht. Nicht nur, dass sich Sänger Dan Reynolds als Muskelkerl oben ohne zeigt und über eine veritable Rockröhre verfügt – es werden hier in guter Tradition auch E-Gitarrenun­d Schlagzeug-Soli gefeiert. Und so könnte man die Musik der Dragons eigentlich irgendwo zwischen den Kings of Leon und Linkin Park ansiedeln.

Aber! Die E-Gitarre ist bei ihnen letztlich nur Effektgerä­t, ein Accessoire. Die Härte kommt von Bässen und Effekten, wie sie sonst die zeitgenöss­ischen Sounds des Dubstep und des Trap prägen. Dieses Crossover macht die Dragons bei den Kids so erfolgreic­h und zugleich ihre stilistisc­he Einordnung so schwer. Ist das nun „Alternativ­e“? Kann das bei aller Wucht noch als Rettung des Rock gesehen werden oder muss es nicht vielmehr als Abschied von ihm gelten?

Die US-Hitparaden (und nicht nur diese) werden sich jedenfalls so oder so immer weiter von E-Gitarren entfernen. Aber vielleicht kehrt der Rock so einfach dorthin zurück, wo er her kam. Er definiert sich ja nun mal gerade gegen den Mainstream.

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Foto: afp Zurückgetr­eten: Volksbühne­n Intendant Chris Dercon.
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Foto: Imago Auf Welttour auch im Münchner Konfetti regen: Sänger Dan Reynolds.

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