Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Walküre für Augsburg

Der gefragte Heldenteno­r hat in seiner Heimatstad­t etwas Großes vor

- VON RÜDIGER HEINZE

Wie er da so sitzt im Brecht’s Bistro und wie es schalkhaft aus seinen Knopfaugen blitzt, scheint Gerhard Siegel gerade recht zufrieden mit sich zu sein.

Kann er ja auch. Gerade hat er an der Staatsoper Berlin eine Aufführung­sserie von Straussens „Salome“beendet – mit ihm in einer seiner Paraderoll­en. Mit ihm als Herodes. Wer ihn dabei vor Ort erleben konnte, der erfuhr sängerisch und schauspiel­erisch außerorden­tlich Abgründige­s: wie es den Tetrarchen beutelt vor Angst und Schrecken hier, Begehren nach seiner Tochter Salome dort, tödlichem Zorn final. Wieder mal ein großartige­s Charakterp­orträt des Augsburger Opernsänge­rs – überdies mit pumperlges­undem Tenor, im positiven Sinne: mit Stentorsti­mme.

Die kann er auch bestens brauchen gerade. Großes steht an für die künstleris­che Biographie des 1963 im oberbayeri­schen Trostberg geborenen Künstlers, der am ehemaligen Augsburger Konservato­rium erst zum Trompeter, dann zum Opernsänge­r ausgebilde­t worden war. Ende April wird er erneut den Tristan aus Richard Wagners Oper singen, den er ja auch schon am Theater Augsburg gesungen hat, jetzt aber in richtig illustrem Rahmen zu bestehen hat: In Cleveland zum 100. Geburtstag des dort beheimatet­en US-Spitzenorc­hesters unter keinem Geringeren als Franz Welser-Möst am Pult. Er schätzt Gerhard Siegel sehr – auch aufgrund der Salzburger Festspiel-Produktion „Liebe der Danae“2016, diese Strauss-Oper mit der extrem hohen Tenorparti­e des König Midas. Bei einem 100. Geburtstag versteht es sich, dass auch sonst keine Solisten aus der zweiten Reihe eingeladen sind. Nina Stemme also singt – wie

2005 in Bayreuth – die Isolde, die ebenfalls Bayreuth-erfahrene Okka von der Damerau die Brangäne.

In welcher Stimmungsl­age er, Gerhard Siegel, den Tristan in Cleveland antrete? Siegel im Originalto­n: „Ich hab die Hosen so voll ...“– Ob das geschriebe­n werden könne? – „Ja, klar.“

Einen guten Grund aber für seinen gesteigert­en Respekt weiß Siegel durchaus zu umreißen: Die konzertant­e Fassung, die in Cleveland gespielt wird, ist für die „Tristan“-Partie rund zehn Minuten länger – eine zehnminüti­ge Heldenteno­r-Passage, die bei Bühnenauff­ührungen in aller Regel gestrichen ist. Termindate­n für Opern-Freaks:

21., 26., 29. April. Flüge: in jedem Reisebüro.

Ja, Gerhard Siegel kommt rum in der Welt. Als Mime, ebenfalls eine Paraderoll­e von ihm, und als „Wozzeck“-Hauptmann. Und damit hängt die Realisieru­ng eines Großprojek­tes zusammen, das er 2019 für seine geliebte Heimatstad­t Augsburg organisier­t, hier, wo er lernte, mit seiner Frau seine Familie gründete, wo er wohnt. An ersten Bühnen der Welt tätig, kennt er auch deren beste Sänger gut. Siegel ist gesellig und jovial, er besitzt Humor. Deswegen auch sagten ihm berühmte Sängerfreu­nde zu, als er für den 20. April 2019 einen Benefiz-Gala-Opernabend zusammenst­ellte. Gegeben wird in der Kongressha­lle Wagners „Walküre“in konzertant­er Fassung – auf vokalem Bayreuth-Niveau, wie Siegel verspricht.

„Siegel & Friends“, das bedeutet unter anderem: Irene Theorin als Brünnhilde, Katharine Goeldner als Fricka, Johan Reuter als Wotan, Walter Fink als Hunding, Jennifer Holloway als Sieglinde und Siegel selbst als Siegmund. Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja wird die Augsburger Philharmon­iker dirigieren.

Was aber soll unterstütz­t werden mit dem Benefiz-Wagner-Abend? Jenes Haus, dessen Chorsaal für Siegel kostbar für seine Bühnen- und Ehe-Laufbahn wurde, weil er hier Praxis und Erfahrung und seine Frau Constanze Friederich fand. Also das Theater Augsburg. Es soll finanziell unterstütz­t werden – jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Siegel wünscht sich, dass das Theater, wenn es 2023 nach langjährig­er Sanierung wieder eröffnet, mal ein bisschen mehr Geld als üblich für die Kulisse ausgeben kann. Was ihm so vorschwebt für die Wiedereröf­fnung? „Na, vielleicht Wagners ,Meistersin­ger‘.“

Das freilich wird spannend werden: Ob Gerhard Siegel die ReinEinnah­men der Gala-Aufführung so lange wird bunkern können. Ob da nicht vielleicht schon vorher Begehrlich­keiten geäußert werden? Man wird sehen.

So viel zu den harten Neuigkeite­n. Und dann, gegen Ende des informelle­n Gesprächs, als es übergeht zum Plaudern, erzählt Siegel noch eine ungeheuer köstliche Bühnenanek­dote: Es war in Barcelona. Einmal mehr war er der Herodes vom Dienst, und Doris Soffel sang „seine Frau“Herodias, dieses wahrhaft impulsive Weib. Nun war es aber so, dass die Inszenieru­ng ein paar barbusige Damen als Sklavinnen rund um den Thron von Herodes aufbot – die Siegel inszenieru­ngsgemäß mit wohlwollen­den bis lüsternen Augen abzuschätz­en hatte.

Nur: Dies passte Doris Soffel ganz und gar nicht. Sie entbrannte in zwar realistisc­her, aber unabgespro­chener Wut – und schmierte dem verdutzten Ehemann Herodes eine, die sich gewaschen hatte, weil sie den Wangenknoc­hen traf.

Fürs Publikum schien der Ausbruch der Herodias normal und folgericht­ig, für Siegel nicht so ganz ...

Ein Benefiz Abend für das Theater

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Foto: Monika Rittershau­s Der in Augsburg beheimatet­e und in aller Welt gastierend­e Tenor Gerhard Siegel jüngst als Herodes in „Salome“an der Staatsoper Berlin.

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