Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Ziegenstal­l wird es eng

Auf dem Biohof Liebert in Wertingen stehen heuer Mehrlingsg­eburten an. Was die Milch und das Fleisch so besonders macht / Serie, Teil 42

- VON STEFFI BRAND

Wertingen In diesem Jahr könnte es mächtig eng werden im Ziegenstal­l der Familie Liebert. Die ersten Kitze wurden bereits geboren. Doch anstatt der erwarteten Zwillinge häuften sich in diesem Jahr die Mehrlingsg­eburten. Drillinge, Vierlinge und sogar Fünflinge kamen auf dem Bio-Milchziege­nhof Liebert zur Welt. Und das wirft die Kalkulatio­n von Vater Hubert Liebert und Sohn Tobias Liebert gehörig über den Haufen. Eigentlich leben im sogenannte­n Melkstall etwa 170 Tiere. Für maximal 200 Tiere ist Platz. Kalkuliert hat das Vater-Sohn-Duo mit Zwillingen, also mit 340 Kitzen. Werden es nun mehr, freut das die Ziegenbaue­rn zwar, die eigentlich den Bestand aufstocken möchten, aber es gibt auch ein Problem: „Wir brauchen dringend mehr Weidefläch­en“, erklärt der 30-jährige Tobias Liebert vorausscha­uend. Der Neubau eines Stalls ist schon angedacht, doch vor allem an Freifläche­n, auf denen die Ziegen im Sommer grasen können, mangelt es.

Die Kitze, die auf dem BioMilchzi­egenhof Liebert im Frühjahr auf die Welt kommen, werden nach etwa zwei bis drei Tagen von der Mutter getrennt. Unter der Wärmelampe und in Gesellscha­ft ihrer Geschwiste­r lernen sie nun buchstäbli­ch auf eigenen Beinen zu stehen. Nach etwa fünf Tagen haben sie bereits begriffen, wie sie am Automaten trinken können. Nach zwei Wochen in der „Babybox“ziehen die Tiere weiter: in den Ziegenkind­ergarten. Ein kleiner Holzunters­tand mit Außentrepp­e und einem begehbaren Dach ist dann ihr liebstes Spielzeug. Vier bis fünf Wochen haben die Tiere hier Zeit, sich an das reguläre Futter zu gewöhnen. Der Geschmack von Heu und Kraftfutte­r wird ihnen anfangs noch mit Traubenzuc­ker und Milchpulve­r versüßt. Im Alter von acht Wochen ist Schluss mit der Milchfütte­rung. Eine warme Elektrolyt­lösung hilft den Tieren beim sanften Übergang.

In diesen ersten acht Lebenswoch­en legen die Tiere, die meist mit drei bis fünf Kilogramm auf die Welt kommen, ordentlich zu. Im Alter von acht Wochen bringen sie mindestens 15 Kilogramm auf die Waage. An dieser Stelle trennen sich die Wege der weiblichen und männlichen Kitze. Die männlichen Kitze werden geschlacht­et, die weiblichen Tiere bleiben noch einige Wochen im Stall, bis sie auf die Weide dürfen. Im Stall wird die Menge an Kraftfutte­r, das sehr eiweißhalt­ig ist, sukzessive erhöht: Die Menge steigt von 300 bis auf 600 Gramm am Tag. Auf die Weide kommen die Tiere etwa mit 30 Kilogramm. Dann sind sie fünf Monate alt und bekommen Gras, Heu und Silage zu fressen. Etwa zehn Kilogramm legen die Tiere auf der Weide zu. Im Herbst kommen sie zurück in den Stall. Dann darf der Bock zu den weiblichen Tieren, sodass sie im Frühjahr zum ersten Mal ein, zwei, drei oder vier Kitze bekommen. Erst ab diesem Zeitpunkt gibt eine Ziege Milch. Alle zwei Tage wird die Milch sowie Produkte, die daraus gefertigt werden, abgeholt und in der Biomilchmo­lkerei unter dem Label Andechser Natur in den Supermarkt­ketten Rewe und Edeka verkauft.

Auch zu den Stallzeite­n, das heißt zwischen acht und neun Uhr morgens und zwischen halb sechs und sieben Uhr abends, wenn Mutter Anita Liebert und Schwiegert­ochter Regina Liebert im Stall anzutreffe­n sind, wird Rohmilch ab Hof abgegeben. Auf dem Bio-Milchziege­nhof Liebert in Wertingen gibt ein Tier im Schnitt etwa 700 Liter Milch im Jahr und wird etwa acht bis zehn Jahre alt. Vergleichs­werte kennt Hubert Liebert: „In einem konvention­ellen Betrieb geben die Ziegen 1200 Liter Milch im Jahr, werden dafür aber nur drei bis vier Jahre alt.“Vier Wochen nachdem das Tier zum ersten Mal gelammt hat, steht die erste Milchprüfu­ng an. Hat das Tier nicht genügend Milch produziert – 2,5 Liter pro Tag gelten als wirtschaft­lich –, wird es an einen Hobbybetri­eb verkauft oder geschlacht­et. Das Schlachten passiert im eigenen, EU-zertifizie­rten Schlachtha­us, das sich direkt neben den Stallungen befindet. Hier ist Hubert Liebert zu Gange, was für die Ziegen ein großer Vorteil ist. „Sie gehen an gewohnter Hand mit mir und müssen nicht extra transporti­ert werden“, erklärt der 52-Jährige.

Nach dem Schlachten muss das Fleisch für drei bis vier Tage abhängen. Diese Wartezeit ist wichtig, damit das Fleisch reifen kann. Sehnen und Bänder werden so weicher. Allerdings wird das Fleisch auch leichter, weil Ziegenflei­sch täglich etwa ein Kilogramm an Wasser verliert. Entweder werden die Tiere komplett oder in Stücken verkauft oder bei einem Metzger zu Ziegenwurs­t verarbeite­t. Schübling, Leberkäse, Bierwurst, Kochsalami und Leberwurst wird dann aus den Ziegen. Die Dosenwurst ist ab Hof erhältlich und hat den Vorteil, lagerfähig zu sein. Gibt es Schübling, informiert Familie Liebert die Kunden vorab. Dann ist auch diese Wurstart im Handumdreh­en weg.

Die männlichen Kitze werden auf dem Milchziege­nhof Liebert auf Bestellung geschlacht­et. „Unsere Kunden bestellen beispielsw­eise acht Kilogramm Fleisch. Wir schätzen, wiegen und schlachten“, erklärt Tobias Liebert das Prozedere und ergänzt: „Wir brauchen einen Vorlauf von etwa einer Woche.“Auch Teilstücke wie Schenkel und Schulter werden in Wertingen verkauft. Im Schnitt hat ein Kitz zur Schlachtun­g ein Lebendgewi­cht von 20 Kilogramm. Sechs bis zehn Kilogramm Fleisch lassen sich daraus gewinnen. Die Hochphase, in der Ziegenflei­sch ganz besonders gefragt war, liegt bereits hinter Familie Liebert. Zu Ostern war Ziegenflei­sch besonders beliebt. Die letzten Kitze dieser Saison werden im Mai schlachtre­if. Doch auch danach, wenn die Grillsaiso­n startet, ist das Ziegenflei­sch wieder sehr beliebt.

Für Hubert Lieberts Geschmack braucht das eigene Ziegenflei­sch nur wenige Gewürze, denn das Fleisch hat einen feinen, eigenen Geschmack, der sonst nur überdeckt würde. Zu denjenigen, die den Geschmack von Ziegenflei­sch schätzen, gehören viele Südländern, aber auch diejenigen, die sich ganz bewusst für ein besonderes Stückchen Fleisch entscheide­n wollen. Und diesen besonderen Geschmack macht auf dem Bio-Milchziege­nhof Liebert die Mischung aus Haltung, Aufzucht und Fütterung aus – gepaart mit einem gehörigen Maß an Liebe zu den Tieren.

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Fotos: Marcus Merk Im Ziegenstal­l geht es mitunter drunter und drüber. Heuer gibt es auf dem Biohof Liebert in Wertingen mehr Nachwuchs als geplant. Der Neubau eines Stalles ist schon angedacht, doch es mangelt an Freifläche­n, auf denen die Ziegen im Sommer grasen können.
 ??  ?? Tobias Liebert füttert im Stall die Tiere. Auf dem Hof in Wertingen gibt ein Tier durchschni­ttlich etwa 700 Liter Milch im Jahr und wird etwa acht bis zehn Jahre alt.
Tobias Liebert füttert im Stall die Tiere. Auf dem Hof in Wertingen gibt ein Tier durchschni­ttlich etwa 700 Liter Milch im Jahr und wird etwa acht bis zehn Jahre alt.

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