Augsburger Allgemeine (Land West)
Im Ziegenstall wird es eng
Auf dem Biohof Liebert in Wertingen stehen heuer Mehrlingsgeburten an. Was die Milch und das Fleisch so besonders macht / Serie, Teil 42
Wertingen In diesem Jahr könnte es mächtig eng werden im Ziegenstall der Familie Liebert. Die ersten Kitze wurden bereits geboren. Doch anstatt der erwarteten Zwillinge häuften sich in diesem Jahr die Mehrlingsgeburten. Drillinge, Vierlinge und sogar Fünflinge kamen auf dem Bio-Milchziegenhof Liebert zur Welt. Und das wirft die Kalkulation von Vater Hubert Liebert und Sohn Tobias Liebert gehörig über den Haufen. Eigentlich leben im sogenannten Melkstall etwa 170 Tiere. Für maximal 200 Tiere ist Platz. Kalkuliert hat das Vater-Sohn-Duo mit Zwillingen, also mit 340 Kitzen. Werden es nun mehr, freut das die Ziegenbauern zwar, die eigentlich den Bestand aufstocken möchten, aber es gibt auch ein Problem: „Wir brauchen dringend mehr Weideflächen“, erklärt der 30-jährige Tobias Liebert vorausschauend. Der Neubau eines Stalls ist schon angedacht, doch vor allem an Freiflächen, auf denen die Ziegen im Sommer grasen können, mangelt es.
Die Kitze, die auf dem BioMilchziegenhof Liebert im Frühjahr auf die Welt kommen, werden nach etwa zwei bis drei Tagen von der Mutter getrennt. Unter der Wärmelampe und in Gesellschaft ihrer Geschwister lernen sie nun buchstäblich auf eigenen Beinen zu stehen. Nach etwa fünf Tagen haben sie bereits begriffen, wie sie am Automaten trinken können. Nach zwei Wochen in der „Babybox“ziehen die Tiere weiter: in den Ziegenkindergarten. Ein kleiner Holzunterstand mit Außentreppe und einem begehbaren Dach ist dann ihr liebstes Spielzeug. Vier bis fünf Wochen haben die Tiere hier Zeit, sich an das reguläre Futter zu gewöhnen. Der Geschmack von Heu und Kraftfutter wird ihnen anfangs noch mit Traubenzucker und Milchpulver versüßt. Im Alter von acht Wochen ist Schluss mit der Milchfütterung. Eine warme Elektrolytlösung hilft den Tieren beim sanften Übergang.
In diesen ersten acht Lebenswochen legen die Tiere, die meist mit drei bis fünf Kilogramm auf die Welt kommen, ordentlich zu. Im Alter von acht Wochen bringen sie mindestens 15 Kilogramm auf die Waage. An dieser Stelle trennen sich die Wege der weiblichen und männlichen Kitze. Die männlichen Kitze werden geschlachtet, die weiblichen Tiere bleiben noch einige Wochen im Stall, bis sie auf die Weide dürfen. Im Stall wird die Menge an Kraftfutter, das sehr eiweißhaltig ist, sukzessive erhöht: Die Menge steigt von 300 bis auf 600 Gramm am Tag. Auf die Weide kommen die Tiere etwa mit 30 Kilogramm. Dann sind sie fünf Monate alt und bekommen Gras, Heu und Silage zu fressen. Etwa zehn Kilogramm legen die Tiere auf der Weide zu. Im Herbst kommen sie zurück in den Stall. Dann darf der Bock zu den weiblichen Tieren, sodass sie im Frühjahr zum ersten Mal ein, zwei, drei oder vier Kitze bekommen. Erst ab diesem Zeitpunkt gibt eine Ziege Milch. Alle zwei Tage wird die Milch sowie Produkte, die daraus gefertigt werden, abgeholt und in der Biomilchmolkerei unter dem Label Andechser Natur in den Supermarktketten Rewe und Edeka verkauft.
Auch zu den Stallzeiten, das heißt zwischen acht und neun Uhr morgens und zwischen halb sechs und sieben Uhr abends, wenn Mutter Anita Liebert und Schwiegertochter Regina Liebert im Stall anzutreffen sind, wird Rohmilch ab Hof abgegeben. Auf dem Bio-Milchziegenhof Liebert in Wertingen gibt ein Tier im Schnitt etwa 700 Liter Milch im Jahr und wird etwa acht bis zehn Jahre alt. Vergleichswerte kennt Hubert Liebert: „In einem konventionellen Betrieb geben die Ziegen 1200 Liter Milch im Jahr, werden dafür aber nur drei bis vier Jahre alt.“Vier Wochen nachdem das Tier zum ersten Mal gelammt hat, steht die erste Milchprüfung an. Hat das Tier nicht genügend Milch produziert – 2,5 Liter pro Tag gelten als wirtschaftlich –, wird es an einen Hobbybetrieb verkauft oder geschlachtet. Das Schlachten passiert im eigenen, EU-zertifizierten Schlachthaus, das sich direkt neben den Stallungen befindet. Hier ist Hubert Liebert zu Gange, was für die Ziegen ein großer Vorteil ist. „Sie gehen an gewohnter Hand mit mir und müssen nicht extra transportiert werden“, erklärt der 52-Jährige.
Nach dem Schlachten muss das Fleisch für drei bis vier Tage abhängen. Diese Wartezeit ist wichtig, damit das Fleisch reifen kann. Sehnen und Bänder werden so weicher. Allerdings wird das Fleisch auch leichter, weil Ziegenfleisch täglich etwa ein Kilogramm an Wasser verliert. Entweder werden die Tiere komplett oder in Stücken verkauft oder bei einem Metzger zu Ziegenwurst verarbeitet. Schübling, Leberkäse, Bierwurst, Kochsalami und Leberwurst wird dann aus den Ziegen. Die Dosenwurst ist ab Hof erhältlich und hat den Vorteil, lagerfähig zu sein. Gibt es Schübling, informiert Familie Liebert die Kunden vorab. Dann ist auch diese Wurstart im Handumdrehen weg.
Die männlichen Kitze werden auf dem Milchziegenhof Liebert auf Bestellung geschlachtet. „Unsere Kunden bestellen beispielsweise acht Kilogramm Fleisch. Wir schätzen, wiegen und schlachten“, erklärt Tobias Liebert das Prozedere und ergänzt: „Wir brauchen einen Vorlauf von etwa einer Woche.“Auch Teilstücke wie Schenkel und Schulter werden in Wertingen verkauft. Im Schnitt hat ein Kitz zur Schlachtung ein Lebendgewicht von 20 Kilogramm. Sechs bis zehn Kilogramm Fleisch lassen sich daraus gewinnen. Die Hochphase, in der Ziegenfleisch ganz besonders gefragt war, liegt bereits hinter Familie Liebert. Zu Ostern war Ziegenfleisch besonders beliebt. Die letzten Kitze dieser Saison werden im Mai schlachtreif. Doch auch danach, wenn die Grillsaison startet, ist das Ziegenfleisch wieder sehr beliebt.
Für Hubert Lieberts Geschmack braucht das eigene Ziegenfleisch nur wenige Gewürze, denn das Fleisch hat einen feinen, eigenen Geschmack, der sonst nur überdeckt würde. Zu denjenigen, die den Geschmack von Ziegenfleisch schätzen, gehören viele Südländern, aber auch diejenigen, die sich ganz bewusst für ein besonderes Stückchen Fleisch entscheiden wollen. Und diesen besonderen Geschmack macht auf dem Bio-Milchziegenhof Liebert die Mischung aus Haltung, Aufzucht und Fütterung aus – gepaart mit einem gehörigen Maß an Liebe zu den Tieren.