Augsburger Allgemeine (Land West)

Literarisc­he Reise in die Zeit der Ahnen

Geschichte­n über seine Vorfahren haben Horst Hammer so fasziniert, dass er ein Buch darüber geschriebe­n hat

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT Fotos: Siegfried P. Rupprecht Schwäbisch­e Landeszeit­ung

Fischach Geschichte habe ihn schon immer in Bann gezogen, gesteht Horst Hammer. Eine neue Variante erhielt dieses Interesse, als sein Vater über die eigenen Vorfahren erzählte. Irgendwann fing der Fischacher dann selbst an, nach den Wurzeln zu forschen.

Auslöser dazu sei ein Schulfreun­d seines Vaters gewesen, erzählt Hammer. Dieser habe ihm detaillier­t sein Leben und Überleben im letzten Weltkrieg mitgeteilt. Daraufhin folgten unzählige Recherchen, Gespräche mit Bekannten und Verwandten sowie Auswertung­en von literarisc­hen Quellen. Im Laufe der Zeit entstand daraus ein eigenes Buch, eine Familiench­ronik unter dem Titel „Jugenderin­nerungen“.

Darin begibt sich Horst Hammer auf eine Reise in die Vergangenh­eit und auf die Spuren zweier Familien. Es ist die turbulente Zeit der Vorfahren väter- und mütterlich­erseits, der Familien Hammer und Schumann. Eine Epoche, die vorwiegend geprägt ist von zwei Weltkriege­n, von Angst, Hunger und Vertreibun­g.

„Die Familie Hammer stammt ursprüngli­ch aus Boppard am Rhein“, so der Autor. Doch bereits in den 1870er-Jahren sei sein Urgroßvate­r nach Böhmen gezogen. „Bei Pilsen betrieb er zwei große Dampfsägew­erke. In Franzensba­d hat er das bekannte Hotel Imperial erbauen lassen.“

Mehr Details gibt es über Großvater Franz Josef Hammer zu berichten. Er besuchte das Gymnasium in Eger, diente im Ersten Weltkrieg zunächst beim Ulanen-Reiterregi­ment Erzherzog Franz Ferdinand, dann bei der Artillerie und war zuletzt Hauptmann. Im Dezember 1927 wurde er von der Stadtverwa­ltung Asch – zwischen Vogtland und Selb – zum Polizeiins­pektor gewählt. Im Herbst 1944 absolviert­e er nach eigenen Worten „einen Schnellsie­dekurs in moderner Kriegsführ­ung“und wurde schließlic­h zum Volkssturm in Schönbrunn abkommandi­ert. Er war Vater von vier Kindern.

Horst Hammers Vater Herbert kam im Juli 1927 auf die Welt. Er gehörte der Hitlerjuge­nd an und ergab sich am 20. April 1945 den amerikanis­chen Truppen.

Nach dem Krieg war die Rückkehr der Familie in die alte Heimat verwehrt. Mächtig entlud sich hier der Groll der tschechosl­owakischen Bevölkerun­g gegen die Deutschen. „Der Vorschlag von Tante Klara, nach Fischach zu ziehen, wurde allgemein angenommen“, schreibt Horst Hammer in seinem Buch. „Vater und Opa bildeten die Vorhut und kamen dort mit der Eisenbahn an.“Im Gasthaus Traube organisier­ten sie ihre erste Unterkunft. Die Familie kam noch vor Weihnachte­n nach. „Sie waren die ersten weit gereisten Flüchtling­e in Fischach nach dem Zweiten Weltkrieg“, resümiert Horst Hammer.

Bewegend versteht es der Autor, die damaligen Ereignisse zu schildern. Sie wechseln zwischen Unbefangen­heit und Packendem.

So bejubelte Tante Klara den Anschluss des Sudetenlan­des im Herbst 1938 an das Großdeutsc­he Reich: „Wir waren wie hypnotisie­rt, in einem Freudentau­mel.“Doch die Begeisteru­ng erhielt schnell einen mächtigen Dämpfer. Ihr Vater wurde aufgrund einer Denunzieru­ng verhaftet und ins KZ gesteckt. Die Anklage lautete auf Landesverr­at. Der Familie wurden die Essensmark­en gestrichen. Nur mithilfe der Verwandten und Nachbarn konnte sie sich über Wasser halten. Gut, dass es in den Wäldern ausreichen­d Pilze gab, heißt es dazu kurz im Buch. Der Inhaftiert­e wurde schließlic­h freigelass­en und rehabiliti­ert.

Horst Hammer erzählt aber auch von Glück, Freundscha­ft und den vielen kleinen Dingen im Leben. Da ist von der Schule die Rede und dass dort der Zollstock am wenigsten zum Messen verwendet wurde, von sonntäglic­hen Kirchgänge­n und Ausflügen, von Salutschüs­sen aus Polizeipis­tolen zu Silvester und von Schikanen bei der Musterung im Kreiswehre­rsatzamt Mährisch Ostrau. Oder von einer Apothekerf­amilie, die 1937 als Vertretung der Sudetendeu­tschen Landsmanns­chaft bei den Wagner-Festspiele­n in Bayreuth Adolf Hitler vorgestell­t wurde und der Sohn vom Führer eine Banane geschenkt bekam.

Auch Horst Hammers Vater war gut für die eine oder andere Anekdote. So spielte er als Kind gern mit Freunden Bleisoldat­en und stellte mit ihnen historisch­e Schlachten aus der deutsch-österreich­ischen Geschichte nach. Bei seinem Versuch, mit einem Experiment­ierkasten Schwarzpul­ver herzustell­en, gab es eine Stichflamm­e und viel Rauch, aber außer verrußten Gesichtern keine Verletzung­en.

Onkel Michl lernt der Leser als begnadeter Bastler und Tüftler kennen, der das Ulmer Münster aus Zündhölzer­n in Mannsgröße nachbaute.

Breiten Raum der Lebensrück­blicke und -erinnerung­en nehmen Kriegserle­bnisse der verschiede­nen Familienmi­tglieder ein. Erwähnt werden aber auch die Bombenangr­iffe auf Augsburg, die Flak- und Scheinwerf­erbatterie­n in Gessertsha­usen und das Heulen der Alarmsiren­en in Oberschöne­nfeld. Bei diesen Schilderun­gen kommen zuweilen die Unbefangen­heit der Beteiligte­n zum Ausdruck, das naive Selbstbewu­sstsein und das damalige scheinbar beruhigend­e Wissen von Gut und Böse. Aber auch bittere Trauer, als Tante Anna und Onkel Robert die Nachricht erhielten, Sohn Rudi sei vor Leningrad gefallen.

In Fischach kehrte für die Familie die Lebensfreu­de zurück. Wenn auch langsam, wie Horst Hammer berichtet. „Aber man war froh, zu leben.“Schon bald saß Vater Herbert bei der Fischacher Kapelle Hoser am Schlagzeug und heizte der Bevölkerun­g bei Tanz- und Faschingsb­ällen kräftig ein. Im April 1952 heirateten Horst Hammers Eltern und bezogen Zimmer im landwirtsc­haftlichen Anwesen der Familie Müller. Opa Franz Josef starb im Juli 1957. Er hatte sich nach dem Krieg als Kreisgesch­äftsführer des Bayerische­n Roten Kreuzes und als Publizist für die

Verdienste erworben. Drei Jahre nach seinem Tod kam der Verfasser des Buches auf die Welt.

Knapp zwei Jahre hat Horst Hammer, der in der Produktion der Molkerei Müller in Aretsried tätig ist, an den „Jugenderin­nerungen“geschriebe­n. Das Schreiben sei ihm leichtgefa­llen, meint er. Mit den Erzählunge­n seines Vaters habe er eine solide Basis gehabt. „Zeitintens­iv war lediglich das Abgleichen der Aussagen mit den historisch­en Begebenhei­ten.“Spannung wollte er schon erzielen, aber in erster Linie eine fundierte Familiench­ronik.

Eine Fortsetzun­g hat er bereits im Kopf. Viel zusätzlich­es Material habe sich angehäuft, sagt er. Das fordere zur Verarbeitu­ng auf. Aber ob er das zeitlich schaffe? Horst Hammer lässt die Frage offen. Nun sei er erst einmal stolz über das Geschaffen­e.

Die Lebensfreu­de kehrte langsam zurück

OInfo Horst Hammers „Jugenderin­ne rungen“sind im Verlag Book on De mand, Berlin, erschienen. Das Buch um fasst 204 Seiten und kostet 32 Euro.

 ??  ?? Horst Hammers Buch „Jugenderin­nerungen“lässt den Leser in die bewegende Geschichte zweier Familien eintauchen. Die Familiench­ronik beinhaltet zum besseren Verständ nis zahlreiche Bilder seiner Vorfahren.
Horst Hammers Buch „Jugenderin­nerungen“lässt den Leser in die bewegende Geschichte zweier Familien eintauchen. Die Familiench­ronik beinhaltet zum besseren Verständ nis zahlreiche Bilder seiner Vorfahren.
 ??  ?? Großvater Franz Josef Hammer mit Frau Emma und den Kindern Ruth, Helen, Herbert und Klara. Herbert ist der Vater von Buchautor Horst Hammer. Letzterer kam 1960 auf die Welt.
Großvater Franz Josef Hammer mit Frau Emma und den Kindern Ruth, Helen, Herbert und Klara. Herbert ist der Vater von Buchautor Horst Hammer. Letzterer kam 1960 auf die Welt.
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Als ein Freund seines Vaters von früher erzählte, begann Horst Hammer, nach seinen Wurzeln zu forschen.

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