Augsburger Allgemeine (Land West)
VON FRANZ HÄUSSLER
Augsburg Augsburg vor 70 Jahren: Eine Rückblende in das Jahr 1947 ist angesichts mancherlei heutzutage diskutierter Wohlstandsprobleme durchaus angebracht. Damals hatten die Menschen in der Stadt existenzielle Sorgen: sich satt essen zu können, wieder eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu finden – um nur einige der Probleme dieser Zeit zu nennen.
Das Jahr 1947 begann mit extremer Kälte. Am 19. Januar war der Straßenbahn- und Busverkehr wegen starker Schneefälle eingestellt. Die Verkehrsbetriebe bereiteten die Bevölkerung auf weitere Ausfälle vor. Der Gasverbrauch war wegen Kohlemangel ab 25. Januar eingeschränkt. Am 31. Januar verkündete die Stadtverwaltung: In 95 Gaststätten werden Wärmestuben eingerichtet.
Die Versorgung mit Lebensmitteln war seit vielen Jahren unzureichend. Sie wurden zugeteilt und nur gegen Marken verkauft. Die Zuteilungen waren äußerst knapp bemessen, und längst nicht alles, wofür man Marken besaß, gab es auch zu kaufen. Am 14. Januar beschloss der Stadtrat Ausweise für werdende und stillende Mütter. Sie bekamen die Zusatzkarte Mü, auf die es für jeweils vier Wochen Marken für bis zu 2200 Gramm Brot, 3000 Gramm Nährmittel, 2000 Gramm Kartoffeln und 15 Liter Milch zusätzlich gab.
Anfang 1947 lag die Stadt an vielen Stellen noch in Trümmern. Das sollte sich nun so bald wie möglich ändern. Am 4. Februar 1947 wurde dem Stadtrat das Vorgehen bei einer planmäßigen Trümmerräumung durch Firmen erläutert. Nach der Aufteilung in Lose und einem Vergabeverfahren begann die Aktion am 6. Mai 1947 in jenen Stadtbereichen, in denen mit Lastwagen abgefahren wurde. Nach der Verlegung von Feldbahngleisen in der Innenstadt wurde in Loren geladener Schutt zum Rosenauberg gefahren.
Zwei Jahre nach Kriegsende waren die Augsburger gegenüber der amerikanischen Militärregierung selbstbewusster geworden. So protestierten der Stadtrat und der Oberbürgermeister massiv gegen die wei- tere Enteignung von Mobiliar durch die Amerikaner. Gegen die Beschlagnahme und den Abbau von Fabrikeinrichtungen und Maschinen im Rahmen der Reparationsleistungen gab es heftige Proteste vonseiten der Gewerkschaften. Als im Oktober 1947 die letzte Demontageliste – darauf standen die MesserschmittWerke und die MAN – veröffentlicht wurde, nahm man das nicht mehr widerspruchslos hin.
Im März 1947 hatten 6000 Beschäftigte der MAN aus anderem Grund vorübergehend die Arbeit niedergelegt: Sie protestierten gegen die Kürzung der Brotration von
10500 Gramm auf 6000 Gramm in der 99. Zuteilungsperiode vom 3. bis
30. März 1947. In der nahmen die Diskussionen zum Thema „Kalorien – der Albtraum des Normalverbrauchers“breiten Raum ein. Sarkastische Karikaturen begleiteten die Herabsetzung von bislang 1530 auf etwa 1000 Kalorien pro Tag. Eine Briefwaage sei nötig zum Abwiegen der Tagesration von 17 Gramm Zucker, 5 Gramm Käse, 6,5 Gramm Fett und 20 Gramm Fleisch. 1947 war für viele Stadtbewohner ein weiteres Hungerjahr. Es war die Zeit unterernährter Kinder und sehr schlanker Erwachsener. Kartoffeln, Brot, Fisch, Eier, Fett und Nährmittel waren offiziell nur mit Marken zu kaufen. Die Caritas und das städtische Wohlfahrtsamt betrieben Suppenküchen, in denen Mittellose eine warme Mahlzeit erhielten. Die Schulspeisung verköstigte in Augsburg im Mai 1947 über 9500 Kinder mit jeweils etwa 350 Kalorien. Die „Menüs“reichten von „Teigwaren in Obsttunke“über „Milchkartoffeln“bis zu „Trinkschokolade mit weißem Brötchen“. Deutsches Geld war wenig wert, es galt die „Zigarettenwährung“. Der Preis für eine Ami-Zigarette Anfang März 1947: fünf Reichsmark! Gegen begehrte Tauschware wie Lebensmittel war fast alles zu bekommen, was es in Geschäften nicht gab. Der Schwarzmarkt blühte. Zahlreiche Razzien und Verhaftungen behinderten den Schwarzhandel im großen Stil nur unwesentlich.
Vor 70 Jahren war der Hunger nach Kultur groß. Die Künstler spielten oftmals mit knurrendem Magen. Die Schauspielerin Carola Wagner schrieb im März 1947, sie sei oft so hungrig, dass sie auf der Bühne wanke. Das Stadttheater und der Börsensaal waren zwar zerstört, doch es gab Ersatzsäle. Der Ludwigsbau war das offizielle Stadttheater, 1946 wurde im Blauen Krügle die Komödie eingerichtet. Das Kurhaus in Göggingen wurde zur privat betriebenen Operettenbühne. Der Kleine Goldene Saal an der Jesuitengasse und der Festsaal im Schaezlerpalais wurden bespielt.
Die Sicherheitslage war 1947 erschreckend: Das Oberste Militärgericht verhandelte 24 Morde, 20 räuberische Überfälle und 48 schwerste Waffendelikte, das Untere Militärgericht 1898, das Schnellgericht 11722 Fälle. Vom Jahr 1948 erwartete man viel Positives: die Heimkehr von Kriegsgefangenen, ausreichend Lebensmittel, das Ende der Markenzeit, Wohnungen und nicht zuletzt eine neue harte Währung.
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