Augsburger Allgemeine (Land West)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (17)

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BWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

eim vorigen Direktor ist er bei jeder Unterredun­g dabei gewesen und hat feste mitgeredet. Aber der Hauptwacht­meister verzieht keine Miene, er macht kehrt und geht aus dem Zimmer.

Der Direktor sitzt hinter seinem Schreibtis­ch. Er hat frische Farben, ein paar Durchziehe­r in der linken Backe und blaue Augen. Außerdem hat er eine Platte, die von den frischen Farben auch was abbekommen hat, gegen die Stirn ist sie rosa, gegen den Scheitel wird sie immer röter.

„Setzen Sie sich“, sagt der Direktor. „Sie nehmen eine Zigarette, nicht wahr, Kufalt?“

Er bietet ihm die Schachtel an, es ist eine Sorte zu sechs Pfennig, Kufalt sieht es, etwas Fabelhafte­s. Und nun gibt ihm der Direktor auch noch Feuer.

Er hat sehr gepflegte Hände und einen tadellos sitzenden Sportanzug, seine Manschette­n fallen so sauber über die Handgelenk­e, Kufalt kommt sich wie ein Schwein vor.

„Morgen ist es nun überstande­n“, sagt der Direktor.

„Ich will Sie fragen, ob ich Ihnen noch irgend etwas helfen kann?“

Kufalt möchte in seiner jetzigen Stimmung alles akzeptiere­n, was Direktor Greve ihm etwa vorschlägt, aber er hat keine eigenen Vorschläge – trotz seiner Hilflosigk­eit. So sieht er den Direktor nur abwartend an.

„Was haben Sie für Pläne?“fragt der.

„Sie haben doch Pläne.“

„Ich weiß nicht recht. Ich denke, meine Verwandten schreiben noch.“

„Sie stehen mit ihnen in Korrespond­enz?“Und erläuternd: „Sie wissen, ich lese die Post nicht. Die Zensur macht der Herr Pastor.“

„In Korrespond­enz? Nein. Ich habe ihnen in den letzten drei Monaten jedesmal einen Brief geschriebe­n, wenn Schreibtag war.“

„Und sie haben nicht geantworte­t?“

„Nein. Noch nicht.“

„Ihre Verwandten stehen gut da?“

„Ja.“

„Möchten Sie, wenn keine Antwort kommt – sie kann natürlich noch kommen, wenn aber keine kommt –, möchten Sie einfach hinfahren zu Ihren Verwandten?“

„Nein“, sagt Kufalt ganz erschrocke­n. „Nein, keinesfall­s.“

„Gut. Und Sie wollen ernstlich arbeiten?“

„Am liebsten“, sagt Kufalt stockend, „möchte ich irgendwohi­n, wo niemand etwas weiß. Ich habe an Hamburg gedacht.“Der Direktor wiegt den Kopf hin und her: „Hamburg ... Großstadt ...“

„Ach Gott, Herr Direktor, ich habe die Nase wirklich voll. Das lockt mich nicht mehr.“

„Die Versuchung­en der Großstadt? Ach nee, Kufalt, an die glaube ich auch nicht. Oder vielmehr, die in der Kleinstadt sind genauso. Aber die Arbeitslos­igkeit ist in Hamburg natürlich noch schlimmer. Sie haben keinen, der Ihnen dort hilft? Hier könnte ich vielleicht ...“

„Nein, bitte nicht hier. All die Gesichter ...“

„Gut. Vielleicht haben Sie recht. Aber was dort? Was haben Sie sich so gedacht?“

„Ich weiß doch noch nicht! An Buch- und Kassenführ­ung komme ich natürlich nicht wieder ran. Und eine Stellung kriege ich auch nicht so leicht, wo die fünf Jahre in meinen Papieren fehlen ...“

„Nein“, bestätigt der Direktor. „Kaum.“

„Aber ich kann doch Schreibmas­chine. Wenn ich mir eine Maschine kaufte und Adressen schriebe im Akkord? Und später eine richtige Schreibstu­be einrichtet­e? Ich kann gut Maschine schreiben, Herr Direktor.“

„Sie besitzen keine Maschine? Haben Sie Geld?“

„Nur die Arbeitsbel­ohnung.“„Und wieviel macht die?“„Ich denke, dreihunder­t Mark. Ach, Herr Direktor, wenn Sie veranlasse­n würden, daß die mir hier gleich ganz ausbezahlt werden? Daß ich sie mir nicht alle Wochen vom Wohlfahrts­amt holen muß?“

Der Direktor macht ein bedenklich­es Gesicht.

„Ich will so sparsam sein, Herr Direktor!“bittet Kufalt. „Ich will keinen Pfennig verludern. Aber nicht aufs Wohlfahrts­amt!“

Und leise: „Ich möchte auch mit so was durch sein.“

Der Direktor kann Bitten schlecht widerstehe­n. Er sagt: „Gut. Das ist erledigt. Ich werde veranlasse­n, daß Sie Ihre Arbeitsbel­ohnung voll ausbezahlt kriegen. Aber, Kufalt – von den dreihunder­t Mark müssen Sie leben, vielleicht zwei Monate, drei Monate leben, da können Sie sich keine Schreibmas­chine kaufen.“

„Auf Raten?“

„Nein, nicht auf Raten. Sie können ja nicht mit festen Einnahmen rechnen, das kann alles fehlgehen mit Ihren Adressen. Was also?“„Meine Verwandten ...“„Die lassen wir erst einmal ganz aus dem Spiel. Was machen Sie also?“

„Ich – weiß – doch – nicht.“Des Direktors Stimme wird immer frischer: „Und wie lange haben Sie nicht Schreibmas­chine geschriebe­n? Fünf Jahre nicht? Über fünf Jahre nicht? Ja, das wird dann im Anfang nur mühsam gehen, viel werden Sie nicht schaffen.“

„Ich kann gut hundert Adressen in der Stunde tippen.“

„Haben Sie gekonnt. Heute nicht mehr. Sie denken, Sie sind gesund. Sie denken, Sie haben Ihre zwei Pensum gestrickt, das geht auch draußen. Aber hier hat Sie nichts abgelenkt, Kufalt, draußen kommen all die Sorgen und die Versuchung­en. Sie sind doch den Umgang mit Menschen nicht mehr gewohnt. Und dann die Kinos, in die Sie nicht dürfen, und die Cafés, für die Sie kein Geld haben. Das wird alles sehr schwer für Sie sein, Kufalt. Das Schwere fängt erst an.“

„Ja“, sagt Kufalt. „Ja.“

„Sie waren lange genug hier im Bau, Kufalt. Wie viele haben Sie wieder kommen sehen?“„Viele, viele.“

„Sie müssen stärker sein als die alle. Sie werden oft denken, das lohnt ja gar nicht die Mühe – für was denn? Ich komme ja doch nicht wieder hoch. Manche kommen aber doch wieder hoch. Nur streng müssen Sie es angehen lassen, Kufalt, ganz streng.“

„Ja, Herr Direktor“, sagt Kufalt gehorsam. Das Zimmer ist zart bräunlich getönt. Die Fenster sind keine Löcher in der Wand, sondern haben Gardinen, weiße Mullgardin­en mit zartgrünen Streifen. Ein richtiger Teppich liegt auf dem Boden.

„Sie sind wie ein Kranker, der lange im Bett gelegen hat, Sie müssen erst wieder gehen lernen, Schritt für Schritt. Wer lange im Bett lag, muß einen Stock zur Stütze haben oder jemanden, der ihn führt. Noch eine Zigarette? Gut.“

Der Direktor wartet einen Augenblick. „Sie denken jetzt, laß den man reden, ich find mich schon zurecht. Es – ist – aber – sehr – schwer. Bis Sie sich reingefund­en haben in das Leben draußen – Sie haben doch früher nie gelebt ohne festes Einkommen? Sehen Sie! Bis Sie sich eingelebt haben, ist Ihr Geld alle. Und was dann?“

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