Augsburger Allgemeine (Land West)
Auch als Friseur waren die 68er wild
Michael Metzger hört nach 50 Berufsjahren auf. Was er alles erlebt hat, wie sich die Leitershofer Institution verwirklichen konnte und was ihm künftig fehlen wird
Stadtbergen Leitershofen/Stätzling Die wilden 68er: Das war nicht nur ein Aufbegehren gegen die Gesellschaft, sondern auch eine Rebellion in der Mode. Angesagt waren lange Haare, viel Haut und Hosen mit Schlag. „Töricht, lächerlich oder geschmacklos“nannte 1966 das Münchner Oberlandesgericht noch die Langhaarmode, mit der junge Männer „glauben, auf diese Art ihre Persönlichkeit entfalten zu sollen“. Für Michael Metzger, der damals mit 14 Jahren als Friseur anfing, sollte es die spannendste Zeit seiner Karriere sein. Nach 50 Jahren hat die Leitershofer Institution aufgehört.
Erinnern Sie sich noch an den ersten Haarschnitt?
Michael Metzger: Das war 1968 ein klassischer Fasson-Schnitt. Das ist ein mittellanger Herrenschnitt, bei dem die Haare an den Seiten und im Nacken stufenlos gekürzt werden. In Mode kam damals der MesserHaarschnitt. Das heißt: Die Haare wurden gewaschen, geschnitten und dann geföhnt. Damals ein echter Einschnitt in der Männermode. Bei den Frauen war der Bubikopf angesagt.
Wann kamen dann die richtig wilden Frisuren?
Metzger: Das war Anfang der 1970er-Jahre. Die Haare wurden lang, die Männer hatten Koteletten. Auch bei den Frauen wurden die Haare länger. Und die Röcke kürzer. Zum Look gehörten bei den Frauen auch knallige Lippenstiftfarben.
Was hatten Sie damals für eine Frisur?
Metzger: Ich hatte auch lange Haare. Alle wollten lange Haare und so aussehen wie beispielsweise der Fußballstar Günther Netzer. Jeder wollte sich irgendwie anders zeigen.
War das nicht eine aufregende Zeit für Sie als Friseur?
Metzger: Das war eigentlich meine schönste Zeit. Die Jahre bedeuteten einen Neubeginn der Mode – nicht nur bei der Kleidung, sondern auch bei den Frisuren. Heute ist ja im Grunde alles irgendwie tragbar.
Über welche Themen hat man in 1968 gesprochen? Ging es um die Proteste, die Beatles, die Stones oder FlowerPower?
Metzger: Um politische und wirtschaftliche Themen ging es weniger. Es lief ja gut in Deutschland. Ge- sprochen wurde eher über Sport, zum Beispiel über den Cassius Clay, der ja als Muhammad Ali der größte Boxer aller Zeiten wurde. Damals standen wir auch nachts auf, um die Kämpfe im Fernsehen mitzuverfolgen. Auch Fußball, die Bundesliga und Autos waren immer wieder Themen.
Um was geht es heute im Friseursalon?
Metzger: Politik, die Zuwanderung, Urlaub und die Freizeitgestaltung. Man merkt auch: Deutschland geht es gut, wir haben ja nahezu eine Vollbeschäftigung.
Darf ein Friseur auch mal seine eigene Meinung sagen?
Metzger: Ich bin früher so erzogen worden, dass man sich eher zurückhält im Gespräch mit Kunden. Man hört mehr zu. Aber eigentlich ist ein Friseur heute noch viel mehr: Ein guter Zuhörer wie gesagt, aber auch ein Trendsetzer, Tränentrockner, Schönfärber, Abschnittsgefährte, Glücklichmacher, Partyretter, Gedankenleser und Ausbügler.
Welche Rolle hatten Sie am liebsten übernommen?
Metzger: Ich war gerne der Trendsetzer. In den 1968er-Jahren und in der Zeit danach bin ich in dem Job richtig aufgegangen. Man konnte damals experimentieren und sich verwirklichen.
Was war Ihre wildeste Kreation?
Metzger: Da gab es einige, nämlich Mitte der 1970er-Jahre, als man den Männern Locken drehte. Den Minipli-Trend gaben die Fußballstars Sepp Maier und Rudi Völler vor. Die Frauen wollten eine Löwenmähne wie die Sängerinnen von Abba. Da konnte man sich als Friseur richtig austoben. Dann kam in den 1980er-Jahren „Dallas“aus den USA im Fernsehen. Und jeder wollte so aussehen wie Schauspieler in der Serie. Wir hatten damals die Folgen aufgenommen und dann im Salon für die Kunden wieder abgespielt.
Hatten Sie auch selbst den ein oder anderen Fußballer die Locken gedreht?
Metzger: Ein Sepp Maier oder Helmut Haller war nicht dabei. Aber der ein oder andere FCA-Spieler. Ich war ja auch selbst sportverrückt.
Nach 50 Jahren legen Sie die Schere beiseite und kümmern sich mehr um die Enkel Lukas und Laurin, die gesamte Familie und den geliebten Garten. Was geht Ihnen am meisten ab?
Metzger: Die Gespräche mit den Kunden. Man bekommt ungefiltert mit, was gerade angesagt ist und wo der Schuh drückt.