Augsburger Allgemeine (Land West)
Verfolgte Religionen
Die Situation der Christen im Nahen Osten ist verheerend. Doch was ist mit anderen Glaubensgruppen?
Eine „unheimliche Stille“herrsche in Deutschland, wenn es um das Christentum im Nahen Osten geht, sagt Landtagsabgeordneter Johannes Hintersberger (CSU). Die Podiumsdiskussion „Stirbt das Christentum im Nahen Osten aus?“gebe den 200 Millionen Christen, die weltweit verfolgt, „gefoltert, gar getötet werden“, eine Stimme, erklärt er. Dass im Syrienkrieg nicht nur Christen dieses Schicksal erleiden, erwähnt er nicht. Auch die Veranstalter der Diskussion – der Suryoye Kulturund Sportverein, die Junge Union und die Paneuropa Jugend Augsburg – zeigen sich insbesondere von der Verfolgung der Christen betroffen. Sie vermissen das Thema in der Öffentlichkeit. „Wir wollen aufmerksam machen. Schließlich geht es um unsere Brüder und Schwestern“, sagte JU-Bezirksvorsitzende Ruth Hintersberger.
Etwa 40 Interessierte folgten der Einladung. Auf dem Podium: der Augsburger Simon Jakob, Gründer des Zentralrats der Orientalischen Christen, der als Reporter und Mittelsmann für Medien und Hilfsorganisationen seit sieben Jahren immer wieder den Nahen Osten bereist; der Bundestagsabgeordnete und Präsident der Deutsch-Aramäischen Gesellschaft, Volker Ullrich (CSU), und Ado Greve. Greve gehört dem christlichen Hilfs- und Missionswerk Open Doors an, das der Evangelischen Weltallianz nahesteht. Die 50 Mitarbeiter von Open Doors geben jährlich den „Weltverfolgungsindex für das Christentum“heraus. Das Fazit des Indexes: Das Christentum sei die am meisten verfolgte Religion der Welt.
Dabei erhebt die Organisation gar keine weiteren Daten, die einen Vergleich mit anderen Gruppen erlauben. Menschrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch äußerten in der Vergangenheit wiederholt Zweifel an der Solidität und Überprüfbarkeit der Zahlen. Die Katholische Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche Deutschland bezweifeln in ihrem „Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“grundsätzlich, dass empirische Aussagen hierzu überhaupt möglich sind.
Dass die Zahlen und Open Doors nicht unumstritten sind, ist den Veranstaltern egal. Warum nicht auch anderer Opfergruppen gedenken? Für die könne man gesonderte Veranstaltungen machen, heißt es. Während Simon Jakob das Gesamtbild der Konflikte analysiert und mit Blick auf die deutschen Verhältnisse davor warnt, hier die muslimische Minderheit auszugrenzen, bleiben die Ausführungen von Volker Ullrich bei der besonderen Schutzwürdigkeit der Christen und Juden: „Religiöses Mobbing und Antisemitismus dürfen nicht in deutsche Schulen importiert werden.“
Naila Malke, Mitglied der syrisch-orthodoxen Kirche in Lechhausen, sieht den Fokus auf das Christentum kritisch. „Eine solche Veranstaltung sollte die Abgrenzungen aufheben und alle Opfergruppen einbeziehen. Nur dann kann sich etwas ändern“, erklärt Malke, die seit 20 Jahren im Integrationsbeirat aktiv ist.