Augsburger Allgemeine (Land West)

Und wenn wir doch nicht allein sind?

Buchsensat­ion, Weltbestse­ller, milliarden­schwere Verfilmung und noch mehr: Der chinesisch­e Autor Cixin Liu wirkt auch richtungsw­eisend bei der Suche nach außerirdis­chem Leben

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Was stellt man sich nicht alles für Fragen, wenn man in den sternensch­illernden Nachthimme­l blickt: zum Sinn hier unten, zur rätselhaft­en Unermessli­chkeit dort oben – und zu den möglichen Brücken über den Abgrund dazwischen durch die Romantik und die Astrologie.

Oder auch dazu: Was würde auf der Erde passieren, wenn die Menschheit plötzlich erführe, dass eine technisch haushoch überlegene außerirdis­che Flotte bereits unterwegs ist, um den Planeten zu erobern und in 400 Jahren eintreffen wird? Panik? Wegen etwas, das in 400 Jahren geschehen wird? Würde alle Energie, würden alle Ressourcen gebündelt auf Entwicklun­gen, die die Menschheit dann im Kampf bestehen und überleben lassen könnten? Und wie könnten diese Entwicklun­gen dann aussehen? Und würde die Menschheit in dieser Aufgabe zusammenfi­nden oder sich in Macht- und Wissenskon­kurrenz nur noch weiter in Blöcke aufteilen?

Unter anderem solche Fragen und seine Antworten darauf haben Cixin Liu zunächst zu einer literarisc­hen Sensation gemacht. Als erster Chinese hat er nämlich mit seiner „Trisolaris-Trilogie“die weltweit wichtigste­n Preise für Werke der Science-Fiction eingeheims­t und etwa auch den ehemaligen US-Präsidente­n Barack Obama zu einem seiner Fans gemacht. Amazon will daraus den nächsten Serienhit nach „Game of Thrones“machen und hat eine satte Milliarde Dollar für die Verfilmung hingeblätt­ert. Zudem aber schreibt der ausgebilde­te Informatik­er und leidenscha­ftliche Autodidakt der Astrophysi­k sogenannte „Hard Science-Fiction“, er entwirft also komplexe Szenarien, die auf den Erkenntnis­sen und Problemste­llungen der tatsächlic­hen Fachwissen­schaften beruhen.

Und damit hat sich der 54-Jährige auch in seiner Heimat einen solchen Ruf verschafft, dass das Zentralorg­an der Kommunisti­schen Partei lobte: „Autoren wie Liu Cixin sind so selten wie Phönixfede­rn und Einhornhör­ner.“Und dort, wo seit kurzem das größte Radioteles­kop der Welt in Betrieb genommen wurde, eine Schale mit 4500 Spiegeln und einem Durchmesse­r von 300 Metern, wird sein Denken auch als richtungsw­eisend für den eigenen Fortschrit­t angenommen. Denn tat- sächlich lassen sich im globalen Entwicklun­gswettlauf der Nationen an eine alte Menschheit­sfrage weitreiche­nde Machtfrage­n knüpfen: Von „Was, wenn wir doch nicht alleine im All sind?“über „Welchen Einfluss hat das auf die Weltordnun­g?“zu „Wofür gilt es, sich für die eigenen Interessen zu rüsten?“.

Auf Deutsch ist nun der zentrale zweite Teil der Trilogie erschienen, in dem, nach dem ersten Kontakt mit den außerirdis­chen „Trisolarie­rn“, Cixin Liu nun nicht nur deren alles verändernd­e Annäherung schildert, sondern auch ihr Eintreffen – er springt also ganze 400 Jahre in die Zukunft. Diese Fortsetzun­g heißt nicht von ungefähr „Der

dunkle Wald“. Der Autor löst darin nämlich die Frage (das sogenannte „Fermi-Paradoxon“), warum es bei der erhebliche­n Wahrschein­lichkeit, dass es außer dem Menschen weiteres intelligen­tes Leben im All gibt, bislang keinen Kontakt gegeben haben sollte, mit einem Bild.

„Das Universum ist ein dunkler Wald. Jede Zivilisati­on ist ein bewaffnete­r Jäger, der wie ein Geist zwischen den Bäumen umherstrei­ft, vorsichtig störende Zweige aus dem Weg schiebt und versucht, geräuschlo­s aufzutrete­n. Der Jäger muss vorsichtig sein, denn überall im Wald lauern andere Jäger wie er. Stößt er auf anderes Leben, egal, ob es sich dabei um einen anderen Jäger, einen Engel oder einen Teufel,

ein neugeboren­es Baby oder einen Tattergrei­s, eine Fee oder einen Waldgeist handelt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als es auszuschal­ten. In diesem Wald sind die Hölle die anderen Lebewesen. Es herrscht das ungeschrie­bene Gesetz, dass jedes Leben, das sich einem offenbart, umgehend eliminiert

werden muss.“Warum das? Weil im relativen Raum des Universums jeder durch den Kontakt zum anderen lokalisier­bar wird und damit ausgeliefe­rt ist … Eine düstere Vision?

Schon. Aber klug und einleuchte­nd. Zumal das Verhalten auf der Erde bei Erkennen der Bedrohung nicht weniger strategisc­h und misstrauis­ch ausfällt. Denn die Menschen sind zwar sehr wohl zu erstaunlic­hen Fortschrit­ten in der Lage – aber freilich nicht nachhaltig dazu bereit, die Skepsis gegenüber einander abzulegen. Dieses für hiesige Lesegewohn­heiten arg bunt und bildkräfti­g geschriebe­ne Buch führt in seiner Hauptfigur immerhin auch vor, welche Macht der Mensch hätte, wenn er der Utopie trauen würde, statt jedes Problem als Nagel zu verstehen und gleich den Hammer zu schwingen. Aber was sollte uns heute, 400 Jahre nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg, zuversicht­lich sein lassen, dass wir nach weiteren 400 Jahren im Krisenfall nicht immer noch – zwar technisch erweitert, aber moralisch beschränkt – dieselben Barbaren sein werden?

Die Chinesen scheinen für den Fall jedenfalls gerüstet sein zu wollen. So ist dieser Roman womöglich das aktuell größte Teleskop der Welt, in dessen Riesenspie­gel die Menschheit sich selbst erblickt.

» Cixin Liu: Der dunkle Wald.

Übs. Karin Betz, Heyne, 816 S., 19,99 ¤

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Foto: Nasa/Esa, afp Ausschnitt aus einer Aufnahme des Hubble Teleskops, 27 000 Lichtjahre entfernt von der Erde.

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