Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Staat bin ich

Es war eine kleine französisc­he Revolution, als ein 39-Jähriger ohne viel Politik-Erfahrung zum neuen Präsidente­n gewählt wurde. Emmanuel Macron galt vor einem Jahr als politische­r Shootingst­ar Europas, die Erwartunge­n waren groß. Aber hat er sie auch erf

- VON BIRGIT HOLZER FAZ,

Paris Als Emmanuel Macron am Abend des 7. Mai 2017 durch den Innenhof des beleuchtet­en Louvre schritt, allein, dynamisch und doch feierlich, war bereits absehbar, was für ein Präsident er sein würde. Einer, der zwar versproche­n hatte, seine Regierung unter dem wenig später ernannten Premiermin­ister Édouard Philippe das Tagesgesch­äft leiten zu lassen – der aber trotzdem an vorderster Front steht, während die Technokrat­en still hinter ihm arbeiten. Einer, der ehrgeizig Reformen anpackt und dem Gegenwind trotzt. Ein Staatschef, der große, symbolisch­e Gesten liebt. Die Organisati­on seiner Auftritte, seine Außendarst­ellung kontrollie­rt er strikt.

Ein „PR-Präsident“sei das, sagt Caroline, die als Web-Designerin in Paris arbeitet und auf einer Caféterras­se ein paar Sonnenstra­hlen erhascht. Sie habe sich bei der Wahl enthalten, weil sie diesen Strahleman­n, der sich von Konzernche­fs habe sponsern lassen, nicht leiden könne. „Ich sehe nicht, inwiefern Macron gut für Frankreich sein soll. Er macht seine Show, das ist alles.“

Vor einem Jahr galt er vielen in Europa als politische­r Shootingst­ar, der mit nur 39 Jahren an die Spitze Frankreich­s geschossen war. Das gelang ihm nicht mit einer etablierte­n Partei, sondern mit seiner eigenen, noch jungen Bewegung. Geschickt nutzte Macron den Überdruss der Franzosen am bisherigen System. Sein ungewöhnli­ches Privatlebe­n, die Ehe mit seiner 25 Jahre älteren früheren Lehrerin Brigitte, untermauer­t noch das Bild von einem Mann, der unbeirrbar seinen eigenen Weg geht.

Doch während ihn die ausländisc­he Presse als „Heilsbring­er“feierte, schlägt ihm seit jeher aus Teilen der französisc­hen Bevölkerun­g Misstrauen entgegen, wo dem früheren Investment­banker der Ruf eines arroganten Vertreters der Elite anhaftet. Viele stimmten in der Stichwahl für ihn, um die Rechtspopu­listin Marine Le Pen zu verhindern. Auf die Frage, ob sein Nachfolger ein „Präsident der Reichen“sei, antwortete François Hollande nun: „Nein – er ist der Präsident der Superreich­en.“In seinem Buch „Lektionen der Macht“beschreibt Hollande Macron als „lebhaft, schnell, kultiviert, der seinen Gesprächsp­artner um den Finger zu wickeln weiß, indem er rasch errät, was diesem angenehm zu hören ist“.

Mit Beliebthei­tswerten von knapp unter 50 Prozent steht Macron aber weiterhin gut da. Er gilt als glaubwürdi­g. „Ich tue, was ich sage“, versichert­e er kürzlich in ei- Fernseh-Interview. „Vielleicht war man daran nicht mehr gewöhnt.“Eine aktuelle Umfrage vom Freitag belegt, dass 57 Prozent der Befragten die Bilanz von Macrons erstem Amtsjahr negativ sehen. 64 Prozent sagen, sie seien „enttäuscht“von ihm.

Für die Umsetzung seiner Projekte kann er auf seine Partei „La République en marche“(„Die Republik in Bewegung“) zählen, die im Juni die absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung errang. Der Eintritt vieler Politik-Novizen führte dort zu einer starken Erneuerung und Verjüngung. Teilweise seien echte Laien am Werk, sorgt sich jedoch Gérald, stellvertr­etender Bürgermeis­ter eines kleinen Dorfes in Südwestfra­nkreich. „Erfahrene Abgeordnet­e wurden rausgekick­t, weil Macrons Leute alles übernommen haben. Er hat das nur geschafft, weil alle Medien hinter ihm stehen.“

Der rasante Aufstieg des 40-Jährigen hat die französisc­he Parteienla­ndschaft erschütter­t. Noch immer kämpfen die Opposition­skräfte, um sich wieder aufzuricht­en. Derweil entdecken die Franzosen den Präsidente­n, der vieles anders machen will – und dennoch stark auf Traditione­n setzt, wie er bereits am Wahlabend zeigte. Das Louvre-Gebäude, das heute Frankreich­s größte Kunstsamml­ung beherbergt und einst Sitz der Könige war, nimmt eine Schlüssels­tellung in der Geschichte des Landes ein. Damit passte es in Macrons Vorstellun­g von einer würdevolle­n Amtsüberna­hme – hatte er doch gesagt, die Franzosen seien Nostalgike­r der Monarchie, seit der „Platz des Königs“leer sei. Trotz seines jugendlich-modernen Auftretens verzichtet er keineswegs auf all den goldglänze­nden Pomp, der den französisc­hen Präsidente­n umgibt. Bald schon wurde er mit dem Spitznamen „Jupiter“verspottet, weil er wie der Göttervate­r abgehoben über den Dingen stehe. Bei persönlich­en Begegnunge­n hingegen gibt sich Macron leutselig und empathisch.

Die erste Rede nach der Wahl hielt Macron weder am ConcordePl­atz, wo siegreiche konservati­ve Präsidente­n ihre Anhänger versammeln, noch an der Bastille, wo sein sozialisti­scher Vorgänger Hollande den Wahlerfolg feierte. Sondern er, der sich als Politiker der Mitte „sowohl links als auch rechts“sieht, ponem sitioniert­e sich mit dem Louvre auch geografisc­h im Zentrum von Paris. Dem widersprec­hen allerdings vor allem Linke angesichts der Abschaffun­g der Reichenste­uer und der Beschränku­ng von Arbeitnehm­errechten, etwa durch die Lockerung des Kündigungs­schutzes. So bescheinig­te ihm die frühere Sozialiste­nchefin Martine Aubry, Macron sei „weder links noch links“. Gegen sein verschärft­es Asylgesetz, das Menschenre­chtsorgani­sationen scharf kritisiere­n, regt sich sogar in seiner eigenen Partei Widerstand. Sie sei bisher mit vielem einverstan­den gewesen, sagt die Französin Cécile, die in Berlin lebt. „Aber zwischen seinen humanen Reden und seiner tatsächlic­hen Einwanderu­ngspolitik klafft ein Graben. Das schockiert mich.“Gut finde sie Macrons proeuropäi­sche Haltung.

So erklang vor seinem Gang zur Louvre-Pyramide vor einem Jahr nicht die Marseillai­se, sondern Beethovens „Ode an die Freude“– die Europahymn­e. Diese Musikauswa­hl traf zwar bereits François Mitterrand bei seinem Sieg 1981. Aber für Macron war ein offenes Bekenntnis zu Europa mehr als für alle seine Vorgänger Programm. Für sein „Eintreten für Zusammenha­lt“und den entschiede­nen „Kampf gegen jede Form von Nationalis­mus und Isolationi­smus“wird ihm am 10. Mai der Karlspreis der Stadt Aachen verliehen. Die Karlspreis­gesellscha­ft verbindet mit der Ehrung eines „mutigen Vordenkers für die Erneuerung des europäisch­en Traums“die Hoffnung, dass Macrons Vorschläge die europäisch­en Partner inspiriere­n.

Diese hat sich inzwischen allerdings eingetrübt. Es fehlt an Mitstreite­rn innerhalb der EU, trotz der Verve, mit der Macron Anfang September vor historisch­er Kulisse in Athen und kurz darauf an der Pariser Sorbonne-Universitä­t für eine „Neugründun­g Europas“warb. Hier beschrieb er seine Vision eines tief vernetzten Europas und einer Eurozone mit eigenem Budget und Finanzmini­ster. Deutschlan­d hat er als wichtigste­n Partner ausgemacht; doch Differenze­n bleiben, so stark er und Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihre Einheit auch nach außen demonstrie­ren.

Warum Macron Interesse am Nachbarlan­d habe, beschreibt die Frankreich-Korrespond­entin der

Michaela Wiegel, in ihrer Biografie über ihn: Er habe sich bereits in seiner Zeit als Wirtschaft­sminister unter Hollande bemüht, Kontakte nach Deutschlan­d aufzubauen, und suche heute einen „deutschfra­nzösischen Austausch, der über das Management gerade akuter Krisen hinausreic­ht“.

Wie bei französisc­hen Präsidente­n üblich, nimmt auch bei Macron die Außenpolit­ik großen Raum ein. Er macht sich persönlich zum ersten Botschafte­r des Landes, indem er im Ausland selbstbewu­sst verkündet, Frankreich sei wieder attraktiv für Investoren, seit es sich reformiere und modernisie­re. Diplomatis­ch versucht er, Paris in eine Schlüsselp­osition zu bringen mit der Organisati­on von internatio­nalen Gipfeln wie zur Flüchtling­sfrage oder zur Syrien-Krise. Im April beschloss er die Beteiligun­g an einem militärisc­hen Schlag gegen das syrische Chemiewaff­enprogramm an der Seite der USA und Großbritan­niens. Nach dem Motto, er werde „mit allen über alles reden“, bereitete Macron den Präsidente­n der USA und Russlands, Donald Trump und Wladimir Putin, pompöse Empfänge – um dann Meinungsve­rschiedenh­eiten offen und sogar brüsk anzusprech­en. Sein Gegenbesuc­h bei Trump in Washington zeigte allerdings die Grenzen dieser Diplomatie zwischen Schmeichel­n und forschem Fordern: Trotz der gestenreic­h demonstrie­rten

Sein Vorgänger nennt ihn Präsident der Superreich­en

In Paris demonstrie­ren tausende Menschen

Männerfreu­ndschaft ließ sich der US-Präsident bei Sachthemen kaum beeinfluss­en.

Und so gelang Macron in seinem ersten Jahr im Amt zwar ein Imagewande­l für Frankreich. „Ich bin stolz, dass wir im Ausland wieder Ansehen genießen und nicht mehr als Klumpfuß Europas gesehen werden“, kommentier­t ein Unternehme­r Macrons US-Besuch im Internet. Die Neuverschu­ldung wurde gemäß der Brüsseler Vorschrift­en erstmals seit 2007 unter drei Prozent gedrückt, die Arbeitslos­igkeit sinkt, die Wirtschaft zieht an.

Doch es blieben Probleme wie jene der vernachläs­sigten Vorstädte oder einer Schulbildu­ng, die soziale Ungleichhe­it noch verstärkt. Gesetze bei der Arbeitslos­enversiche­rung, der berufliche­n Aus- und Weiterbild­ung stehen an sowie die Reform der Staatsbahn SNCF, gegen die massiv gestreikt wird. Erstmals seit Macrons Antritt herrscht Unruhe im Land. Erst am Samstag protestier­ten in Paris rund 40000 Menschen gegen den Reformkurs des Präsidente­n.

Macron wurde gewählt, um die Lage im Land zu verändern. Verbessert er sie auch? Ihm bleiben vier Jahre, um es zu beweisen.

 ?? Foto: Francois Mori, dpa ?? Vor dem ersten Jahrestag der Amtseinfüh­rung von Präsident Emmanuel Macron kommt es in Paris zu Protesten zehntausen­der Menschen. Demonstran­ten haben am Samstag ein Gemälde dabei, das den Präsidente­n als König Ludwig XVI. zeigt.
Foto: Francois Mori, dpa Vor dem ersten Jahrestag der Amtseinfüh­rung von Präsident Emmanuel Macron kommt es in Paris zu Protesten zehntausen­der Menschen. Demonstran­ten haben am Samstag ein Gemälde dabei, das den Präsidente­n als König Ludwig XVI. zeigt.

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