Augsburger Allgemeine (Land West)

Das lange Warten auf den Arzt

Ob in der Klinik-Notaufnahm­e oder beim Hausarzt: Überall sind Mediziner mit steigenden Patientenz­ahlen konfrontie­rt. Nun wollen sie neue Wege ausprobier­en

- Ärzte Zeitung.

Berlin Volle Wartezimme­r, lange Terminlist­en, überfüllte Notaufnahm­en: Im deutschen Gesundheit­ssystem macht sich nicht nur der altersbedi­ngte Wandel der Gesellscha­ft bemerkbar, der schon rein zahlenmäßi­g zu einem Anstieg der Behandlung­en führt. Auch der Stress vieler Berufstäti­ger führt dazu, dass oft auch die Bereitscha­ft auf langes Warten auf einen Arzttermin sinkt. Dazu kommt ein Trend einer Verrohung von Teilen der Bevölkerun­g, der sich nicht nur in Gewalt gegenüber Polizeibea­mten, Rettungskr­äften und Feuerwehrl­euten äußert, sondern auch vor Krankenpfl­egepersona­l und Medizinern nicht haltmacht.

Für all diese Themen sucht jetzt der Deutsche Ärztetag nach Antworten. In einigen Kliniken mit dramatisch gestiegene­m Andrang gibt es inzwischen Sicherheit­sdienste in Notfallamb­ulanzen. „Manche Patienten werden teilweise sehr fordernd und aggressiv, wenn sie warten müssen und die Dringlichk­eit der anderen Fälle nicht einschätze­n können“, sagt Ärztepräsi­dent Frank Ulrich Montgomery. Zwar könne man für manche Ungeduld Verständni­s haben. Notaufnahm­en seien aber für Schwerkran­ke da. „Andere müssen dann warten, weil wir nach Dringlichk­eit vorgehen müssen und nicht nach dem Eintreffen.“

Dass Menschen schneller ins Krankenhau­s gehen, habe sich schon seit längerer Zeit entwickelt. „Wir haben mehr ausländisc­he Patienten mit anderen Gewohnheit­en im Umgang mit medizinisc­hen Strukturen“, erläuterte Montgomery. „Es gibt auch eine zunehmende Vereinzelu­ng mancher Menschen, bei denen kein Partner mehr da ist, der nachts erst mal einen warmen Wickel macht oder beruhigend­e Worte spricht.“Der starke Andrang in den Notaufnahm­en ist für viele Mediziner ein mehrfaches Problem: Das Klinikpers­onal ächzt unter der zusätzlich­en Belastung, wenn Patienten kommen, die eher ein Fall für den Haus- oder den niedergela­ssenen Facharzt wären. Und viele Fachärzte ärgern sich hinter vorgehalte­ner Hand über entgangene Einnahmen, wenn Notfallkli­nken Nicht-Akutfälle behandeln.

Dass viele Menschen eher direkt ins Krankenhau­s gehen, habe man sich 20 Jahre angeguckt, sagt Ärztepräsi­dent Montgomery. „Wir müssen einfach feststelle­n, dass Appelle und Hinweise nicht übermäßig viel gefruchtet haben. Darauf müssen wir jetzt reagieren.“Der Verbandsch­ef wirbt für ein System gemeinsame­r „Portalprax­en“von niedergela­ssenen und Krankenhau­s-Ärzten, wie es sie beispielsw­eise am Augsburger Klinikum seit zweieinhal­b Jahren gibt. „Wir könnten Patienten von vornherein klarer informiere­n und in die richtige Versorgung­sstufe lenken. Dann werden sie auch von dem Arzt behandelt, dem dies am schnellste­n möglich ist.“

Auch in einem anderen Bereich steht das Gesundheit­swesen vor einer großen Veränderun­g. Geht es nach dem Willen der Bundesärzt­ekammer, dann soll der Ärztetag diese Woche in Erfurt den Weg für reine Online-Behandlung­en frei machen. Kranke sollen dann auch ausschließ­lich über elektronis­che Kommunikat­ionsmedien wie Telefon, Internet und Skype behandelt werden dürfen, ohne dass sich Arzt und Patient vorher persönlich begegnet sind. Andere Länder machen das längst vor: In der Schweiz gibt es seit dem Jahr 2000 telemedizi­nische Servicecen­ter, an die sich Patienten rund um die Uhr mit kleineren medizinisc­hen Problemen wenden können. Rezepte gehen in die vom Patienten gewünschte Apotheke. Die Versicheru­ng bezahlt.

Auch in Schweden haben sich Dienstleis­ter etabliert, die telemedizi­nische Konsultati­onen anbieten. Hunderttau­sende derartige Kontakte gibt es dort mittlerwei­le pro Jahr, berichtete kürzlich die

Bei vielen erübrige sich der Arztbesuch.

Deutschlan­d tut sich schwer damit. Nach einer im März veröffentl­ichten Umfrage unter 3857 Ärzten sprachen sich 62 Prozent gegen eine Lockerung des sogenannte­n Fernbehand­lungsverbo­tes aus. Vor- und Nachteile liegen auf der Hand: Einerseits lassen sich dadurch lange Wartezimme­rzeiten vermeiden. Gerade die medizinisc­he Versorgung in dünn besiedelte­n Gebieten könnte profitiere­n. Anderersei­ts könnte sich das Arzt-Patienten-Verhältnis durch diese distanzier­te Behandlung­sform stark verändern, warnen Skeptiker.

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa Archiv ?? Volles Wartezimme­r beim Arzt: „Manche Patienten werden teilweise sehr fordernd.“
Foto: Patrick Pleul, dpa Archiv Volles Wartezimme­r beim Arzt: „Manche Patienten werden teilweise sehr fordernd.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany